FDP-Europaabgeordnete: "Sozialliberale Wurzeln" sind "nie verloren gegangen"

Nadja Hirsch im Gespräch mit Marietta Schwarz · 05.07.2011
Die FDP-Europaabgeordnete und Mit-Initiatorin des Dahrendorf-Kreises Nadja Hirsch spricht sich für erweiterte Koalitionsoptionen ihrer Partei aus. Sie stellt sich damit hinter Parteikollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die kritisiert hatte, die Liberalen dürften sich nicht einseitig auf die CDU als Bündnispartner festlegen.
Marietta Schwarz: Um das Verhältnis zwischen Union und FDP steht es bekanntlich nicht zum Besten, seit Wochen lässt der schwarze Bündnispartner die Liberalen auflaufen, auch wenn er jetzt mit der Ankündigung, die Steuern zu senken, ein Zeichen des Entgegenkommens setzte. Wo die junge FDP-Garde sich mit öffentlichen Klagen zurückhält, schlug am Wochenende die linksliberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verbal zu. Man dürfe sich nicht einseitig auf die Union als Bündnispartner festlegen, so die Ministerin. Mit der SPD gebe es Schnittmengen in der Außen- und Verteidigungspolitik. Entdeckt die FDP also wieder ihre sozialliberale Ader oder ist das nicht mehr als ein Ausdruck von Frust? Fragen dazu an Nadja Hirsch, FDP-Europapolitikerin und Mitinitiatorin des Dahrendorf-Kreises. Guten Morgen, Frau Hirsch!

Nadja Hirsch: Guten Morgen, Frau Schwarz!

Schwarz: Frau Hirsch, dieser Dahrendorf-Kreis strebt nach einem nachhaltigen Liberalismus und – so kann man es im Internet nachlesen – nach mehr koalitionspolitischen Handlungsoptionen der FDP, zum Beispiel also auch mit den Sozialdemokraten?

Hirsch: Wie Sie richtig sagen, wir wollen eine nachhaltige Politik und auch eine ganzheitliche Politik, und das heißt auch, dass sozusagen liberale Politik unterschiedliche politische Felder wie Integration, wie Umwelt, aber auch natürlich Soziales noch stärker gewichtet. Und ein potenzieller Partner ist natürlich auch die SPD.

Schwarz: So überraschend ist die Aussage der Justizministerin ja nun auch wieder nicht, es gab früher rot-gelbe Koalitionen, das ist nur schon ein bisschen her. Was hat sich denn seit Willy Brandt und Walter Scheel am Verhältnis SPD/FDP verändert?

Hirsch: Ich bin Jahrgang 78, insofern ist das, glaube ich, jetzt von mir aus persönlicher Sicht ein bisschen schwierig zu beurteilen, aber auch wenn man die letzten zehn Jahre natürlich einen Blick auch auf die Partei intern einfach wirft, sieht man schon, dass die sozialliberalen Wurzeln innerhalb der Partei, der FDP, nie verlorengegangen sind. Insofern ist es eigentlich auch eine Selbstverständlichkeit, dass dieses Thema immer wieder auch betont wird. Und wenn Sie sich auch anschauen, viele der Mandatsträger auch auf kommunaler Ebene oder auch im Landtag machen eine sehr engagierte Politik im Bereich Integration und Sozialpolitik insofern und haben dann auch oft hier sozusagen ihren Bündnispartner bei den Sozialdemokraten, manchmal sogar auch bei den Grünen. Also insofern ist das durchaus auch ein lebendiges Entstehen (Anm. d. Red.: schwer verständlich) in dieser Partei.

Schwarz: Der SPD-Parteichef Gabriel sagt, die FDP ist heute nicht mehr sozialliberal, und auch Klaus Wowereit bestätigt das. Die gute alte FDP, sagt er, die gibt es nicht mehr. Jetzt sagen Sie, wir machen noch Sozialpolitik – wo denn?

Hirsch: Also nehmen Sie zum Beispiel in Bayern, da ist die Vorsitzende des Sozialausschusses eine FDP-Abgeordnete. Das ist jetzt nur ein Beispiel. Aber auch ich selbst bin im Ausschuss für Beschäftigung und Soziales, wir haben mit Johannes Vogel einen Bundestagsabgeordneten, der Sozialpolitik macht, wir haben ihn mit Jorgo Chatzimarkakis jemanden, der Integrationspolitik macht, also wir haben hier sehr viele Akzente. Und ich glaube, was natürlich im Moment ein bisschen schwierig ist, auch auf der anderen Seite seitens der SPD, auch die SPD ist auf der Suche nach einem neuen Profil. Insofern kann natürlich sein, dass auch seitens der SPD vielleicht noch gar nicht so klar ist, wohin sie selbst wollen, insofern wissen die auch nicht genau, mit wem die wollen.

