Fall Edathy

"Modus der Skandalisierung" verlassen

Joachim Poß im Gespräch mit André Hatting · 19.02.2014
Joachim Poß macht mangelnden Rückhalt in der CSU für den Rücktritt von Bundesagrarminister Hans-Peter Friedrich verantwortlich. Die CSU neige dazu, "Dinge zu skandalisieren, die sie selbst hätte verhindern können.
André Hatting: Krisentreffen im Kanzleramt. Die Bundeskanzlerin bittet SPD-Chef Sigmar Gabriel und den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer zum Rapport. Die Stimmung in der Koalition ist schlecht, die CSU sieht sich verraten, weil ihr Agrarminister gehen musste, und die SPD sieht keinen Grund, ein Ausgleichsopfer zu bringen.
Und dann sind da noch viele Fragen und Widersprüche, zum Beispiel, wer Sebastian Edathy gewarnt hat vor den Ermittlungen in Sachen Kinderpornografie. Am Telefon ist jetzt Joachim Poß, Fraktionsvize der SPD im Bundestag und Mitglied im Vorstand der Partei. Guten Morgen, Herr Poß!
Joachim Poß: Guten Morgen!
Hatting: Hat diese Mediation bei Merkel was genützt?
Poß: Also zunächst mal ist schon die Sprache wichtig, auch in den Medien, mit denen man mit bestimmten Vorgängen umgeht. Es ist der Parteivorsitzende nicht zum Rapport bei der anderen Parteivorsitzenden gewesen, sondern man trifft sich, um eine bestimmte entstandene Lage zu erörtern.
Und was da nützt oder nicht nützt, das wird man dann sehen. Jedenfalls wäre die Große Koalition gut beraten, und nicht nur die Parteivorsitzenden, die diese Große Koalition führen, sondern alle, wenn dieser, wie ich finde, unnötige Modus der Skandalisierung, der in den letzten Tagen eingesetzt hat, verlassen würde.
Hatting: Es ist aus diesem Gespräch nichts nach außen gedrungen. Ist das schon mal ein Fortschritt, dass die Koalition zeigt, wir können auch schweigen?
Poß: Das ist je nach Anlass zu überlegen, wann man redet, wann man schweigt. Das ist so, das kann man nicht generalisieren. Und wenn Anlass gesehen wurde zu sagen, warum muss man ein Kommuniqué herausgeben, es geht auch ohne, dann wird das sicherlich gut überlegt sein.
Hatting: Sie haben gerade von einer Skandalisierung gesprochen - wen meinen Sie da?
Poß: Ich finde zum Beispiel, dass die CSU als ein Beispiel die Dinge unnötig skandalisiert in ihrem eigenen Stil, den sie ja pflegt mit der Bevölkerung oder, so sag ich mal, mit einem sehr starken populistischen Anhauch umzugehen, und deswegen neigt sie dazu, Dinge zu skandalisieren, die sie selbst hätte verhindern können.
Wenn Herr Seehofer Frau Merkel gesagt hätte, wir lassen den Herrn Friederich nicht so fallen, wie sie das möchte - Frau Merkel war ja dran gelegen, so schnell wie möglich sich von Herrn Friederich zu trennen, was ja seinen unverminderten Zorn trifft, wie man gestern Morgen noch im Fernsehen, im ZDF-Morgenmagazin sehen konnte, wo er zu Recht bemerkt hat, dass einige kalte Füße bekommen haben.
Es war auch juristisch überhaupt nicht eindeutig, dass man Herrn Friederich einen Vorwurf machen konnte. Es gab renommierte Verfassungsrechtler und Strafrechtler, die eine andere Auffassung vertreten haben als diejenigen, die meinten, er müsste unbedingt wegen der Information des SPD-Vorsitzenden zurücktreten. Von daher also ist sicherlich innerhalb der Koalition, insbesondere von der CSU, einiges gemacht worden dann mit öffentlichem Getöse, da dieser Herr Scheuer oder wie er heißt, Generalsekretär …
Hatting: Ja. Andreas Scheuer.
Poß: … und so weiter, das unnötig zuzuspitzen.
Hatting: Herr Poß, das klingt jetzt so, als hätte Herr Friederich gar nicht gehen müssen.
Poß: Nein, nach meiner Auffassung hätte er nicht gehen müssen. Er hat keine Geheimnisse verletzt, und wenn, dann sagen ja die Juristen, gibt es Gründe - man kann also Ausnahmen begründen, wenn man so etwas sagt. Und er hat es offenkundig gemacht, um Schaden abzuwenden in einer bestimmten Situation.
