Felicia Langer: Eine Antwort ist unter meiner Würde

Felicia Langer im Gespräch mit Joachim Scholl · 23.07.2009
Die Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer hält die Proteste gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an sie für eine Verleumdung. Man wolle Kritik an Israels Verhalten "total vermeiden".
Joachim Scholl: Die Empörung, die Ihnen jetzt entgegenschlägt - wie haben Sie die aufgenommen?

Felicia Langer: Am Anfang, das war, na ja, ich glaubte, dass das nicht so heftig und nicht so vehement ist, aber danach, das hat mich doch verletzt. Und ich glaube, das ist eine Kampagne von Verleumdung. Diejenigen, die keine Argumente haben, verleumden, beleidigen. Und sicher das tut weh, weil ich glaube sehr, sehr tief, dass ich etwas Gutes für das israelische Volk auch mache, nicht nur für die Palästinenser. Ich möchte, soll man die israelische Politik ändern und total ändern, weil andernfalls es wird eine Tragödie auch für Israel sein, nicht nur für die Palästinenser. So ich schlage die Brücken seit Jahren, und deshalb ich glaube nicht, dass so eine Aktion hat eine logische Wurzel, sondern leider man will die Kritik gegen Israels Verhalten oder auch mehr manchmal Verurteilung von israelischem Verhalten will man das total vermeiden und mundtot machen.

Scholl: Wie werden Sie jetzt auf diese Anwürfe reagieren, was antworten Sie Ihren Kritikern?

Langer: Ich antworte nicht, antworten andere. Über eine Freunde anderer, die sich auch sehr, sehr betroffen fühlen, die antworten, ich antworte nicht. Sie wissen, das ist meine Devise schon seit Jahren, dass ich auf solche Dinge nicht antworte, zum Beispiel auf Giordano, das ist unter meiner Würde. Ich versuche, wie sagt man, ruhig zu bleiben. Heute hatte ich eine Veranstaltung in einer Schule im Rahmen von Workshop gegen Rassismus, und ich habe auch über Palästina und über Israel gesprochen und wir haben über Rassismus generell gesprochen. Das heißt, ich lasse mich nicht beirren, ich arbeite weiter, ich agiere weiter. Aber schade, dass so etwas zustande gekommen ist, dass wenn man andere Meinungen hat und andere Meinungen äußert, dann ist man total ausgeliefert.

Scholl: Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz?

Langer: Diese Auszeichnung ist für mich wunderbar! Ich möchte einen kleinen Ausschnitt aus meiner Dankesrede vorlesen: "Mein Ansatz für die entrechteten Palästinenser und für Frieden und die Gerechtigkeit betont die Universalität der Menschenrechte. Ich bin Ihnen von Herzen dankbar, dass diese wichtige Auszeichnung meines Lebens so die Universalität der Menschenrechte würdigt."

Scholl: Felicia Langer, Sie sind 1930 in Polen geboren, 1939 bei Kriegsausbruch vor den Nationalsozialisten geflüchtet. Ihr Vater starb in Russland, etliche Ihrer Verwandten in den Todeslagern der Nazis. 1950 sind Sie nach Israel emigriert, haben dort Jura studiert und eine Anwaltspraxis eröffnet. Sie haben sich vor allem für palästinensische Menschen eingesetzt, die Opfer israelischer Willkür wurden. Und dieses Engagement, das hat Sie weltberühmt gemacht, hat Ihnen den Alternativen Nobelpreis eingetragen, viele Auszeichnungen. Berühmt wurden Sie jedoch auch für Ihren Zorn, Felicia Langer, Ihre Härte, Ihren Furor. War es vielleicht nicht doch manchmal der falsche, der zu harte Ton, den Sie angeschlagen haben?

