Familienzuzug von Flüchtlingen

Koalitionsdisput auf allen Kanälen

Witschaftsminister Sigmar Gabriel und Finanzminister Wolfgang Schäuble mit ihren französischen Amtskollegen Michel Sapin und Emmanuel Macron auf einer Pressekonferenz.
Sigmar Gabriel (l.) ist verschnupft über Finanzminister Wolfgang Schäubles Aussage zum Familienzuzug von Flüchtlingen © AFP / Tobias Schwarz
Von Stephan Detjen · 09.11.2015
Erst ruderte Innenminister de Maizère mit Neuerungen zum Familienzuzug vor und zurück, dann versuchte Flüchtlingskoordinator Altmaier zu entschärfen. Nun zeigt Finanzminister Schäuble den Schulterschluss mit der CSU - und SPD-Chef Sigmar Gabriel dementiert.
"Wir haben nach einer kurzen Phase der Irritation gemeinsam – CDU und CSU und SPD – diese Irritation überwunden", sagte Peter Altmaier am Sonntagvormittag im Deutschlandfunk Interview der Woche. Er selbst hatte Thomas de Maizière am Freitagabend zurückgerufen, nachdem dieser – ebenfalls im Deutschlandfunk – erklärt hatte, den Schutzstatus für syrische Flüchtlinge zu verringern und damit den Anspruch auf Nachzug von Ehepartnern und minderjährigen Kindern auszusetzen. Bereits am Montag hatte das Bundesinnenministerium eine Änderung der Verfahrenspraxis angewiesen.
"Ich habe es nicht gewusst."
Schäuble stellt sich an de Maizièrs Seite
Gestand Kanzleramtschef Altmaier, der zugleich Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ist. Kommunikationspanne oder bewusste Täuschung des Koalitionspartners, wie in der SPD schnell geargwöhnt wurde? Wenige Stunden später scheint Altmaier wieder überrumpelt: "Was hat er denn gesagt?" fragt der Kanzleramtschef einen ZDF-Journalisten über den öffentlichen Nachrichtendienst Twitter, nachdem dieser gestern Abend einen Auftritt Wolfgang Schäubles im ARD-Fernsehen kommentierte.
@dominikrzepka @ARD_BaB Was hat er denn gesagt?— Peter Altmaier (@peteraltmaier) 8. November 2015
Die Zuschauer des ARD "Berichts aus Berlin" haben dabei eine ungewöhnlichen offenen Einblick in die koalitionären Frontstellungen erhalten. Gleich am Anfang stellt sich der Bundesfinanzminister an die Seite des zurückgepfiffenen Innenministers:
"Wir müssen natürlich den Familiennachzug begrenzen. Denn unsere Aufnahmekapazität ist ja nicht unbegrenzt. Das ist eine notwendige Maßnahme, dass man im einzelnen prüft und das den Menschen in Syrien klar ist, es können nicht alle jetzt nach Deutschland kommen."
Gabriel: Kein Kommentar im 24-Stunden-Takt zu neuen Vorschlägen
Schäubles Wort hat in mehrfacher Hinsicht besonderes Gewicht: Als ehemaliger Innenminister kennt Schäuble die Verwinkelungen des Flüchtlingsrechts. Vor allem aber genießt kein anderer in der Koalition und innerhalb der Unionsparteien eine vergleichbare Autorität wie Schäuble. Schon während des abendlichen Interviews ist gestern in der ARD aber auch das politische Schwergewicht des Koalitionspartners zugeschaltete. Sigmar Gabriel reagiert prompt und auf die Kampfansage Schäubles
"Da wird erst mal jeder verstehen, dass wir dazu nicht ja sagen, weil das nie besprochen worden ist. Im Gegenteil: Es ist das Gegenteil besprochen worden. Und niemand kann von der SPD verlangen, dass wir so im 24 Stundentakt mal öffentlich zu irgendwelchen Vorschlägen Ja oder Nein sagen."
Koalitionsdisput live im Fernsehen. Damit ist dokumentiert: Der Friedensschluss vom vergangenen Donnerstag ist gescheitert. Und auch der Dritte im Bunde macht weiter Druck. CSU Chef Seehofer schickt seinen Generalsekretär Andreas Scheuer vor die Kameras, um den fallengelassenen Innenminister zu stützen:
"Für die CSU ist nichts vom Tisch: Thomas de Maizière hat recht wenn er sagt, dass die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge einen anderen Schutzstatus bekommen sollen, nämlich dass der Aufenthalt zeitlich begrenzt ist und dass der Familiennachzug ausgesetzt wird."
Für Angela Merkel bietet sich am Anfang dieser Woche ein beunruhigendes Bild ihrer Regierung. Ihr Innenminister hat – zunächst wohl unwissentlich – eine Wunde aufgerissen. Ihr Kanzleramtschef versucht – vergeblich – den Konflikt zu entschärfen. Ihr Finanzminister schließt sich mit der CSU zusammen und hält den Streit am Kochen. Ihr Vizekanzler widerspricht öffentlich. Eine Lage, in der die Autorität der Regierungschefin gefordet, von manchen wohl bewusst herausgefordert ist.
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