Fall Snowden und die Medien

"Die BBC war die größte Enttäuschung"

Wolfgang Blau, ehemals Chefredakteur ZEIT ONLINE, heute Direktor Digitalstrategie und Mitglied der Geschäftsführung Guardian News & Media in London fungiert
Wolfgang Blau, Direktor Digitalstrategie bei Guardian und Mitglied der Geschäftsführung von Guardian News & Media in London © picture-alliance / dpa / Horst Galuschka
Moderation: Korbinian Frenzel  · 19.09.2014
Der Fall Edward Snowden hat Folgen für den Journalismus: Der Londoner "Guardian" hatte die Informationen des Whistleblowers veröffentlicht und musste sich Druck aus der britischen Politik gefallen lassen. Wirken sich die Enthüllungen auf die Pressefreiheit und den Umgang mit investigativen Recherchen aus?
Wolfgang Blau: Ich habe gelernt, dass wir unsere sämtlichen Sicherheitsprozeduren überprüfen müssen, dass es zum Grundwerkzeug investigativ arbeitender Journalisten gehört, genau zu wissen, wie sie ihre Informanten und auch sich selbst schützen können in der digitalen Kommunikation, aber auch in der sonstigen physischen Kommunikation – im Gespräch, wo man sich unterhält, dass man da zum Beispiel kein Smartphone dabei haben sollte bei einem Gespräch –, und ich habe aber auch gelernt, dass journalistische Institutionen doch sehr viel wichtiger sind, als wir noch vor wenigen Jahren dachten. Wir dachten ja immer, dass wir jetzt in dieses neue Medienökosystem hineinwachsen werden, in dem es ganz viele kleine Player gibt, die miteinander kooperieren, wie der "Guardian" das ja auch tut, aber wir sahen in diesem Fall auch, dass es sehr wohl eine Funktion gibt für große, altehrwürdige journalistische Institutionen wie den "Guardian".
Korbinian Frenzel: Das heißt, diese Funktion besteht darin, Journalisten, die investigativ arbeiten oder auch Informanten, die diesen Journalisten helfen, dass man diese Menschen in gewisser Weise schützen kann?
Blau: Einmal der Schutz, es braucht natürlich große finanzielle Ressourcen, um solche juristischen Kämpfe auch durchzustehen, die NSA-, GCHQ-Berichterstattung war sehr, sehr teuer für den "Guardian", es hat aber auch das Vertrauen benötigt, das einer Institution wie dem "Guardian" entgegengebracht wird. Denn ganz am Anfang hatten wir nur diese eine Story und haben gesagt, da ist dieser Informant, der sich da ja noch gar nicht erklärt hat, wer er eigentlich ist – und es war dieses Vertrauen, dass der "Guardian" sich über Jahrzehnte, hier in Großbritannien ja über Jahrhunderte erworben hat, das geholfen hat in eben diesen ersten Tagen. Wenn dieselbe Meldung, dieselbe Geschichte von einer Institution ohne Namen gekommen wäre, hätte das unter Umständen sehr viel länger gedauert, und der zweite Punkt war dann auch: Es war für die Regierung sehr viel schwieriger, uns anzugreifen als eine Publikation, die niemand kennt.
Frenzel: Die Regierung hat Sie ja ziemlich massiv angegriffen, im letzten Jahr war das, mit dieser absurden Geschichte, dieser Aufforderung, Festplatten zu zerstören. Hat Sie diese Härte der Regierenden überrascht? Großbritannien ist ja immerhin ein Land, das ja für seine Pressefreiheit auch bekannt ist.
