"Feministin des Mittelalters"

Von Julian Weber · 06.07.2013
Hildegard von Bingen wird gern zitiert, wenn es um vollwertige Dinkelkost und Ernährungstipps aus dem Mittelalter geht. Aber die deutsche Heilige des 12. Jahrhunderts ist auch eine der Musen des amerikanischen Folksängers Devendra Banhart.
Als "Freak Folk", oder "Weird Folk" hat man die Musik des amerikanischen Singer-Songwriters Devendra Banhart bezeichnet. Auch wenn er selbst das nicht gerne hören mag, diese Bezeichnungen kommen ihm nah. Denn Banhart ist ein Freigeist, ein seltsamer Vogel, ein Nomade, schwer zu fassen, stets in Bewegung. Wenn ihm danach ist, denkt der 32-Jährige auch mal über das Mittelalter nach, wie hier bei dem Song "Fuer Hildegard von Bingen":

"Für viele ist Hildegard von Bingen nur eine Verfechterin von gesunder Ernährung. Aber sie war ja eine Heilige, eine Mystikerin und auch eine geniale Musikerin. Ich hörte zuerst eine Fassung, die das Kronos-Quartett von einem ihrer Chormusik-Stücke gemacht hat. Wer ist diese Hildegard, dachte ich nur. Mein Song ist reinste Fiktion, aber ich hoffe, ich steigere damit das Interesse meiner Hörer an dieser faszinierenden Figur, dieser Feministin des Mittelalters. Sie ist als Sujet perfekt für mich, da rotiert meine Fantasie nur so."

Devendra Banhart dürfte der erste amerikanische Folksänger sein, der einen Song über Hildegard von Bingen komponiert hat. Er hat ihre Geschichte allerdings sehr frei interpretiert und in die heutige Zeit übertragen, wo eine junge Frau aus dem Kloster flieht, um nach San Francisco zu gehen und bei einem Fernsehsender zu arbeiten, die Musikclips aussucht.

Banharts Musik hat Bezüge zur klassischen Folkmusik, aber auch zu vielen anderen populären Genres, von Reggae bis Disco, von brasilianischem Pop bis Punk. Und trotzdem, Devendra Banharts Musik entspricht dem, was die US-Autorin Amanda Petrusich einmal als typische Folk-Eigenschaft bezeichnet hat: Folk sei eine Übung in Gemeinschaftssinn. Und niemand braucht diese Gemeinschaft zum Musikmachen so sehr wie Devendra Banhart. Schon allein, weil er dabei so charmant und chaotisch zu Werke geht.

"Meine Songs entstehen grundsätzlich zur Unzeit. Das ist das Einzige, auf was ich mich verlassen kann. Es mag dem Zufall geschuldet sein, der Entropie oder Kollaborationen mit weiß Gott wem. Wenn mir gute Textzeilen einfallen, habe ich gerade keinen Stift und Papier zur Hand. Wenn eine geniale Melodie aus mir purzelt, bin ich leider nie in einem Aufnahmestudio. Der kreative Prozess vollzieht sich bei mir also eher schmerzhaft."

Damit meint Banhart etwa den Umstand, dass er die Songs seines Debütalbums zum Großteil auf den Anrufbeantworter seines Kollegen Noah Georgeson eingesungen hat, weil ihm die Melodien einfielen, als er zu Fuß durch Los Angeles wanderte. Devendra Banhart hat alle Ingredienzien des Folksängers und trotzdem entspricht er nicht dem Klischee.

Entstanden im 18. Jahrhundert ist Folk als Gebräu aus den Mitbringseln und Erinnerungen der Einwanderer und Sklaven an ihre europäischen, asiatischen und afrikanischen Vorfahren, an ihre Heimat in der alten Welt. Es sind Lieder von Gläubigen und Agnostikern. Von Bürgern und Banditen. Mündlich überliefert wurde Folk von Generation zu Generation weitergereicht.

Einst dienten Folk-Songs zur Nachrichtenübermittlung, im Zeitalter der Schallplatte wurden sie zur begehrten Ware. Und in dieser heterogenen Tradition sieht sich auch ein Devendra Banhart und versieht Folk mit einer spirituellen Note. Optisch sieht er aus wie ein Barde, trug lange Zeit Bart und lange Haare, eine Reinkarnation dessen, was man früher einmal einen Hippie genannt hat.

"Ich glaube nicht, dass sich Spiritualität von mir als Individuum loslösen lässt. Es ist selbstverständliche Alltagspraxis, während Religion eher eine Ansammlung von Geboten ist. Spiritualität ist mir angeboren, sie ist Teil meines Lebens, und also ist sie auch wichtig für meine Musik. Sie ist so sehr Teil von mir, dass ich sie gar nicht mehr wahrnehme. Aber ich drücke damit nichts Bestimmtes aus. Ich habe keine Botschaft, und so fühle ich schon mein ganzes Leben."

Und trotzdem klingt Devendra Banhart beseelt. Das liegt nicht nur an seinem Namen, Devendra ist nach dem Lieblingsguru seiner Eltern benannt. Es liegt auch an seiner Stimme, die eine simple, fast kindliche Freude an der menschlichen Existenz zum Ausdruck bringt. Durch sie kehrt die Spiritualität wieder zurück in Banharts Musik.

"Ich würde mich eher als spirituell denn als religiös bezeichnen. Wichtig ist es all die unterschiedlichen Bezüge des Spirituellen herauszufinden. Ich hänge keiner Glaubensrichtung an. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich in meinem Elternhaus in einem Umfeld aufgewachsen bin, wo ich mit der Bibel und dem Koran gleichermaßen in Berührung kam, wo mir der Zoroastrismus näher gebracht wurde, Buddhismus und Paganismus. Ich habe schon als Jugendlicher gelernt, dass es zwischen Spiritualität und Religion einen Unterschied gibt. In jedem von uns steckt ein roter Faden, der einem zeigt, dass Nächstenliebe nur von einem selbst abhängt."

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