Feindbilder

Früher hieß die Zielscheibe noch Iwan

Herlinde Koelbl steht am 08.05.2014 vor einem Bild ihrer neuen Foto-Ausstellung "Targets" in Berlin. In ihrem international angelegten Kunstprojekt hat Koelbl sechs Jahre lang in fast 30 Ländern die landestypischen Schießziele untersucht.
Herlinde Koelbl steht vor einem Bild ihrer neuen Foto-Ausstellung "Targets" in Berlin © picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Von Christiane Habermalz  · 08.05.2014
In ihrer Ausstellung "Targets", also Ziele, zeigt Herlinde Koelbl, auf welche Bilder Soldaten zielen, wenn sie ihre Schießübungen machen. Die Fotografin hat Truppenübungsplätze in über 25 Ländern mit ihrer Kamera dokumentiert.
Der aktuelle Feind der US-amerikanischen Soldaten ist dunkelhäutig, trägt ein arabisches Tuch um den Kopf geschlungen und ein Schnellfeuergewehr im Anschlag. Finster blickt er durch enge Sehschlitze, Brust und Kopf sind durchsiebt von Einschusslöchern. Er ist eine Pop-Up-Attrappe aus Kunststoff, aufgestellt als Zielscheibe auf einem militärischen Übungsplatz in Kalifornien. Vor nicht allzu langer Zeit sah der Gegenspieler der GIs anders aus, erzählt die Fotografin Herlinde Koelbl.
"Mein Begleiter hat mir gesagt, ich bin noch ausgebildet worden an den grünen Männchen, die heißen Iwan, die hatten einen roten Stern am Helm, der rote Stern hieß Sowjetunion."
Der Feind hat viele Gesichter und sie sind wandelbar. In ihrer Ausstellung "Targets" - Ziele" zeigt die Fotografin Herlinde Koelbl sehr eindrucksvoll, mit welchen Bildern weltweit Soldaten konditioniert werden, zu töten. Sechs Jahre lang hat sie in über 30 Ländern Ziele von militärischen Übungsplätzen fotografiert - immer auf der Suche nach der Frage "Wer ist hier der Feind?". Das Ergebnis ist nun eindrücklich im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen - mit teils beklemmenden, teils überraschenden Bildern.
"Es hat mich auch interessiert: Von welcher Seite sieht man den Feind? Und es wurde mir ganz deutlich klar, jeder glaubt, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der guten Seite zu stehen."
In Deutschland schießt man auf korpulente Bäuerinnen
Im Libanon etwa schießen die Soldaten teilweise auf weibliche Attrappen - in westlicher Kleidung, mit nackten Schultern, aber mit der Pistole im Anschlag. In Mali sind die Schießscheiben schlichte aufgeklebte Plakate in James-Bond-Manier, in weißem Hemd und dunklem Anzug mit einem großen roten Fleck dort, wo das Herz ist. In der Sahara schießt man schlicht auf Blechdosen. Und in Deutschland? Da stehen, auf einer Wiese, auf Sperrholz gemalte korpulente Bäuerinnen - mit MG vor der Brust!
"Mit den Kühen! Und die Kühe habe ich auch in Norddeutschland und nicht nur in Süddeutschland gesehen. Aber das ist natürlich so, die Ziele, in den Werkstätten, die werden ja auch repariert, und das sind natürlich Arbeiter, die die Figuren aussägen und bemalen, und das sind so naive Skulpturen, sieht aus wie naive Malerei."
Verzicht auf Action und Effekthascherei
Mühsam sei es gewesen, sich Zutritt zu der ansonsten geschlossenen Welt des Militärs zu verschaffen, erzählt Koelbl. Allein die Genehmigung für die Arabischen Emirate habe vier Jahre gedauert. Geholfen habe ihr die Absurdität ihrer Anfrage: Schießscheiben habe bislang noch niemand fotografieren wollen. Nüchtern, fast formalistisch ist der Blick der Fotografin auf ihre Motive, die ständige Wiederholung des immer Gleichen und doch so Verschiedenen. Bewusst verzichtet sie auf jede Form von Action und Effekthascherei.
"Man kann eigentlich von diesen Bildern nur ergriffen sein, und es geht unter die Haut, was sie fotografiert hat, auf Truppenübungsplätzen in vielen vielen Ländern. Sie hat Kontinente bereist, sie ist in Gegenden vorgedrungen, wo nie zuvor ein Zivilist, ein Fotograf oder eine Fotografin aus dem Ausland fotografieren durfte", betont Alexander Koch, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum.
Welt in Schwarz und Weiß
Irgendwann habe sie erkannt, dass im Krieg in letzter Konsequenz die eigentlichen Ziele die Soldaten selbst sind, erzählt Koelbl. Sie hat daher den Fotografien Porträts von Soldaten aus 30 Ländern an die Seite gestellt: Gesichter, stolz, kindlich einige, mit tiefen Falten andere, eine Frau mit versteinertem Blick, Kämpferin in Kurdistan. Mit allen hat sie darüber geredet, wie es ist, zu töten oder getötet zu werden
"Du musst die Welt so weit wie möglich in Schwarz und Weiß aufteilen und dabei Grau vermeiden, denn bei Grau kriegst du Probleme", zitiert Koelbl einen Ausbilder. Ein eigenes Kapitel ist den Häuserkampfanlagen gewidmet, Geisterstädte, in denen die Soldaten den Straßenkampf üben sollen. Japanische Soldaten üben den Ernstfall in abstrakten Bunkeranlagen, US-amerikanische trainieren in detailgetreu nachgebauten orientalischen Dörfern - mit Kinderspielzeug auf der Straße und geschlachteten Plastiklämmern am Haken. In einer französischen, gerade erst neu errichteten Übungsanlage stieß Koelbl auf eine Überraschung: Der Modellort trug die Straßennamen "Berliner Straße" und "Universitätsstraße". Wer ist der Feind? "Wir leben seit über 50 Jahren mit Frankreich in Frieden und Freundschaft, sagt Koelbl - "und dann wird dort in Berliner Straßen trainiert".
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