Schwarz: Aber auf Bundesebene fällt einem zur FDP dann doch eher nur Steuererleichterung ein und nicht sonst so viel Soziales.

Hirsch: Doch, das ist immer auch natürlich eine Frage, sage ich mal, der Schwerpunktsetzung, das war sicherlich so, aber sehen Sie, wir haben einen Gesundheitsminister, auch einen Entwicklungsminister, also es passiert sehr viel. Aber natürlich gehört auch sozusagen das Steuerthema zur FDP, das wäre auch, glaube ich, falsch, das zu leugnen. Auch das ist natürlich ein Punkt und das war auch einer der wesentlichen Punkte, mit denen natürlich auch die Bundestagswahlen geworben worden ist.

Schwarz: Frau Hirsch, die Koalition mit der Union, die läuft ja nun wirklich schlechter, als man sich das vorher ausgemalt hatte. Passen Union und FDP inhaltlich nicht mehr zusammen oder gibt es da einfach ein Machtproblem?

Hirsch: Ich glaube, das eine und das andere kommen zusammen. Sicherlich hatten – also zumindest aus unserer Seite, als Liberale hatten wir einen sehr viel höheren Anspruch daran, mehr Reformen, mehr Politik zu gestalten, die zukunftsfähiger und nachhaltiger noch ist. Also der Reformwille innerhalb der Union ist, sage ich mal, etwas überschaubar. Das ist, denke ich, ein grundsätzliches Problem. Aber wir wissen natürlich auch schon immer, dass es bei vielen klassischen liberalen Themen, also gerade so der Integrationspolitik oder Innenpolitik, schon immer relativ schwierig auch war mit der Union, das ist jetzt kein Geheimnis, denke ich. Was vielleicht ein bisschen neuer ist, ist, dass wir selbst beim Bereich der Finanz-, Steuer-, Wirtschaftspolitik nicht mehr unbedingt von vorneherein immer die gleichen Antworten haben.

Schwarz: Aber den Reformwillen, den kann man der Union jetzt eigentlich wirklich nicht absprechen. Wir denken an den Ausstieg aus der Wehrpflicht, den Atomausstieg, den Ausstieg aus der Hauptschule, also da kann die FDP denen doch wirklich nicht viel entgegenhalten?

Hirsch: Na ja, gut, also sehen Sie, wir haben natürlich noch ganz andere Themen, die auch theoretisch angegangen werden müssten. Da, sage ich mal, auch im Bereich Arbeitsmarkt, Beschäftigung, auch Gesundheitssystem, da war ja durchaus die Union der Part, der das Ganze noch sehr zurückgestutzt hat. Wehrpflicht ist die Forderung schlechthin, die die FDP eigentlich immer gestellt hat, die dann auf der anderen Seite, Gott sei Dank, natürlich von der Union aufgegriffen worden ist, aber die Impulse kamen schon hauptsächlich auch von der FDP.

Schwarz: Die Justizministerin stellt eine Hinwendung zur Mitte aller Parteien bis auf die Linke fest – Frau Hirsch, wären da nicht die Grünen der passendere Partner, gerade auch, was das etwas jüngere grüne Wählermilieu betrifft?

Hirsch: Sie meinen als Partner für uns?

Schwarz: Ja.

Hirsch: Sicherlich haben wir in vielen Punkten mit den Grünen Schnittpunkte, gerade sind sicherlich in der Gesellschaftspolitik, die sich auch ganz deutlich, sage ich mal, von der FDP und Grüne sich ähnlicher sind als die zwei großen Partner. Insofern lässt sich natürlich jetzt nicht auch nicht ausschließen, dass man zum Beispiel auch mal ein Dreierbündnis eingeht.

Schwarz: Nadja Hirsch, FDP-Europapolitikerin und Mitinitiatorin des Dahrendorf-Kreises war das. Frau Hirsch, herzlichen Dank für das Gespräch!

Hirsch: Vielen Dank und einen schönen Tag noch!
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