Faltin fordert "Neupositionierung der deutschen Wirtschaft"

Günter Faltin im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 25.11.2008
Für den Wirtschaftswissenschaftler Günter Faltin zählt die Automobilindustrie zu einem Auslaufmodell. Im Vergleich zu asiatischen Standorten sei Deutschland hier nicht konkurrenzfähig. Man müsse viel mehr in Bildung und kreative Konzepte investieren, so Faltin. Es gehe mehr um die Qualität von Konzepten als um Kapital.
Liane von Billerbeck: Geld regiert die Welt, heißt der Spruch. Jetzt in der Finanzkrise scheint das Geld einerseits wichtiger zu sein und zugleich an Wert zu verlieren. Einer, der schon seit den 80er Jahren vormacht, dass weniger das Geld, sondern die Ideen entscheiden, das ist der Wirtschaftsprofessor Günter Faltin von der Berliner Freien Universität, und damals in den 80ern wollte er seinen Studenten beweisen, dass man eine Firma auch mit wenig Geld gründen kann. Entstanden ist die "Teekampagne", Deutschlands inzwischen größtes Teeversandhaus, das auf Zwischenhändler, kleine Packungen und große Sortenvielfalt verzichtet. Frei nach dem Motto "Kopf schlägt Kapital", und so heißt auch das Buch, das Günter Faltin jetzt geschrieben hat. Inzwischen hat er eine Stiftung Entrepreneurship gegründet, die Ideen für gute Unternehmungen fördert.

Günter Faltin ist jetzt bei uns zu Gast, und von ihm wollen wir jetzt wissen, ob mit seinen Ideen auch der derzeitigen Krise beizukommen ist. Herr Faltin, ich begrüße Sie!

Günter Faltin: Guten Tag!

von Billerbeck: Beginnen wir mit dem Tee: Wenn einer gleich eine ganze Teekampagne gründet, dann vermutet man dahinter einen inbrünstigen Teetrinker. Sind Sie einer?

Faltin: War ich damals überhaupt nicht, ich trinke auch heute noch morgens Kaffee, aber nachmittags ist dann der Tee dran.

von Billerbeck: Die "Teekampagne" war ja Ihr Versuch, den Studenten zu beweisen, dass man auch ohne viel Geld eine Firma gründen kann. Was hat das eigentlich damals gekostet?

Faltin: Also, so alles zusammen vielleicht 3000 oder 5000 Mark, man braucht nicht viel Geld. Früher, wenn man ein Stahlwerk gründen wollte oder eine Textilfabrik, dann brauchte man Geld. Heute geht es mehr um Ideen. Wir leben in einer postindustriellen Gesellschaft, das wird in Deutschland immer ein bisschen vergessen.

von Billerbeck: Wie lange hat das eigentlich gedauert, bis diese Idee für diesen Teeversandhandel bis zur "Teekampagne" dann ein Erfolg war?

Faltin: Das waren durchaus ein paar Jahre. So ein Konzept entsteht nicht über Nacht. Das deutsche Wort "Idee" ist auch ein bisschen unbrauchbar an der Stelle. Es geht nicht um Ideen oder Einfälle, es geht wirklich um durchdachte, durchgearbeitete Konzepte.

von Billerbeck: Inzwischen, so könnte man ja sagen, sind schon viele unternehmerische Felder abgegrast. Was meinen Sie, wäre ein solcher Erfolg wie der, den Sie mit der "Teekampagne" hatten und haben, auch heute noch möglich?

Faltin: Auf jeden Fall, im Gegenteil, heute sind die Bedingungen für Gründungen sehr viel besser. Wir haben heute eine ganze Fülle von sehr spezialisierten Dienstleistern, die man als Komponenten einsetzen kann. Ich kann heute tatsächlich ein Unternehmen aus einzelnen Bausteinen zusammensetzen, das hat ganz große Vorteile. Ich habe dann effiziente, professionelle Bausteine, während ich früher alles selber aufbauen musste und lange zu kleine Betriebsgrößen hatte und auch als Anfänger natürlich mich erst einarbeiten muss. Also heute geht das sehr viel einfacher, ich glaube sogar, wir stehen vor einem neuen Zeitalter, wo Gründen eine sehr viel normalere und selbstverständliche Beschäftigung ist als vor 10 oder 20 Jahren.

