Ferguson in den USA

Der neue Kampf für gleiche Rechte

Protestmarsch in Gedenken an den erschossenen Michael Brown in Ferguson/ Missouri am 13. Oktober 2014.
Protestmarsch und Gedenken an den erschossenen Afroamerikaner Michael Brown in Ferguson/ Missouri am 13. Oktober 2014. © AFP / Foto: Joshua Lott
Von Dagmar Pepping und Andreas Horchler  · 06.11.2014
Anfang August wurde der Afroamerikaner Michael Brown in der US-Kleinstadt Ferguson von einem Polizisten erschossen. Es folgten Unruhen und Proteste, die an 1960er-Jahre erinnerten. Drei Monate später ist unklar, wie es weitergeht.
Wie in den Nächten zuvor eskaliert die Lage. Randalierer bewerfen die Sicherheitskräfte mit Flaschen und blockieren die Straße. Die Soldaten schießen Tränengas in die Menge. Diese Randalier wollen nur ins Fernsehen kommen, sagt der Pastor. Denen geht es gar nicht um Michael Brown.
Ein Fotograf kommt angerannt und zeigt aufgeregt Bilder von der Kreuzung 200 Meter von uns entfernt. Die schießen mit richtigen Kugeln, ruft er. Auch auf die Polizei und die Nationalgarde.
"Die Nationalgarde macht alles hier noch schlimmer", sagt der 48 Jahre alte Marvin. Angst habe er trotzdem nicht. Die Polizei solle endlich aufhören, die Schwarzen wie Hunde zu behandeln, sagt Marvin und bringt sich in Sicherheit.
"Ich glaube, als Martin Luther King ermordet wurde, ist der Traum gestorben. Und ich glaube, dieses Ereignis wird das Wasser aufwühlen und wir werden Veränderungen sehen. Es ist Zeit für Veränderungen!"
Ethel blinzelt in die aufgehende Sonne, rückt ein wenig näher an mein Mikrofon.
"Ich möchte sehen, wie sie voranschreiten mit Jobs, besserer Bildung und besseren Möglichkeiten für ihr Leben. Es wird Zeit. Michael Browns Tod ist ein Testament. Es wird hier nicht enden, das ist erst der Anfang."
Das Kapitel ist alles andere als abgeschlossen. Jesse Jackson, der müde wirkende alte Bürgerrechtler, der 24 Jahre vor Barack Obama chancenlos als schwarzer Präsidentschaftsbewerber angetreten war, will Ferguson zum Anlass nehmen, über Armut und Reichtum nachzudenken, über Bildung, über Chancen.
"Wir brauchen Investitionen, zielgerichtete Investitionen. Bringt diese jungen Leute zurück in Arbeitsverhältnisse und bietet ihnen erstklassige Bildung an. Bildung ist maßgeblich. Die Waffe der Armut wird eine Massenvernichtungswaffe sein."
Ferrell ist wütend. "Die Polizei hat schon wieder einen Bruder erschossen", erzählt er mir.
Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Dieses Mal haben zwei weiße Polizisten nicht weit von Ferguson entfernt, in St. Louis, einen 23-jährigen Schwarzen erschossen, der mit einem Messer herumgefuchtelt hatte.
Unter den Demonstranten in der brutalen Sommerhitze ist auch Susan aus New Jersey. Sie sei fast 1000 Meilen gefahren, um Ferguson und Michael Browns Familie zu unterstützen, erzählt die Lehrerin.
"Ich bin weiß, ich unterrichte in der Stadt. Ich sehe jeden Tag Gewalt und Rassismus. Ich weiß auch nicht, was man tun kann, aber ich musste einfach herkommen."
Amerika sei zu einem Dritte-Welt-Land geworden.
Geht die Polizei härter gegen die schwarze Bevölkerung vor?
Ist der Fall Ferguson eine Ausnahme oder Regel? Sind Polizei und Nationalgarde in den Krawallnächten mit militärischer Ausrüstung und übertriebener Brutalität gegen die Demonstranten vorgegangen? Lässt sich ein Muster im Verhalten der Polizei erkennen, bei dem die Ordnungskräfte härter gegen die schwarze Bevölkerung als gegen die Weißen vorgehen?
Nach dem Tod von Michael Brown sah sich die Polizei in Ferguson mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Trotz einer Ausgangssperre kam es dort immer wieder zu Ausschreitungen.
