Fanforscher: Gewalt hat im Stadion nichts zu suchen

Jan-Christoph Kitzler im Gespräch mit Gunter A. Pilz · 06.09.2012
Die von vielen propagierte Selbstregulierung von Sportfans müsse erst mal in die Gänge kommen, bevor sie funktionieren kann, sagt der Fanforscher Gunter A. Pilz. Er erwartet, dass sich Vereine und Fans ganz klar von gewaltbereiten Hooligans distanzieren.
Jan-Christoph Kitzler: Haben Fußballfans zu viel Macht? Fast könnte man den Eindruck bekommen, zum Beispiel beim 1. FC Köln. Dort hat der Abwehrspieler Kevin Pezzoni den Verein hastig verlassen müssen, er wurde vor seinem Haus von Hooligans massiv bedroht, auf Facebook wurde massiv gegen ihn Stimmung gemacht. Der Spieler und der Verein haben am Ende kapituliert und den Vertrag aufgelöst. Immer wieder mischen Fangruppen in Stadien und in Vereinen die auf, die eigentlich nur den Sport genießen wollen.

Was muss, was sollte dagegen getan werden, oder wird das Thema der Fangewalt in Deutschland nur hochgekocht? - Das will ich mit Gunter A. Pilz besprechen, er ist Fanforscher an der Leibniz Universität Hannover. Schönen guten Morgen!

Gunter A. Pilz: Guten Morgen.

Kitzler: Wer hat denn eigentlich im Fall Pezzoni die Verantwortung letztendlich, der Verein, der Spieler, oder doch die Fans?

Pilz: Auf der einen Seite natürlich der Verein als Angestellter, und der Verein hat sich natürlich schützend auch vor seine Spieler zu setzen. Auf der anderen Seite haben natürlich auch da die Fans eine Verantwortung, und zwar die große Zahl der besonnenen Fans, aus deren Reihen heraus ja die Chaoten, wenn man sie mal so bezeichnen darf, die ihre Handlungen tun, und die sind ja bekannt und ich denke, es ist an der Zeit, dass hier auch die Fans selber ein klares Zeichen setzen.

Kitzler: Heißt das, das System der Selbstregulierung, die Fans überwachen sich selber, kontrollieren sich ein bisschen selber, das funktioniert nicht mehr, ist an seine Grenzen gestoßen?

Pilz: Ich weiß gar nicht, ob es schon erst mal richtig eingesetzt hat. Es wird immer viel von Selbstregulierung gesprochen. Ich glaube, wir müssen sehr viel mehr erst mal dazu übergehen, diese Selbstregulierung wirklich auch zu initiieren, und das funktioniert nicht von alleine, sondern da ist es, glaube ich, ganz wichtig, dass sich Vereine und Fans überhaupt erst mal zusammensetzen, versuchen, einen gemeinsamen Verhaltenskodex zu entwickeln, auf den sie sich gemeinsam verpflichten, und dann kann ich die Fans auch verstärkt in die Verantwortung nehmen, denn dann sind sie mit verantwortlich für das, was da passiert. Insofern, denke ich, müssen wir diese Selbstregulierungsprozesse erst mal richtig in die Gänge bringen. Da ist noch viel Luft nach oben.

Kitzler: Aber wenn wir von den gewaltbereiten - das sind ja nur wenige - reden, dann reicht da offensichtlich Dialog nicht aus. Oder gehen wir nicht zu lasch mit denen um in Deutschland?

Pilz: Das ist ja immer so schnell die Rede. Sie haben in einem natürlich völlig Recht: Wer meint, trotz aller Bemühungen und trotz aller gemeinsamen Vereinbarungen trotzdem über die Strenge schlagen zu müssen und glaubt, das Stadion oder das Stadionumfeld sei ein rechtsfreier Raum, für den bleibt nichts anderes als die klare Antwort des staatlichen Gewaltmonopols. Da geht überhaupt nichts dran vorbei. Denen muss man dann auch ganz klar nicht nur die Grenzen zeigen, sondern da erwarte ich auch, dass sich Vereine und noch viel mehr die Fans selber ganz klar von denen distanzieren und mit dazu beitragen, dass sie aus ihren Reihen verschwinden und auch im Stadion nicht mehr auftauchen, denn dort haben sie dann auch nichts zu suchen.

