"Fehlende Kultur für die Gleichstellung"

Moderation: Marie Sagenschneider · 13.06.2006
Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker (DFG), hat eine Quotenregelung gefordert, damit mehr Frauen an den Hochschulen lehren. In Deutschland gebe es eine fehlende Kultur für die Gleichstellung, sagte Winnacker. Weniger als zehn Prozent der Professorenschaft seien weiblich.
Marie Sagenschneider: In Amerika ist alles leichter, in England ist alles schöner, höhere Gehälter, bessere Forschungsbedingungen, schnellere Aufstiegsmöglichkeiten. Kein Wunder also, dass viele junge Wissenschaftler Deutschland den Rücken kehren. Aber ist das wirklich noch so oder hat da eine Wende eingesetzt? Und was muss geschehen, um Deutschland in dieser Hinsicht attraktiver zu machen? Förderpreise sind ja schon mal ein Ansatz, wie der mit 16.000 Euro dotierte Heinz-Meier-Leibniz-Preis, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft heute an sechs junge Wissenschaftler vergibt. Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist Professor Ernst-Ludwig Winnacker und er ist nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Ich grüße Sie.

Ernst-Ludwig Winnacker: Guten Morgen.

Sagenschneider: Wie steht es denn nun um die jungen Wissenschaftler? Wandern die talentiertesten Köpfe weiter in Scharen ab oder hat sich da doch was geändert in den letzten Jahren?

Winnacker: Nein, ich glaube da hat sich einiges geändert. Ich meine, wir schicken zwar immer noch viele Wissenschaftler nach ihrer Promotion ins Ausland, das ist aber auch richtig, das war ich selber auch, lange in Amerika und dann zurückgekommen. Aber es kommen jetzt viele wieder zurück. Ich meine, das Geheimnis sind nicht nur diese Förderpreise, das ist klar, sondern das Geheimnis ist frühe Selbstständigkeit. Also, die Besten muss man locken damit, dass sie, sobald sie das können, auch wirklich unabhängig, selbstständig arbeiten können und dass sie außerhalb von Hierarchien wirklich ihre eigenen Ideen verwirklichen können. Und das haben wir seit einiger Zeit versucht, dafür gibt es gute Programme, zum Beispiel bei der DFG das Emmy Noether-Programm, das sind also handverlesene Personen, wie diese Preisträger auch heute, die jung sind, 30, 32 Jahre, und dann ihre eigene Stelle finanziert bekommen und Forschungsmittel bekommen für fünf oder sechs Jahre. So was gibt es auch bei der Max-Planck-Gesellschaft, Nachwuchsgruppen und ähnliches. Das ist ziemlich attraktiv geworden und das zieht auch viele Leute wieder zurück. Wir schätzen, dass mindestens 85 Prozent, da gibt es auch Umfragen, wieder zurückkommen. Was wir noch besser machen müssen, da sind die Hochschulen gefordert, ist, denen dann auch eine Perspektive zu geben, die über diese fünf, sechs Jahre hinausgeht. Es hat keinen Sinn, Leute in diesem Alter nach hier zu holen und nach fünf, sechs Jahren wieder wegzuschicken, das war es dann. Das ist ja nicht so toll. Da gibt es aber auch tolle Ansätze inzwischen.

Sagenschneider: Würden Sie denn sagen, Herr Winnacker, dass die Hierarchisierung, diese starke Hierarchisierung im deutschen Wissenschaftssystem, tatsächlich so weit aufgebrochen ist, dass man sagen kann, es ist so attraktiv wie in England und Amerika, wo man das ja gar nicht so kennt, man denkt ja immer so, dem hierarchischen System wohnt ja auch eine gewisse Hartnäckigkeit inne.

Winnacker: Ja, die Hartnäckigkeit gibt es natürlich schon. Aber inzwischen hat sich das herumgesprochen und gute Fakultäten, die mögen solche Leute, die mit ihrem eigenen Geld, Junge mit neuen Ideen, mit ihrem eigenen Geld in die Fakultäten kommen. Und die lassen sie dann auch arbeiten, denen geben sie auch die Möglichkeit zu promovieren, also andere zu promovieren. Es gibt natürlich immer noch resistente Bereiche wo, aber es hat sich herumgesprochen, es gibt große Unterschiede in Deutschland. Es gibt Fakultäten und Institutionen, wo man gerne hingeht, die jungen Leute wissen das längst. Das kann man auch im Internet finden, das hat sich längst herumgesprochen. Die Unterschiede in der Qualität unserer Forschungseinrichtungen sind sehr groß und die Jungen wissen genau, was sie wollen und die gehen dann dahin, wo sie gut behandelt werden. Und das ist, finde ich, ganz toll.