von Billerbeck: Nun haben wir derzeit akut eine Finanzkrise und befinden uns in einer Rezession, und niemand weiß, wie lange die dauern wird, wie tief sie gehen wird. Das wäre doch eigentlich eine gute Gelegenheit für neue Ideen, um, sagen wir, alte Probleme zu lösen. Nehmen wir mal als Beispiel die Autoindustrie: Es sieht ja so aus, als würde der Autokonzern Opel von der Bundesregierung, also aus Steuermitteln gestützt werden. Das Argument dafür, dass sogar manchen ökologisch Interessierten überzeugt, das lautet immer, an der Autoindustrie hänge jeder siebente deutsche Arbeitsplatz. Was würden Sie tun: Opel Pleite gehen lassen?

Faltin: Zum Ersten muss man ja sagen, eine Insolvenz heißt nicht, dass alles geschlossen wird. Eine Insolvenz, gerade das moderne Insolvenzrecht in Deutschland oder Chapter 11 in den USA, ist ja gerade ein Verfahren, wo nicht geschlossen wird, sondern neue Eigentümer gefunden werden. Was nicht einreißen darf, ist, dass wir die am schlechtesten geführten Unternehmen auffangen mit Steuergeldern. Das hat ja angefangen mit dem Bergbau 1959:. Seit einem halben Jahrhundert finanzieren wir eine Industrie, die längst out ist, die woanders sehr viel preiswerter produzieren kann.

Statt in Zukunft zu investieren, in Bildung, auch in Kultur, halten wir uns fest an alten Strukturen. Das wäre verhängnisvoll, wenn das jetzt mit der Automobilindustrie auch eintritt.

von Billerbeck: Was würden Sie an der Stelle der Bundesregierung dann tun?

Faltin: Ich würde in Zukunftsinvestitionen hineingehen, das ist vor allem Bildung. Wir können nicht unsere Bildungseinrichtung verrotten lassen und in ein Auslaufmodell, sage ich mal hart, Automobilindustrie setzen. Es ist seit mindestens zehn Jahren klar, dass Deutschland kein Automobilstandort mehr ist im Sinne von Automobilbau. Die modernsten Fabrikanlagen entstehen heute in China, sie entstehen in Indien, in Malaysia, in Thailand. Thailand gilt als Detroit des Ostens. Dort sind die modernsten Anlagen, auch die kostengünstigsten Anlagen, die dort auch hochgefahren werden. Das wird zulasten unserer Anlagen gehen, es wird nicht nur bei Opel stehen bleiben.

von Billerbeck: Nun klingt das aber so, dieses "nicht mehr Investieren in alte Industrien", als sei das so einfach. Das ist ja ein Kulturbruch, müsste man fast sagen, und so was dauert ja bekanntermaßen, abgesehen davon, dass es auch große Widerstände geben wird. Was meinen Sie, wie kann man das lösen? Einerseits haben wir eben noch so alte Industrien, an denen viele Arbeitsplätze hängen, und Sie sagen, man muss komplett umdenken. Das geht ja nicht von heute auf morgen.

Faltin: Ja, aber wir werden auch nicht dadurch in eine bessere Situation kommen, dass man das Problem immer mehr verschiebt. Dass wir in einer postindustriellen Gesellschaft leben, ist nun wirklich nicht neu, das ist auch keine Erfindung von Soziologen, das wissen wir längst. Wir wissen auch, dass die Industrien der Zukunft mehr im kulturellen Bereich liegen, etwa im Tourismus - einer der größten Wirtschaftsbereiche heute schon ist Tourismus. Das hat viel mit Kultur zu tun, das hat auch mit Bildung zu tun. Das sind die Zukunftsbereiche.

Wir brauchen eine Neupositionierung der deutschen Wirtschaft. Leider gucken unsere Politiker und viele andere auch immer rückwärts. Deutschland war ja bis vor einigen Jahrzehnten führend in ganz vielen industriellen Bereichen. Das ist heute vorbei, auf der Welt gibt es andere Bereiche, andere Gebiete, in denen uns heftig Konkurrenz gemacht wird. Wir sollten in die Zukunft gucken und nicht in die Vergangenheit. Die Stärke der Vergangenheit muss nicht unbedingt die Stärke der Zukunft sein.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, "Kopf schlägt Kapital" heißt das Buch, das Günter Faltin geschrieben hat, Ökonom und Gründer der "Teekampagne". Mit ihm wollen wir über Konzepte sprechen, mit denen wir vielleicht auch aus der Krise kommen. Sie, Herr Faltin, haben 2001 eine Stiftung Entrepreneurship gegründet. Entrepreneur, das heißt ja eigentlich Unternehmer. Das ist aber ein vieldeutiges Wort. Welches Unternehmertum fördern Sie?

