Fasziniert vom großen Knall

13.04.2012
Was kann die Kunst beitragen, um kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern? Der Gießener Literaturwissenschaftler Ulrich Horstmann ist der Meinung, dass man ihren positiven Einfluss im 20. Jahrhundert, dem blutigsten der Menschheitsgeschichte, nicht hoch genug einschätzen kann.
Es gibt eine besondere Verbindung von Apokalypse und Literatur, und der widmet sich in seinem neuen Buch der Gießener Literaturwissenschaftler Ulrich Horstmann. Der Titel "Abschreckungskunst – Zur Ehrenrettung der apokalyptischen Phantasie" deutet bereits auf eine spezielle Betrachtungsweise des Themas hin.

Tatsächlich befasst sich Horstmann ausschließlich mit dem zweiten der gefürchteten apokalyptischen Reiter, dem Krieg. Von ihm abschrecken soll die Literatur, indem sie das Unvorstellbare vorstellbar mache. Apokalypse im theologischen Sinn interessiert Horstmann nicht. Des weiteren beschränkt er seine Untersuchungen auf das 20. Jahrhundert, "das mit Abstand blutigste der Menschheitsgeschichte", in dem "die zuträglichsten Voraussetzungen" für einen Dritten Weltkrieg gegeben schienen – und der trotzdem nicht stattfand. Horstmann will das begründen.

Zügig handelt er drei mögliche Erklärungsmodelle ab. Das religiöse Modell: unter sieben Milliarden Erdenbürgern gebe es noch den nötigen Prozentsatz von Gerechten, so dass der Schöpfergott davon absehe, sein Werk zu vernichten. Das politische Modell: vertrauensbildende Maßnahmen und wirtschaftliche Verflechtungen hätten dafür gesorgt, dass aus dem Kalten Krieg nie ein heißer geworden sei. Das militärische Modell: nur Aufrüstung und glaubwürdige Vernichtungsdrohung hätten für ein Gleichgewicht des Schreckens gesorgt. Der Autor findet weder das eine noch das andere überzeugend. Und behauptet stattdessen, die Künstler hätten dafür gesorgt, dass wir nicht längst schon zu Staub und Asche geworden sind.

Künstler, so Horstmanns These, können Welt und Menschheit retten. Der argumentative Raum dahinter jedoch sieht recht leer aus. Es werden Versuche von Schriftstellern aufgezählt, ihre Kriegserfahrungen zwischen 1914 und 1918 zu kommunizieren. Horstmann zitiert viel, August Stramm, Anton Schnack, Ernst Jünger, französische und britische Dichter. Sie alle versuchten entweder experimentell oder faktenorientiert abzubilden, was Horstmann mit dem von Günter Anders geprägten Begriff des "Überschwelligen" bezeichnet: etwas Unvorstellbares, zu groß, um noch eine Reaktion bei den Menschen auszulösen.

Den Höhepunkt der literarischen Auseinandersetzung mit einem als apokalyptisch erlebten Kriegsgeschehen datiert der Autor auf das Ende der 1920er Jahre. Beispielhaft dafür führt er Remarques Roman "Im Westen nichts Neues" an. Die Strahlkraft des Faszinosums Krieg nahm zu diesem Zeitpunkt jedoch wieder zu. Die "apokalyptische Einbildungskraft" der Künstler, konstatiert Horstmann, war nicht in der Lage, einen kollektiven Lernprozess zum Erfolg zu führen und den Zweiten Weltkrieg zu verhindern. Und dessen literarische Verarbeitung sei nur mehr ein müdes Echo des Ersten gewesen, allerdings verfeinert, vor allem in US-amerikanischen Romanen, aber auch bei Böll, durch eine Prise schwarzen Humors.

Nach Abwurf der ersten Atombombe jedoch hätte die apokalyptische Einbildungskraft in Literatur und vor allem im Film ("The day after"), auch in der Musik (Dylans "Masters of War"), als Abschreckungskunst zu wirken begonnen, den Krieg "entherrlicht" und erfolgreich den Ausbruch eines nuklearen Konflikts verhindert. Das ist nett gedacht, doch zu schön, um wahr zu sein.

Auch wenn Horstmann für seine These wortgewaltig, um unterstützende Zitate nie verlegen, wirbt, ist es eine sehr enge Sicht auf die Welt. Wenn man auf die atomare Apokalypse fixiert ist, fallen natürlich alle nicht nuklear ausgetragenen Konflikte unter den Tisch. Peanuts? Horstmann ist offensichtlich fasziniert vom großen Knall. Sonst kämen wenigstens der Irak und Afghanistan, Jugoslawien und Ruanda in seinem Buch vor. Und kriegstreibende Despoten, die selber Gedichte schreiben. So bedauerlich es auch sein mag - die Literatur hat weder die Kraft, noch die Aufgabe, Kriege zu verhindern.

Besprochen von Carsten Hueck

Ulrich Horstmann: Abschreckungskunst, Zur Ehrenrettung der apokalyptischen Phantasie
Wilhelm Fink Verlag, München 2012
196 Seiten, 24,90 Euro