Feldwebel Anton Schmid

Ein Retter in Wehrmachtsuniform

Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht, 2002 in München: Sie zeigt auch Männer, die dagegen gearbeitet haben, wie ganz links im Bild Wehrmachts-Feldwebel Anton Schmid, der am 25. Februar 1942 wegen seiner Rettung von mehreren hundert jüdischen Bürgern der litauischen Stadt Wilna hingerichtet wurde.
Die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht": Hier wird Anton Schmid (links im Bild) als einer geehrt, der dagegen kämpfte © dpa / picture alliance / Peter Kneffel
Von Julia Smilga · 31.01.2016
Als der Feldwebel Anton Schmid 1941 im litauischen Wilna eintrifft, ist er schockiert über die Zustände, die dort herrschen: Das Morden an den Juden ist im vollen Gange. Er kann nicht wegsehen und beschließt zu helfen. Hunderten Juden rettet er das Leben - und bringt sich selbst in allerhöchste Gefahr.
Es gibt kaum schriftlichen Nachlass von Anton Schmid. Nur zwei kurze Briefe an seine Frau, geschrieben in einem Gefängnis in Wilna, kurz vor seiner Hinrichtung im April 1942.
"Ich will Dir noch mitteilen, wie das Ganze kam. Hier waren sehr viele Juden, die zusammengetrieben und auf einer Wiese außerhalb der Stadt erschossen wurden, immer so 2000, 3000 Menschen. Die Kinder haben sie auf dem Wege gleich an die Bäume angeschlagen – kannst Du Dir das vorstellen?"
Am 22. Juni 1941 beginnt Hitlers Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. Schon am 24. Juni marschieren die deutschen Einheiten im litauischen Vilnius / deutsch Wilna ein. Die 60.000 Juden von Wilna werden die ersten Opfer der deutschen Besatzer. 12.000 von ihnen sind bereits ermordet, als der 41-jährige Feldwebel Anton Schmid Ende September 1941 in Wilna eintrifft. Hier soll der frühere Elektrotechniker aus Wien eine Versprengtensammelstelle für die Wehrmachtssoldaten leiten, die während der Kämpfe ihre Einheit verloren haben. Schmid wird sofort mit den Massakern konfrontiert, erzählt der Militärhistoriker Wolfram Wette.
"In dieser Situation sah er zu seiner großen Überraschung: Hier werden Juden auf offener Straße geprügelt, vielleicht sogar zur Tode geschlagen, andere wurden zu tausenden abtransportiert. Er kommt also gleichsam in einen Hexenkessel, der ihn vor die Herausforderung stellt: Was mache ich in dieser Situation?"
Schmid spielte seine Möglichkeiten voll aus
Wegsehen kann er nicht. Als eine aus dem Ghetto entkommene junge Frau ihn auf der Straße um Rettung anfleht, hilft er ihr. Luisa Ematisaite besitzt keinen Arbeitsschein und kann daher jederzeit ermordet werden. Schmid verschafft ihr mit Hilfe eines katholischen Pfarrers eine neue litauische Identität und stellt sie in seinem Büro ein. Den perfekt Deutsch sprechenden polnischen Juden Max Salinger steckt Anton Schmid in eine Wehrmachtsuniform und beschäftigt ihn als Gefreiten Max Huppert ebenfalls in seiner Versprengtensammelstelle.
Schmid merkt: Er kann den Verfolgten helfen und spielt seine Möglichkeiten voll aus. Im Winter 1941/42 beschäftigt er 150 Juden aus dem Ghetto als Handwerker in den Werkstätten seiner Arbeitsstelle und rettet sie damit vor dem Tod. Schließlich transportiert er auch Juden mit gefälschten Marschbefehlen aus dem Wilnaer Ghetto in andere, damals als sicher geltende Ghettos in Polen und Weißrussland. Der Umfang seiner Rettungsaktionen ist einmalig, sagt Historiker Wolfram Wette.
"Weil er in der Konfliktsituation, in die er im deutsch besetzten Wilna Litauen 1941 hineingeraten ist, niemals einen Zweifel daran gelassen hat, wo seine moralischen Prioritäten sind. Das macht ihn einzigartig, denn soweit ich die Wehrmachtgeschichte kenne, hat es einen zweiten Fall, der so konsequent gegen das Vernichtungsgeschehen um ihn herum vorgegangen ist, nicht gegeben."