Faltin: Ich verwende das Wort Unternehmer und Unternehmertum nicht, weil es aus der Vergangenheit stark belastet ist, auch weil damit Bilder verbunden sind, die heute nicht mehr stimmen. Dass man Kapital braucht, dass man zu den Banken gehen muss, dass man mit der Politik sich gut stellen muss, das ist ja heute so nicht mehr richtig. Heute geht es um neue Konzepte, um neue Ideen in Bereichen, die wachsen und die nicht Auslaufindustrien sind wie die alten Industrien.

Von daher fördern wir sogenannte konzeptkreative Gründungen, also Gründungen, die nicht aus dem Hightechbereich kommen, dafür gibt es Förderung, auch nicht Gründungen, die reine Selbstständigkeit sind - ein Copyshop, ein Restaurant, eine Modeboutique, das sind mehr imitative Gründungen -, sondern es gibt einen Bereich, der in der öffentlichen Diskussion wenig beachtet wird, der aber eigentlich der spannendste ist von der Qualität her, aber auch von der Quantität her. Das sind Gründungen, die auf neuen Konzepten beruhen.

Wir müssen sehen, dass Gründungen heute andere Qualifikationen fordern, mehr kombinatorische Qualifikationen als früher, und wir dürfen nicht alle Gründer in die Betriebswirtschaftslehre scheuchen, sondern erst mal am Anfang muss ein gutes Konzept stehen, und dann kann man überlegen, wie man es umsetzt.

von Billerbeck: Das heißt, die Gründer werden eher von den Kunsthochschulen kommen?

Faltin: Das ist nicht ausgeschlossen. Die Zukunft liegt mehr im kulturellen Bereich, das wissen wir heute schon, creative industries, das ist nicht neu. Nur die Wirtschaftspolitik hängt an überkommenen, überholten Bildern. Wir haben zu wenig Ideen, wir haben auch zu wenig Mut, wirklich nach vorne zu gucken.

von Billerbeck: Sie haben sich mit Ihren Ideen ja in eine andere Region auch orientiert, Sie haben zusammen mit dem Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus eine Initiative gegründet, also ins Leben gerufen, mit welchem Ziel?

Faltin: Also erst mal, wenn in Bangladesh es möglich ist, dass muslimische Frauen ohne Bildungsvoraussetzung Unternehmerinnen werden und das erfolgreich - sogar sehr erfolgreich, ich war selber dort, ich habe mir das angesehen -, dann muss es eigentlich bei uns auch möglich sein. Asien ist uns in vielem voraus. Ich habe schon vor 20 Jahren an einer asiatischen Universität ein Center für Entrepreneurship aufgebaut, und wir tun uns ja heute noch in Deutschland mit dem Wort "Entrepreneurship" schwer. Das Neue in die Welt bringen, Neues denken und unternehmerisch umsetzen. Da ist uns Asien weit voraus.

Wir sind ein bisschen Entwicklungsland auf diesem Gebiet, halten uns immer noch beim Gedanken an Unternehmensgründung fest an Bank und Kapital und BWL, wo es eigentlich längst um die Qualität von Konzepten geht. Die neuen Ideen kommen von kleinen Unternehmen, nicht von den Großorganisationen, das wissen wir längst. Die Stärke der deutschen Wirtschaft liegt im Mittelstand, liegt in kleinen und mittleren Unternehmen.

Die Großunternehmen setzen bereits seit Mitte der 80er Jahre Arbeitsplätze frei, das wird oft in der öffentlichen Diskussion nicht gesehen. Der Trend wird sich auch fortsetzen. Die Zukunft liegt nicht daran, diesen Konzernen jetzt mit den knappen Steuergeldern unter die Arme zu greifen, sondern dort anzusetzen, wo kleine und mittlere Unternehmer und vor allem Gründer mit neuen Konzepten antreten.

von Billerbeck: Und diese Ideen sollten dann unterstützt werden.

Faltin: Ja.