Man muss das von der politischen Dynamik her sehen: Wenn eine Koalition gebildet wird, das ist mit Personalentscheidungen verbunden, und da wären auch Leute wie Herr Edathy womöglich für diese oder jene Rolle vorgesehen gewesen. Und von daher, wie gesagt, war das durchaus umsichtig von Herrn Friederich, sich so zu verhalten.
Offenkundig gab es aber möglicherweise andere Gründe, um die Gelegenheit zu nutzen, sich von ihm zu trennen - ich weiß es nicht. Jedenfalls war dieses ganze Agieren weder stark überlegt, wie es der Kanzlerin nachgesagt wird, noch sonst was. Man hätte das Ganze vermeiden können.
Hatting: Heute soll der SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann vor dem Bundestagsinnenausschuss Stellung beziehen. Die Sitzung ist nicht öffentlich - soll jetzt die ganze Affäre Edathy am Souverän, also am Wähler vorbei verhandelt werden?
Poß: Es wird ja nichts an Wählerinnen oder an den Bürgerinnen und Bürgern, lassen wir mal den Begriff Wähler weg, vorbei verhandelt. Es wird ja in totaler Transparenz sozusagen öffentlich verhandelt jeden Tag. Wir leisten jetzt gerade einen Beitrag dazu. Also keine Legendenbildung, es gibt Tatbestände, die aus rein juristischen Gründen ein solches Format nahelegen.
Hatting: Wann haben Sie eigentlich als Fraktionsvize davon erfahren?
Poß: Ich bin kein Fraktionsvize mehr, ich habe mich bei der Wahl dann nicht mehr dafür aufstellen lassen. Ich bin aber im Parteivorstand, das ist richtig.
"Dürftigkeit des Vorganges in der Substanz"
Hatting: Wann haben Sie davon erfahren?
Poß: Ich hab davon erfahren - als sich Herr Edathy zurückgezogen hat, hat man davon erfahren. Das war ja dann auch öffentlich, und hat sich Gedanken machen, was denn dahinter steckt. Von den Vorgängen, um die es hier geht, habe ich erst erfahren wie alle anderen, die an der Mediendemokratie partizipieren, so wie Sie und ich, und nicht vorher.
Wobei mir schlüssig schien, das, was er dann später im "Spiegel" oder wem gesagt hat, "Spiegel Online", dass er seinen Rechtsanwalt beauftragt hat, nachdem er Mitte November von diesen Dingen in Kanada gehört hat. Das scheint mir schlüssig zu sein, denn ich kann mich erinnern, ich hab das sehr genau registriert, hab mich mit meiner Frau darüber unterhalten und so weiter. Das war doch schon ein Datum, das da irgendein Ring gesprengt wurde, und im Zentrum stand ja ein bestimmtes Unternehmen, bei dem Herr Edathy einige Jahre Kunde war.
Hatting: CDU und CSU wollen jetzt einen Untersuchungsausschuss. Macht die SPD da mit?
Poß: Die SPD hat ja da nichts zu fürchten, wenn es zu solchen Überlegungen kommen sollte. Ob es zweckdienlich ist, da hab ich meine Zweifel. Angesichts, sag ich mal, auch der Dürftigkeit des Vorganges in der Substanz - man kann über dieses oder jenes unterschiedlicher Auffassung sein, ob es einen Untersuchungsausschuss rechtfertigt oder ob das auch eine weitere Steigerung ist in diesem Modus der Skandalisierung, das lasse ich mal dahingestellt.
Hatting: Ist es jetzt nach Ihrer Meinung höchste Zeit, zur Sachpolitik zurückzukehren, also zum Beispiel die Kinderpornoindustrie besser zu bekämpfen?
Poß: Das wäre die angemessene Antwort. Mit allen zur Verfügung stehenden juristischen, nationalen, internationalen Möglichkeiten diesen Skandal der existierenden Kinderpornoindustrie wirklich viel stärker nachzustellen, auch auf der jetzt bestehenden Rechtsgrundlage.
Man kann meinetwegen über Verschärfungen nachdenken, das sollen die machen, die da eine entsprechende juristische Ausbildung haben, weil man kommt ja nie um gewisse Graubereiche herum, wie wir in diesem Fall auch wieder erleben. Aber dass offenkundig bei auch schärferem Recht wie in Kanada ein solches Unternehmen über Jahre das Unwesen treibt, das ist schon – das ist ein richtiger Skandal.
Hatting: Joachim Poß, ein Mitglied des SPD-Bundesvorstandes. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Poß!
Poß: Bitteschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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