Faszinierende Bilder aus dem Mutterleib

05.08.2008
Mit dem Augenblick der Empfängnis beginnt sie: die spannende 40-wöchige Reise des Embryos bis zur Geburt. Während seiner Odyssee im Mutterleib entwickelt der Embryo die Fähigkeit zu lachen, die Stimme seiner Mutter zu erkennen und möglicherweise sogar zu träumen. In seinem Buch "Wie ein Baby entsteht" dokumentiert der britische Genetiker und Wissenschaftspublizist Peter Tallack den rasanten Entwicklungsprozess des Menschen.
Peter Tallack hat kein trockenes Lehrbuch geschrieben. Er greift mit sicherer Hand Themen heraus, anhand derer sich die Grundprinzipien der pränatalen Entwicklung besonders anschaulich und spannend beleuchten lassen. Um das Gesicht und den Fingerabdruck geht es da, um Wachstumssprünge, das Gehirn, die Haare und Drillingsenge im Mutterleib.

Welche genetischen Mechanismen, so fragt der Autor gleich zu Beginn, können es eigentlich bewerkstelligen, dass aus einer winzigen Eizelle ein komplexes menschliches Wesen mit Abermillionen Zellen entsteht? Woher "wissen" die Zellen, zu welchen Geweben und Organen sie werden sollen? Schon in einem frühen Entwicklungsstadium des Embryo entstehen zwei asymmetrische Achsen: die Längsachse vom Kopf bis zum Schwanz und die Querachse, die Vorder- und Rückseite markiert. Es ist die mütterliche Eizelle, die dem Embryo eine entscheidende Erstinformation mit auf den Weg gibt: wo oben und unten, wo vorne und hinten ist. Das geschieht über verschieden hohe Konzentrationen an chemischen Substanzen, die aufgrund mütterlicher Gene gebildet werden. Wenn eine Zelle ihre Position kennt, beginnt die wichtige Aufgabe der "homöotischen Gene": Sie steuern, welche genetischen Informationen aktiviert oder unterdrückt werden. Dem entsprechend segmentiert sich der Embryo weiter. Erstaunlich: Würmer, Frösche, Mäuse und Menschen besitzen fast die gleichen homöotischen Gene. Sie sind wie eine Perlenkette aufgereiht - die Kopfgene als Erste und die Schwanzgene als Letzte. Der genetische Grundmechanismus zum Aufbau von Körpern hat mehr als eintausend Millionen Jahre überdauert.

Im dritten Trimester der Schwangerschaft entwickeln sich die Sinne des Fötus. In der Gebärmutter ist es zu dunkel, um richtig zu sehen. Ultraschallaufnahmen zeigen aber, dass ein sechs Monate alter Fötus häufig die Augen öffnet und schließt: Er trainiert den Blinzelreflex. In welchem Ausmaß das ungeborene Kind schmecken oder riechen kann, ist unklar. Ein sechs Monate alter Fötus streckt jedoch oft die Zunge heraus. Er besitzt Geschmacksknospen in der Mundhöhle - möglicherweise kostet er also das Fruchtwasser, das nach dem Mittagessen der Mutter schmecken kann. Anschaulich beschreibt der Autor, was es für den Fötus alles zu hören gibt: Die ersten Geräusche sind das Gurgeln, Brodeln und Schwappen im Körper der Mutter. Außerdem erzeugt er selbst Geräusche, wenn er um sich tritt und im Fruchtwasser plätschert. Er hört das Herz der Mutter und sein eigenes, doppelt so schnell schlagendes Herz. Lärm und Musik von außen erreichen ihn verzerrt, weil Bauch und Gebärmutterwand hohe Frequenzen herausfiltern. Die Stimme der Mutter ist etwas Besonderes - sie wird unmittelbar durch die Körperflüssigkeiten weitergeleitet.

So anschaulich und anspruchsvoll die Texte gehalten sind, so farbig leuchten die Bilder der zarten Ungeborenen auf jeder Seite. Ein Kapitel erklärt das "making of" dieser Abbildungen, für die David Barlow verantwortlich zeichnet. Der preisgekrönte Dokumentarfilmer gilt als Wegbereiter innovativer Techniken, um komplexe biologische Prozesse abzubilden. Fünf ultrarealistische und anatomische exakte Silikonmodelle halfen ihm, den Embryo in Entwicklungsstadien zu zeigen, die sich in natura nicht fotografieren lassen. Zahllose Tricks dachte Barlow sich aus, um seine Modelle in Szene zu setzen: So wurden Blutgefäße wie bei Hinterglasmalerei eingezeichnet und der feine Flaum auf der Haut mithilfe von durchsichtigen Wollflocken angedeutet. Mit der Geburt schließt das Buch, ziemlich schleimig und blutig sieht das am Ende aus. Und nachdenklich - denn jetzt beginnt eine neue Reise.

Rezensiert von Susanne Billig

Peter Tallack: Wie ein Baby entsteht. Die Entwicklung von der Empfängnis bis zur Geburt in sensationellen Bildern
Aus dem Amerikanischen von Ursula Bischoff
Nymphenburger Verlag, München 2008
159 Seiten, 24,90 Euro