Nach dem Tod von Michael Brown sah sich die Polizei in Ferguson mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Trotz einer Ausgangssperre kam es dort immer wieder zu Ausschreitungen.© dpa / picture-alliance / Ed Zurga
Obama schickte Holder, kam nicht selbst nach Ferguson. Nicht während der Unruhen , nicht zur Beisetzung Michael Browns. Am 18. August hatte der der US-Präsident gesagt:
"Ein Teil der Herausforderung, unsere Union perfekter zu gestalten, dreht sich darum, mit Gemeinden umzugehen, die sich zurückgelassen fühlen. Es gibt an diesen Orten viele schwarze junge Männer, für die es wahrscheinlicher ist, ins Gefängnis zu kommen oder in Konflikt mit dem Justizsystem zu geraten als einen guten Job oder eine Collegebildung zu erhalten. Teil meines Jobs, den ich ohne mögliche Konflikte machen kann, ist es, mich um diese Wurzeln des Problems zu kümmern. Das ist ein großes Projekt, eines, das wir nun schon seit zwei Jahrhunderten bearbeiten."
Was haben wir von unserem ersten schwarzen Präsidenten, fragen die Leute, wenn er in Washington bleibt, wenn er nichts außer Allgemeinplätzen anbietet. Miss Ona, die in einem Apartment hier in der Sozialsiedlung wohnt, frage ich:
"Sind sie traurig, dass der Präsident nicht gekommen ist?"
"Ja, so ähnlich, aber er hat andere Dinge zu tun, die genauso wichtig sind. Nein, nein, er hat alle Hände voll zu tun."
Das Verfahren des St. Louis County gegen Darren Wilson, den Polizisten, der Michael Brown erschossen hat, wird von Staatsanwalt Robert McCulloch geleitet. Ein Mann, dessen Vater Polizist war und von einem Afroamerikaner erschossen worden war. Voreingenommen! Davon sind die schwarzen Bewohner Fergusons überzeugt.
Und auch die Entschuldigung des Polizeichefs, der sich erst Ende September mit einer Videobotschaft an die friedlich demonstrierenden Menschen und an die Familie Michael Browns gewandt hatte, kam den Menschen zu spät, viel zu spät.
Prompt kam es wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Aufgebrachte Bürger gerieten an Polizisten, die Armbänder mit der Aufschrift "I am Darren Wilsen" trugen. Sie zeigten damit Solidarität mit dem Todesschützen vom 9. August.
Ron Johnson, der schwarze Polizist im Dienst des Bundesstaates Missouri hatte nach den schweren Unruhen im August für Entspannung gesorgt. Als Ende September eine Polizistin angeschossen wurde, verlor er die Ruhe.
Die Ermittlungen könnten im Sand verlaufen, ohne Klage, ohne Urteil, ohne Gerechtigkeit für Michael Brown. Das wollen die Menschen von Ferguson verhindern. Und gehen dafür auf die Straße – Ende offen.
Ich stehe an der Gedenkstätte für Michael Brown, dort wo der 18-Jährige erschossen wurde. Aus dem Fenster eines Apartments dröhnt Gangster-Rap. Es geht um gekillte Nigger, Drogen und Verbrechen. Die 60-jährige Cynthia schaut auf das Meer von Stofftieren, Plakaten und Blumen.
Cynthia hat Tränen in den Augen. Ihr fehlten die Worte, sagt die schwarze Frau. Wie konnte es in diesem Land dazu kommen, dass ein Menschenleben nichts wert ist.
Der Tod ist auch ein Geschäft
Wenige Meter entfernt verteilt Pastorin Corey Bush zusammen mit Freiwilligen Wasser, Nahrungsmittel und Windeln an Bewohner der Siedlung. Nach den Plünderungen haben viele Läden in der Nachbarschaft geschlossen. Natürlich gehe es hier in Ferguson um das Thema Hautfarbe, sagt die Pastorin. Wenn der Bürgermeister sage, es gebe keinen Rassismus in der Stadt, frage sie sich: Wo lebt der eigentlich?
Der Tod Michael Browns ist auch ein Geschäft. An der Straßenecke East Florissant, Canfield Drive gibt es T-Shirts. Das Gesicht des toten 18-Jährigen, erhobene Hände und der Slogan "Hands up, don´t shoot", von S bis XXL. Steven Nelson zuckt mit den Schultern. Der bärtige Mann mit Rastalocken verkauft nicht mehr viel dieser Tage. Er ist einer der vielen Zeugen der Tat.
"Boom boom boom boom, vier Schüsse erst mal. Ich schaue aus dem Fenster, ich sehe einen Kerl weglaufen, einer schießt mit seiner Waffe. Der eine war sein Kumpel, der vor dem Polizisten flüchtete, dann die restlichen Schüsse boom boom boom. Ich renne raus, und da lag er."
Shawn Wilson gehört auch zu den T-Shirt Verkäufern. Der weiße Glatzkopf gerät schnell in Rage, beschimpft die Polizeipraxis in Ferguson im Allgemeinen, das Vorgehen Darren Wilsons im Besonderen. Michael Brown war unschuldig. Shawn ist sicher.