Einer der von Schmid Geretteten ist der deutsch-jüdische Schriftsteller Hermann Adler aus Niederschlesien. Auf der Flucht vor den Nazis ist Adler mit seiner Frau Anita in Litauen gestrandet, die beiden sind nun zusammen mit tausenden anderen Juden im Ghetto eingepfercht. Hier kursieren Gerüchte über einen Offizier, der Juden aus dem gefährlichen Wilnaer Ghetto herausschmuggelt. Die zionistische Widerstandsorganisation schickt Hermann und Anita Adler zu Schmid. 25 Jahre später erinnert sich Hermann Adler in einer Radiosendung über Anton Schmid an diese Begegnung:
"Anita holt tief Atem. 'Pfarrer Andras Gdowski aus Ostra Brama hat uns zu ihnen geschickt, Herr Feldwebel. Sie sehen sicher, dass wir Juden sind! Eigentlich wären Sie auf der Stelle verpflichtet, uns zu erschießen, Herr Feldwebel.' Schmid ist über meinen Ton erstaunt. 'Reden Sie doch keinen Unsinn. Sagen Sie mir lieber, was ich Ihrer Meinung nach für Sie tun kann?' Ich nenne ihm Einzelheiten: 'Wir haben den Auftrag, für mehrere Menschen einen Fluchtweg nach Bialystok zu finden. Über das Bialystoker Ghetto haben wir gute Nachrichten. Nur ein einziges Mal gleich nach dem Anmarsch der Deutschen wurden dort einige hundert Menschen in die Synagoge getrieben und lebend verbrannt.' 'Nur ein Mal?', unterbricht mich Schmid, 'ein Mal genügt!'"
In Deutschland ist Schmid nahezu unbekannt - anders als in Israel
Schmid hilft den Verfolgten, weil er das als seine christliche Pflicht ansieht. Hermann Adler erinnert sich:
"In einem Brief, den Anton Schmid nach Wien seiner Frau schickte, heißt es: 'Wenn jeder anständige Christ auch nur einen einzigen Juden zu retten versuchte, kämen unsere Parteiheinis mit ihrer 'Lösung der Judenfrage' in verdammte Schwierigkeiten. Unsere Parteiheinis könnten ganz bestimmt nicht alle anständigen Christen aus dem Verkehr ziehen und ins Loch stecken."
Ende Januar 1942 wird der Feldwebel Anton Schmid bei einer seiner Rettungsaktionen verhaftet. Am 13. April 1942 wird er in Wilna hingerichtet. Hermann und Anita Adler, Luisa Emaitisaite und Max Salinger haben anders als ihr Retter den Krieg überlebt. Dank ihrer Bemühungen wird Anton Schmid 1967 vom Staat Israel als "Gerechter unter den Völkern" anerkannt. In Haifa und in Wien erinnern die Namen von Straßen, Plätzen und Wohnanlagen heute an den mutigen Feldwebel.
In Deutschland hingegen ist sein Name - im Gegensatz zu Oskar Schindler - nahezu unbekannt. Eine bewusste Verdrängung, sagt Historiker Wolfram Wette:
"Anton Schmid verkörpert die Tatsache, dass es auch kleine Leute in der Uniform der Wehrmacht gab, die innerhalb ihrer Handlungsmöglichkeiten geholfen und gerettet haben. Es stimmt also gar nicht, dass man nichts machen konnte, wie es ja millionenfach nach dem 2. Weltkrieg gesagt worden ist, sondern Anton Schmid war einer, der bewiesen hat, dass man tatsächlich etwas machen konnte- und gar nicht wenig!"
Erst im Jahr 2000 wird die Bundeswehrkaserne in Rendsburg, Schleswig Holstein in "Feldwebel-Schmid-Kaserne" umbenannt. Zehn Jahre später wird sie aber im Zuge der Bundeswehrverkleinerung geschlossen. Damit verschwand in Deutschland jegliches offizielle Andenken an ihn. Seit 2010 kämpft der Historiker Jakob Knab dafür, dass Schmids Name wieder eine Bundeswehreinrichtung schmückt:
"Die Bundeswehr soll doch dankbar sein um dieses geschichtliche Vorbild - endlich ein edler, mutiger Soldat, der als geschichtliches Vorbild dienen kann!"
Knab weiß: Zahlreiche Bundeswehrkasernen tragen immer noch Namen umstrittener Weltkriegsgeneräle und enger Mitstreiter Hitlers. Als Gründer der Initiative "Gegen die falsche Glorie" kämpft Jakob Knab dagegen – und für das Gedenken Anton Schmids.
"Es dauerte nun 4 bis 5 Jahre, als ein einziger Stabsoffizier, ein einziger Stabsoffizier in der Bundeswehr die Initiative ergriff und vorbildlich für den vergessenen, zu Seite geschobenen Feldwebel Anton Schmid eintrat."
Knab will den Namen des Offiziers nicht nennen, um dessen Karriere nicht zu gefährden. Das langwierige Projekt scheint derweil auf dem besten Weg: Bis Ende des ersten Quartals 2016 soll nach Bundeswehrangaben eine Sanitätskaserne in Blankenburg, Sachsen-Anhalt in "Anton Schmid Kaserne" umbenannt werden.
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