Sagenschneider: Welche Rolle, Herr Winnacker, spielt in diesem Zusammenhang, wenn es darum geht, den jungen Nachwuchs auch hier zu behalten oder wieder zurückzulotsen, welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang speziell die Förderung des weiblichen Nachwuchses?

Winnacker: Ja, das ist mir persönlich ein ganz großes Anliegen. Ich meine, auf dieser Ebene, von der wir jetzt sprechen, die hochqualifizierten Personen, die im Umfeld der Habilitation, der frühen Selbstständigkeit, schon arbeiten, da gibt es immer noch 30 Prozent Wissenschaftlerinnen, da sind wir schon weiter gekommen, aber was dann passiert ist, da ist Deutschland immer noch sehr schlecht, ich habe das gerade beklagt, öffentlich auch, wieder einmal, dass wir da wie die Echternacher Springprozession vorankommen, viel zu langsam, weniger als zehn Prozent der Professorenschaft sind Professorinnen, bei den ordentlichen Professoren, und ich persönlich bin der Meinung, dass man da langsam mal nicht mehr mit Gleichstellungsgesetzten und all diesen schönen Dingen kommt, die haben wir ja nun schon seit Jahrzehnten, diese Bemühungen, sondern dass man da wahrscheinlich Quotenregelungen einführen muss, in einer intelligenten Art und Weise, zum Beispiel wie sie die Universität Genf gerade eingeführt hat, damit es endlich besser wird. Wir können nicht 40 Prozent unserer intellektuellen Kapazität außen vor lassen.

Sagenschneider: Da kämpft man, glaube ich, sehr stark gegen den Begriff Quote, weil da ganz viele Vorbehalte haben, obwohl man ja auch sagen kann, es gibt ja eine Quote, eine stillschweigende für Männer.

Winnacker: Ja, das Ganze ist ein kulturelles Problem. Und die Quote sozusagen ist still, da haben Sie Recht. Da gibt es offenbar auch unbewusste Entwicklungen, gegen die anzusteuern furchtbar schwierig ist, aber es muss endlich gemacht werden. Und wenn so gar nichts passiert, wenn das wirklich nur vorwärts krebst, und wenn ich denke, meine Amtszeit, jetzt fast neun Jahre, wie wenig da passiert ist auf den Universitäten in Sachen der Förderung von Wissenschaftlerinnen, obwohl es, wie gesagt, alle Gesetze und so was dafür gibt, dann muss man wahrscheinlich doch ernstere Maßnahmen in Angriff nehmen. Das meine ich schon.

Sagenschneider: Und wie erklären Sie sich dann, hat die Situation sich möglicherweise auch verschärft, weil Stellen rarer werden und dann die Kämpfe auch intensiver?

Winnacker: Nein, das will ich nicht so sagen. Ich glaube, das ist auch das ganze Umfeld, diese Rahmenbedingungen, wie das Phänomen Rabenmütter, das in Deutschland noch rumschwirrt. Also, dass es irgendwie die Gesellschaft nicht akzeptiert, dass Frauen in einen Beruf gehen, gleichzeitig auch noch etwa Kinder haben, all das ist bei uns sehr zwanghaft organisiert. Man muss ja nur, man muss ja gar nicht nach Amerika gucken, man muss ja nur nach Frankreich gucken, in die Schweiz, nach England, Schweden in die unmittelbare Nachbarschaft, wo das funktioniert. Das ist viel mehr als nur ein Gesetz, das ist wirklich ein kulturelles, ein Problem einer fehlenden Kultur für die Gleichstellung. Und wenn Sie nur ahnen, wie schwierig es ist, in diesem Lande Tagsmütter zu bekommen oder Zweijährige in anständigen Krippen unterzubringen, Kindergärten, die Verwahranstalten sind statt Lehranstalten, statt Bildungsanstalten. Ich meine, da muss sich so viel tun, das kann eine Forschungsorganisation alleine gar nicht machen. Und deswegen muss man wahrscheinlich mal ein bisschen mehr Druck machen als bisher.

Sagenschneider: Herr Winnacker, ich danke Ihnen. Professor Ernst-Ludwig Winnacker der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.

Winnacker: Herzlichen Dank.
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