"Selbst wenn er seine Hand an den Polizisten legte, was hat der gesagt, um ihn zu provozieren? Er war ein sanfter Riese, ein stiller Junge. Um ihn zu provozieren, war schon einiges nötig, er muss etwas gesagt haben. Es ist so, als ob man einen Stock in ein Hornissennest steckt. Du wirst unweigerlich gestochen."
Und überhaupt, findet der ex-Polizist David Johnson, der sich aus seinem Pickup quält. Der Tod Michael Browns war unnötig.
"Man muss fünf Schritte unternehmen, bevor man die Waffe benutzen darf um das Leben eines Bürgers zu nehmen, und ich habe nicht gehört, dass irgendetwas davon getan wurde. Und sie mussten niemals töten? Niemals! In 29 Jahren!"
Das "Corner Cafe" in der Innenstadt von Ferguson. Auf einem Tisch stapeln sich weiße Plakate. Darauf: ein großes rotes Herz und der Satz "I love Ferguson". Sheryl begrüßt einen Teenager, der das Café betritt.
Der Junge möchte lieber ein T-Shirt mit der Aufschrift "I love Ferguson" mitnehmen. "Wir wollen mit dieser Imagekampagne das Bild von Ferguson verbessern", erzählt mir Sheryl. Ferguson sei keineswegs eine rassistische Stadt, wie es die Medien darstellten.
Auch Jenny packt ein paar Plakate und T-Shirts ein. Ferguson sei eine tolle Stadt. Was passiert sei, sei einfach eine Tragödie, sagt die junge weiße Frau – und darunter sollten die Geschäfte in der Stadt nicht leiden.
Das reiche und das arme Ferguson
Es gibt zwei Fergusons, sagt Rick – ein Mann Mitte vierzig, weiß, Baseballkappe auf dem Kopf. Es gebe dieses Ferguson: den recht wohlhabenden Teil mit restaurierten Geschäften und schönen viktorianischen Häusern. Und dann gebe es das andere Ferguson: den ärmeren, heruntergekommenen Teil, wo die Schwarzen leben und wo Mike Brown erschossen wurde.
"Here you go", sagt Rick und meint damit. "Irgendwann musste es soweit kommen."
Dawne, die mit ihrem Mann eine Pizzeria an der Hauptstraße betreibt, kann sich – anders als Rick – nicht erklären, wie es soweit kommen konnte in ihrer Heimatstadt. Mehr Dialog zwischen den Menschen in Ferguson erhofft auch Louise. Die Welt schaut schließlich auf uns, sagt die schwarze Restaurantbesitzerin.
"We have to get it right!"
Die Hoffnung von Louise: Möge der Heilungsprozess in Ferguson endlich beginnen.
Am Altar der Sarg Michael Browns, Blumen, ein Foto des 18-Jährigen. 4500 Menschen sind in der Riesenkirche, draußen halten Hunderte Journalisten die Stellung. Gospel, Leute die spontan klatschen, Halleluja, Lobet den Herrn und Amen. Charles Ewing, Onkel Michael Browns spricht.
"Ja, Michael Brown war mein Neffe, ich war sein Onkel. Ich habe seiner Mutter geholfen, hielt ihn auf dem Arm. Ja, wir nannten ihn den sanften Riesen, wir nannten ihn Big Mike, wir nannten ihn Mike Mike."
Vorgeplänkel, eine Rampe für Reverend Al Sharpton, den Pfarrer, den Bürgerrechtler, den scharfzüngigen Fernsehmoderator, der vielen Schwarzen lange zu radikal war, der in der Friendly Temple Missionary Baptist Church zu einem Anführer wird.
"Amerika, was denkst Du, wie wir aussehen, wenn die Welt Zeuge wird, dass Du keinen Polizeibericht vorlegen kannst, Du aber ein Video finden kannst. Was glaubst Du, wie Du aussiehst, wenn junge Leute gewaltfrei marschieren, das Land der Freien und die Heimat der Mutigen einfordern, wenn Du Scharfschützen auf den Dächern postierst und auf sie Zielen lässt. Wie sehen wir aus? Wir müssen über unseren mangelnden Respekt füreinander wütend sein. Über unsere gegenseitige Missachtung, unser Töten und Schießen, unser gegenseitiges Mit-der-Waffe-aufeinander-deuten."
Die Kirche gehörte Sharpton. Für den Moment entsteht eine neue Bürgerrechtsbewegung. Das Ende des Falls Michael Brown ist nicht absehbar.
Gut möglich, dass neue Unruhen ausbrechen, wenn es kein Urteil gegen den weißen Polizisten Darren Wilson geben wird. Gut möglich, dass mit größer werdendem Abstand die Wucht des Zorns, der Empörung, der Enttäuschung über die immer noch nicht vollendete Gleichheit von Schwarz und Weiß nachlassen wird. Stück für Stück.
Mehr zum Thema