Britische Regierung ein Sonderfall
Blau: Mich hat das sehr überrascht. Ich war ja gerade erst von Deutschland rübergekommen, ich erinnere mich an diesen Abend, als der Chefredakteur Alan Rusbridger bei mir im Büro stand und sagte: Du hast doch damals bei "Zeit Online" auch so einen sicheren Briefkasten eingeführt – was würdest du denn machen, wenn du Daten aus dem Ausland schnell ins Haus befördern müsstest? Und ich ahnte dann schon, dass sich da etwas Größeres anbahnt. Und es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich realisiert habe, dass diese Drohungen der Regierung, die wir ja schon vorher vernommen hatten, die sehr unmissverständlich waren, dass die wirklich darin resultieren könnten, dass wir ins Gefängnis wandern, als Mitglieder der Chefredaktion in meinem Fall auch noch, des Teams des Geschäftsführers. Ich hätte so was nie für möglich gehalten, und es hat auch die journalistische Lehre für mich nach sich gezogen, dass wir in Europa so etwas wie eine europäische Medienöffentlichkeit dringend benötigen. Es war eine der befriedigendsten Erfahrungen, zu sehen, wie nach jeder einzelnen größeren Enthüllung des "Guardian" "Le Monde", "Der Spiegel", "Zeit Online", "Süddeutsche", "La Republica", "Gazeta Wyborcza" in Polen nachzogen und diese Geschichte sofort auch erzählt haben und uns damit auch den Rücken gedeckt haben. Das war europäische Öffentlichkeit in ihrer besten Form. Aber das ist sehr, sehr selten heute noch.
Frenzel: Und auf eines kann man auf jeden Fall nicht mehr zählen, selbst in unseren demokratisch verfassten Staaten, dass die Regierungen hinter dieser Idee Freiheit der Öffentlichkeit, Freiheit der Information unbedingt stehen, oder?
Blau: Das war die andere Überraschung, wobei ich immer noch glaube: Trotz der geheimdienstlichen und Überwachungsaktivitäten so vieler anderer europäischen Regierungen ist die britische Regierung schon ein Sonderfall. Das war die politische Überraschung für mich auch, zu sehen, dass die Grenzen zwischen der amerikanischen und der britischen Regierung weitgehend fließend sind.
Frenzel: Es gab ja, Sie haben die europäische Solidarität unter den Medien angesprochen, es gab auf der anderen Seite kaum Solidarität in Ihrem Heimatland, in Großbritannien. Da haben sich die Zeitungen eher abgewandt. Wie kommt das?
"Das war eher ermutigend"
Blau: Das ist ein Thema, das wir oft diskutieren. Wir hatten natürlich keine abschließende Antwort dafür gefunden. Wir glauben, dass die ... Für mich persönlich war die BBC die größte Enttäuschung, aber wir glauben, dass die BBC politisch unter so großem Druck bereits ist, was die Erneuerung der sogenannten Licence Fee Agreements angeht, also woher die BBC ihr Geld bekommt und wie viel sie bekommt, ... eine Rolle gespielt haben, sie war erschüttert schon durch den Skandal um die Kinderschändungen eines ehemaligen BBC-Stars, den sie unzureichend aufgeklärt hat und zu spät. Wir vermuten also, dass die BBC zumindest den Eindruck hatte, dass ihr da die Hände gebunden sind. Dann hat der "Guardian" natürlich auch schon vorher den Phone-hacking-Skandal der Murdoch-Publikationen aufgedeckt, was zur Schließung von "News of the World" geführt hat, und dadurch auch, glaube ich, eine gewisse Schadenfreude vorhanden war bei einigen Konkurrenten.
Frenzel: Haben Sie den Eindruck, dass durch den starken Gegenwind Journalisten, wenn sie jetzt nicht zu der allerersten Reihe à la Glen Greenwald gehören, dass die heute zurückhaltender geworden sind, vorsichtiger, ängstlicher?
Blau: Ich glaube, es hat viele Journalisten ermutigt rund um die Welt, zu sehen, dass der "Guardian" das übersteht und überlebt und dass uns der Europarat zur Hilfe kommt, dass die Vereinten Nationen sich dazu äußern, dass Weltverbände der Zeitungen sich äußern, wie viel Unterstützung der "Guardian" gekriegt hat, inzwischen als erste europäische Zeitung den Pulitzer-Preis gewonnen hat und viele andere wichtige Preise. Das war eher ermutigend, und wir glauben, dass diese journalistische Aktion viele Kollegen daran erinnert hat, was Journalismus eigentlich sein sollte und weshalb wir Journalisten geworden sind.
Frenzel: Wolfgang Blau vom britischen "Guardian", dort verantwortlich für die Digitalstrategie. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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