Famous Last Words

Schöner sterben mit Shakespeare

William Shakespeare als Wachsfigur
William Shakespeare als Wachsfigur: In seinen Dramen wird viel gestorben. © picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene
Von Christoph Leibold · 23.04.2016
Sein Werk ist im Theater quicklebendig, obwohl darin sehr viel gestorben wird. Zum 400. Todestag William Shakespeares hat Christoph Leibold Schauspieler gefragt: Wie schwierig ist es, mit berühmten "letzten Worten" auf der Bühne zu sterben?
"Shakespeare verträgt sicher keine Humorfreiheit. Alle Sterbeszenen haben so einen grundsätzlich fröhlichen Unterton. Und wenn man den wegnimmt, dann glaube ich, verliert man. Du kannst gar nicht anders, als tänzelnd damit umgehen, selbst wenn du stirbst. Dann, glaube ich, funktioniert es."
Wolfgang Maria Bauer war Oberspielleiter in Heidelberg, wo er unter anderem den Hamlet inszeniert hat; er war als Fernsehkommissar Siska im ZDF auf Verbrecherjagd. Vor allem aber starb er einen legendären Bühnentod als Mercutio – 1993 in der kultverdächtigen "Romeo und Julia"-Inszenierung von Leander Haußmann am Münchner Residenztheater.
Im Kampf der rivalisierenden Streetgangs tödlich verwundet, begann Wolfgang Maria Bauers Mercutio zu ohrenbetäubender Musik der britischen Indieband Carter USM, im Kreis zu laufen. Rannte Runde um Runde, bis er, atemlos, mit einem sterbensmüdem "So!", sein Leben buchstäblich ausschnaubte.
Leander Haußmann setzte so auf Shakespeares berühmten Satz "Die Pest über Eure Häuser", mit dem Mercutio die verfeindeten Elternhäuser von Romeo und Julia verflucht, inszenatorisch noch eins drauf. Eine Möglichkeit, mit solchen "Famous Last Words" umzugehen, zu deren Tücke es ja gehört, dass sie schon unzählige Male zuvor auf der Bühne gesprochen worden sind und daher leicht Mal etwas "gebaucht" klingen.

Sterbender Romeo im neonkalten Licht

"Es ist schon schwierig, gerade so Sätze die jeder kennt – 'Der Rest ist Schweigen' – also jeder wartet drauf, das ist schon schwer."
Shenja Lacher ist schon als Romeo auf der Bühne gestorben, am Staatstheater Oldenburg in neonkaltem Licht auf einer Art Seziertisch, wie er sich erinnert. Und er musste als Hamlet sein Leben mit dem berühmten Vers "Der Rest ist Schweigen" auf den Lippen aushauchen. Manchmal hat er sich damals nach einem ähnlichen Regieeinfall gesehnt, wie ihn sich Leander Haußmann für Wolfgang Maria Bauers Mercutio ausgedacht hatte. Andererseits, findet Lacher, könne das schnell so wirken, als wolle sich eine Inszenierung um Shakespeares Worte drücken:
"Manche, in Anführungsstrichen, genialen Einfälle von Seiten der Regie sind dann so, dass man die Sätze komplett streicht. Was ich total fatal finde, weil man muss sich dem stellen, auch wenn es bisschen Pathos beinhaltet. Aber so einen Satz wie 'Der Rest ist Schweigen' am Ende eines kurzen Sterbens zu sagen, da muss man sich gar nicht so wahnsinnig krümmen auf der Bühne. So ein Satz wie 'Der Rest ist Schweigen', ich denke, dass der Satz einem was abnimmt. Wenn man den einfach Mal nur sagt, dann ist das schon… Also man muss nicht sagen (mit Leidenston) 'Der Rest ist Schweigen!' oder so, mit irgendeinem Pathos. Das braucht man gar nicht. Sondern den einfach sagen, und bevor man das überhaupt durchdenken kann, dass man gerade stirbt, ist man schon weg."
Dieses Vertrauen in die Kraft der Sprache fehlte Shenja Lacher, als er den Hamlet spielte, es war in seinem Engagement in Zittau. Heute, glaubt er, würde er sich nicht mehr so verkünsteln wie damals:
"Der Rest ist Schweigen habe ich einmal so verpaust, dass ich über die vier Worte ... ich glaube, ich habe gefühlt drei Minuten gebraucht, so. Und einmal, daran kann ich mich noch erinnern, habe ich nur gesagt: 'Der Rest', und 'ist Schweigen' nicht mehr."

Mal Verzweiflungsschrei, mal verzagtes Flüstern

"Es kommt auf den Vorlauf an. Bisschen wie beim Skispringen, wie hoch man angesetzt hat. Je nachdem fliegt man dann halt weit. Oder stürzt ab."
Auch Nico Holonics vom Schauspiel Frankfurt hat schon die Erfahrung gemacht, dass gerade der letzte Satz vor dem Tod einer Figur in jeder Vorstellung anders aus ihm herauskam: mal als Verzweiflungsschrei, mal als verzagtes Flüstern. Holonics spielte "Richard III." am Münchner Volkstheater. Das Pathos-Problem der Sterbeszene kennt er so gut wie Shenja Lacher:
"Weil man sich nicht vorstellen kann, dass wenn ein Mensch stirbt, dass man dann noch ganz schlaue und schöne Sachen sagen kann. Ich glaube, da ist man eher mit sich beschäftigt. Oder mit Schmerz. Gerade bei Shakespeares Richard III. – der stirbt auf dem Schlachtfeld und sagt: 'Ein Pferd, ein Pferd, mein Königreich für ein Pferd!' Ich glaube, der hat ja Schmerzen."
Andererseits, sagt Nico Holonics, verlange Sterben auf der Bühne ja nicht notwendig nach einer realistischen Darstellung. Weshalb die Angst vor Pathos womöglich gar nicht angebracht ist:
"Der Tod ist etwas, was wir uns alle so gar nicht vorstellen können. Was das bedeutet, wie das funktioniert, das ist schwer vorstellbar, wie das ist, wenn man plötzlich vorm letzten Schritt steht. Und vielleicht ist dieser Moment ein total pathetischer. Vielleicht ist man in diesem Moment auch total pathetisch. Und so ist es, glaub' ich, auch mit diesen 'famous last words'."

Einmaligkeit als Ur-Moment des Theaters

Mit vielen letzten Worten seiner Figuren, hat Shakespeare Sätze für die Ewigkeit geschrieben. Wobei: Was heißt schon Ewigkeit auf dem Theater?
Wolfgang Maria Bauer: "Theater ist immer ein Moment, der im selben Moment schon wieder tot ist. Da wo es erblüht ... Du wirst es nie wieder so spielen, nie wieder so hinkriegen. Das heißt, diese Einmaligkeit, das ist gleichzeitig ein Sterben. Immer, in jedem Moment auf der Bühne. Deswegen ist es ein Ur-Moment von Theater. Und deswegen gibt es so viele Tode bei Shakespeare."
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