Kitzler: Dazu passt auch eine Einschätzung der Polizei, zum Beispiel von Frank Richter, der ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, und der sagte zum Fall Pezzoni:

O-Ton Frank Richter: "Das sind ganz eindeutig brutale Straftäter, die so etwas machen. Das ist auch aus keiner Emotion heraus nach einem Spiel oder vor einem Spiel. Wenn man verloren hat, könnte man das ja bis zu einem gewissen Grade sogar noch nachvollziehen. Das sind ganz, ganz geplante Aktionen, die auch nicht spontan kommen, sondern die wirklich klar und deutlich durchdacht sind. Hier ist das Ziel im Grunde genommen von vornherein vorweg gegeben, und deshalb ist es eine ganz, ganz neue Qualität, die wir mittlerweile im deutschen Fußball haben."

Kitzler: Im Fall Pezzoni wurde also offenbar eine Grenze überschritten. Die Frage ist nur, wo ist diese Grenze. Kann man das genau festlegen, Herr Pilz?

Pilz: Ich denke, die Grenze ist da erreicht, wo die Würde des Menschen verletzt wird, wo die Integrität und die persönliche Gesundheit des Menschen verletzt wird. Das sind die Grenzen und die muss man auch sehr klar ziehen. Wobei ich denke, jetzt gerade in dem Fall Pezzoni wird natürlich ein Problem deutlich, über das, glaube ich, viel zu lange zu wenig nachgedacht wurde.

Spieler und Trainer und Fans kommunizieren ja über Facebook und Twitter hemmungslos, und gerade dieses Internet reizt natürlich dazu, da kann man besonders leicht provozieren, da kann man seinen Frust besonders heftig ausdrücken, da ist kein Gegenüber, der erst mal kontrolliert, und genau das spielt sich ja jetzt ab und von daher wäre es durchaus mal sinnvoll, darüber nachzudenken, ob es auf der einen Seite so richtig ist, dass Spieler auch über alles, was sie tun und denken, sich im Internet äußern und umgekehrt die Fans dann auch und ob man hier nicht auch mal gemeinsam überlegt, wie man da auch Grenzen setzen kann.

Kitzler: Sie haben gesagt, die Fans, die echten Fans müssen sich von den gewaltbereiten abgrenzen, klarere Grenzen ziehen. Es wird ja immer so gesagt: na ja, die, die gewaltbereit sind, das sind ja eigentlich gar keine echten Fans. Aber müssen wir nicht eigentlich damit leben und sagen, auch diese Gewalt ist Teil der Fankultur in Deutschland?

Pilz: Momentan muss man dazu sagen, leider ist das so. Wer ist ein echter Fan und wer ist kein Fan? Ich tue mich auch schwer, jemanden als einen echten Fan zu bezeichnen, der ins Stadion geht nur mit einem Ziel, zu stören und andere anzugreifen und zu diffamieren und zu beleidigen. Da muss man Grenzen setzen. Aber ich glaube, wir haben auch da viel zu lange drüber hinweggesehen, dass im Stadion sich so was wie eine Pöbel- und Beschimpfungskultur breit macht, die einfach dazu gehört und die man sich nicht nehmen will. Da kann man hemmungslos die Gegner verunglimpfen. Da, denke ich, wäre es auch gut, wenn Vereine Zeichen setzen.

Ich will noch mal ein anderes Beispiel nennen: Es ist natürlich schon problematisch, wenn auf der einen Seite dann in der Kurve Pyrotechnik gezündet wird, wenn die Gegner übelst beschimpft werden und nach Spielende die ganze Mannschaft in die Kurve rennt und sich bedankt bei den Fans für den tollen Support. Da wäre es mal wichtig, dass mal vielleicht die ganze Mannschaft ganz bewusst nicht in die Kurve geht und sich stattdessen öffentlich äußert und deutlich macht, Leute, ihr macht eine tolle Unterstützung, aber die Art, die da läuft, die ist nicht unsere Sache, die wollen wir nicht und deshalb sind wir auch nicht in die Kurve gekommen. So werden ja die Fans in ihrem Verhalten im Prinzip indirekt immer wieder verstärkt, weil es heißt, wir haben die tollsten, die geilsten Fans und man bedankt sich bei ihnen.

Kitzler: Klare Grenzen ziehen, das meint der Fanforscher Gunter A. Pilz. Heute wird er ganz nebenbei noch mit dem Ethikpreis des Deutschen Olympischen Sportbundes ausgezeichnet. Glückwunsch dafür und vielen Dank für das Gespräch.

Pilz: Danke! - Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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