Feministische Ökonomie

Ware tauschen oder Ware sein?

Ein 500-Euro-Geldschein.
Machen Männer die besseren Geschäfte? © dpa/picture-alliance/Hans-Jürgen Wiedl
Von Eva von Redecker · 28.02.2016
Bieten Frauen auf eBay Produkte an, bekommen sie für die gleichen Artikel weniger Geld als Männer, ergibt eine neue Studie. Woran liegt das? Die Philosophinnen Gayle Rubin und Luce Irigaray haben schon in den 70ern eine radikale These zur Ökonomie aufgestellt.
Grundschulkinder tauschen manchmal Aufkleber für Sammelhelfte. Dabei ist Aufkleber nicht gleich Aufkleber, und ihre Werte lassen sich auch nicht rein aus Angebot und Nachfrage errechnen. Wenn nämlich die Beliebteste der Klasse etwas zu tauschen hat, ist das Interesse daran größer, ihre Verhandlungspartner sind kompromissbereiter, schließlich wollen sowieso alle etwas mit ihr zu tun haben. Für die Aufkleber des Außenseiters hingegen interessieren sich die meisten von Anfang an nicht. Auch wo sie kein Kinderspiel sind, unterliegen ökonomische Beziehungen nie reinem Kalkül, zumindest keinem rein wirtschaftlichen. Sie lassen sich auch nicht darauf reduzieren. In einem Tausch passiert immer mehr als der Austausch von Dingen. Es werden auch Beziehungen hergestellt.
In der Anthropologie ist dieser Effekt besonders gut erforscht. Das liegt zum einen daran, dass in sogenannten primitiven Gesellschaften die wirtschaftliche Sphäre nicht von religiösen, verwandtschaftlichen und politischen Beziehungen getrennt ist. Zum anderen aber auch daran, dass es leichter ist, die versteckten Handlungsmuster der Anderen ins Licht zu rücken als die eigenen.
In den 1970er-Jahren haben die Philosophinnen Gayle Rubin und Luce Irigaray den Gedanken aufgegriffen, dass wir die "Ökonomie", in der wir leben, falsch verstehen, wenn wir nur materielle Tauschwerte in den Blick nehmen. Inspiriert sowohl von Karl Marx als auch von dem Anthropologen Claude Levi-Strauss stellten sie eine radikale These auf. Sie lautet, dass auch unsere Gesellschaften eine symbolischen Ökonomie besitzen, die darauf beruht, dass Männer untereinander Beziehungen herstellen, indem sie tauschen. Und zwar nicht nur irgendwelche Waren, sondern Frauen. In Zeiten, in denen Väter ihre Töchter überwiegend nicht mehr den Kirchgang hinunterführen und einem anderen Mann übergeben, scheint diese Analyse überzogen – auch wenn etwa das Austauschen von Nacktbildern junger Mädchen ein Paradebeispiel dessen scheint, dass Frauen nach wie vor dazu dienen können, die Beziehungen zwischen Männern auszutarieren.

Eine überholte These?

Die feministische These war aber von Anfang an ohnehin nicht so gemeint, dass tatsächlich überall Frauenhandel geführt würde. Vielmehr sollte sie unterstreichen, dass mit den Geschlechtern unterschiedliche Rollen zugeteilt würden, und zwar auch außerhalb der familiären oder romantischen Sphäre. Man könnte demnach die Preisdiskrepanz einfach damit erklären, dass Männer generell etwas höheres Ansehen genießen und dies gewissermaßen auf ihre Produkte abfärbt. Fraglos ist das ein Teil der Erklärung. Rubins und Irigarays Analysen kehren aber einen weitreichenderen Befund hervor. Nämlich, dass bereits unsere Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit Muster beinhaltet, die uns unterschiedlich zur Praxis des Tauschs oder Kaufs ins Verhältnis setzen. Ein Mann ist bereits als Interaktionspartner anerkannt. Frauen werden das zwar letztlich meist auch, aber doch stets unter dem gewissen Vorbehalt, dass sie jederzeit auch selbst zur Ware werden könnten. Waren bewertet man. Man geht keine gleichwertigen Beziehungen zu ihnen ein.
Solche Mechanismen funktionieren unbewusst. Selbst ein ausgesprochener Frauenfeind würde nie behaupten, dass es sinnvoll wäre, einem unbekannten Mann auf einer Internetplattform mehr Geld für den selben Artikel zu bieten als einer Frau. Und auch Feministen sind nicht automatisch davor gefeit, der von einem Mann angebotenen Ware einen höheren Wert zuzuschreiben.
Insofern sind solche nüchternen Rechnungen, wie die der Autoren der Ebay-Studie, eine günstige Gesprächsgrundlage. Sie untermauern die Realität von Phänomenen, die wir zum Teil nicht sehen können, weil sie bereits in unsere Sichtweise eingebaut sind.
Die Konfrontation mit konsequent anderen Weisen, die selbe Welt zu sehen, kann nichtsdestotrotz unser Urteil neu ausrichten. Hannah Arendt nannte dies im Anschluss an Kant, seine Vorstellungskraft auf Reisen zu schicken. Die genannten feministischen Denkerinnen bieten faszinierende utopische Reiseziele. Gayle Rubin etwa erwägt, sich überhaupt von der ständigen Zuordnung von Menschen in Geschlechter zu verabschieden, sodass einfach Menschen Waren anböten. Irigaray hingegen setzt auf eine Art weiblicher Gegen-Ökonomie und entwickelt ein Bild, in dem Dinge nicht mehr strategisch und kalkulierend gehandelt würden, sondern verschenkt, geteilt, genossen und in Fülle hergestellt. Selbst wenn man diese Visionen nicht teilt, kann der Besuch bei ihnen doch den Blick schulen. Man lernt, besser zu erkennen, dass sich in scheinbar neutralen Klicks, Geboten und Zuschlägen Verhältnisse – etwa weiblicher Minderwertigkeit – verlängern, von denen wir uns lieber verabschieden sollten.