Langer: Entschuldigung, man muss die Dinge beim Namen nennen. Zum Beispiel, wenn ich dort in den besetzten Gebieten, und nicht nur ich, sondern andere Menschen, die Sachverständige sind, sehen, dass das ein Apartheidssystem ist, sage, das ist ein Apartheidssystem. Und das ist nicht schön, das klingt nicht gut, Apartheidssystem bei den Juden. Oder ich sage, dass man in Gaza Kriegsverbrechen begangen hat, das klingt auch nicht gut, aber das sagt auch Amnesty International, das sagt auch Human Rights Watch. So muss man die Dinge beim Namen nennen, das ist in Deutschland sicher nicht so angenehm, aber muss man das machen, um die Menschen zu mobilisieren, um Druck auf Israel ausüben, die Politik zu ändern, zu einer Kehrtwende der Politik kommen. Das ist eine Rettung auch für Israel, nicht nur für die Palästinenser. Und ich sage das immer, und ich sage, dass ich Brückenbauerin bin, und bin ich Brückenbauerin seit Jahren. Aber Sie wissen, diejenigen, die sprechen über Frieden und von Israel die Räumung der Gebiete nicht fordern, Stopp der Siedlungen nicht fordern, Flüchtlingsfrage zu lösen nicht fordern, Ende der Besatzung nicht fordern – was für ein Friedensbestreben ist das? Das ist kein Friedensbestreben, das ist eine Floskel oder eine Phraseologie über Frieden. Wir haben solche Menschen und die sind viele Intellektuelle, die so sprechen über Frieden und über zwei Seiten, als ob diese zwei Seiten identisch sind, und das sind zwei total verschiedene Seiten: unsere Seite - unsere israelische Seite, die ist die mächtige Seite, die vierte Militärmacht in der Welt mit atomaren Waffen und die zweite Seite ist die Seite von Habenichtsen. Die Besatzung ist der Inbegriff von Gewalt! Sie wissen, ich bin Zeitzeugin und Augenzeugin! Ich habe die Wunden von Folterungen an meinen Mandanten gesehen. Was soll ich sagen: Habe ich das nicht gesehen? Das Gesehene ungesehen machen, das wäre schöner!

Scholl: Sie haben Ihr Eintreten für die Menschenrechte der Palästinenser auch stets mit der Erinnerung an den Holocaust begründet, weil wir Juden wissen, was es heißt zu leiden, dürfen wir andere nicht unterdrücken, haben Sie gesagt. Und Sie selbst haben sich immer auch als israelische Patriotin gesehen. Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, dass Sie die israelischen Opfer palästinensischer Gewalt verschweigen. Tun Sie das?

Langer: Nein! Nein! Das kann man in meinen Büchern auch sehen, in meinen Veranstaltungen hören, dass ich sage, dass jeder Tote ist ein Toter zu viel. Ich bin gegen die Raketen der Palästinenser, ich bin gegen Gewalt der Palästinenser, aber jetzt ist eine Frage von, wo stammt die Gewalt, das ist das Wichtigste, die Ursachen. Diese Besatzung ist eine Tragödie und hervorruft Gegengewalt der Palästinenser, deshalb muss man die Besatzung weg. Und soll man die Besatzung wegschaffen, muss man Druck auf Israel ausüben, leider. Was soll man tun? Einen politischen Druck, keinen anderen, Gott behüte, keinen anderen Druck. Und ich sage, dass der Druck ist ein Segen für Israel. Wie viel mal habe ich das schon gesagt? Aber man will das nicht hören. Zum Beispiel, ich habe nie im Leben, ich habe Tausende Palästinenser verteidigt, und ich habe nie einen Palästinenser verteidigt, der Zivilisten getötet oder verwundet hat. Das war meine Maxime. Und jetzt ich lese in den Zeitungen, dass ich die schlimmsten Terroristen verteidigt habe. Nun, was soll ich tun?

Scholl: Sie haben vorhin schon gesagt, das sei unter Ihrer Würde, auf Ralph Giordanos Anwürfe zu antworten. Was würden Sie ihm dennoch sagen, wenn Sie doch vielleicht einmal miteinander ins Gespräch kämen?

Langer: Das ist eine schwere Frage. Weil der Mann ist durch Hass, durch einen abgrundtiefen Hass bewegt. Und Hass ist etwas sehr Fremdes für mich. Ich lebe mit Liebe. Das ist, was mich bewegt. Ich bin hilflos gegenüber seinem Hass. Deshalb, ich kann mir so eine Diskussion nicht vorstellen.