Fachkräftemangel

Offene Türen

In einem Krankenhaus laufen Mitarbeiter über den Flur.
In einem Krankenhaus laufen Mitarbeiter über den Flur. © picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch
Von Anne Fromm · 23.06.2014
Der Fachkräftemangel in der Medizin ist gravierend - vor allem in den Provinzen. Krankenhäuser und Praxen rekrutieren vermehrt Ärzte aus dem Ausland. Allein in Sachsen ist der Anteil ausländischer Ärzte in den vergangenen zehn Jahren um gut 70 Prozent gestiegen. Im Klinikum in Hoyerswerda hat fast jeder zweite Arzt keinen deutschen Pass.
Vormittags in der Notaufnahme im Klinikum Hoyerswerda. Es ist viel los, alle Sitzplätze sind belegt. Es sind vor allem alte Menschen, die auf einen Arzt warten.
Der Orthopäde Peter Brath hat heute Dienst - ein großer, schlanker Mann, Brille, kurze braune Haare. Er ist 32 Jahre alt und steht kurz vor seiner Facharztprüfung. Seit sieben Jahren ist er am Klinikum Hoyerswerda. Nach seinem Studium in Bratislawa kam er direkt nach Hoyerswerda.
Peter Brath: "Ich hab dann einmal einen ehemaligen Kollege vom Studium getroffen und der hat mir gesagt, ob ich nach Deutschland kommen möchte. Das war damals für mich nicht so richtig vorstellbar, ich dachte, dass das gar nicht geht oder kompliziert ist und ich Probleme haben werden und kam dann alles so schnell, wo war ich fertig mit Medizinstudium."
Ein Headhunter hat Brath schließlich nach Deutschland geholt. Am Klinikum in Hoyerswerda ist er einer von knapp 60 ausländischen Ärzten. Die meisten kommen, so wie Brath, aus der Slowakei. Aber auch aus Usbekistan und Syrien. Peter Brath versteht, was sie nach Deutschland lockt.
"Ich denke die finanziellen Vorteile sind klar, was auch die Ärzte betrifft, die Vergütung und dann natürlich auch die Kliniken, die Ausstattung allgemein ist besser. Dann hat jeder als Arzt das Interesse daran, dass er so viel wie möglich machen kann, ob assistieren oder selber lernen kann, und natürlich die Möglichkeiten sind dann hier größer."
In Behandlungszimmer sechs empfängt Peter Brath eine Patientin. Die junge Frau hat seit Tagen Schmerzen im Knie und kann nur schwer laufen.
Peter Brath hatte vor seinem ersten Vorstellungsgespräch noch nie von Hoyerswerda gehört.
"Vielleicht ist es ein Schock am Anfang weil, man erwartet wenn man aus Slowakei nach Deutschland kommt, dass alles modern wird und groß, also hab nicht gedacht, dass ich in eine kleine Stadt komme, wo das Leben anders ist."
Die NPD sitzt wieder im Stadtrat
Klein und mit besonderer Geschichte: In den 90er-Jahren wurde Hoyerswerda für rechte Gewalt bekannt. Mehrmals griffen Neonazis Ausländerunterkünfte an und jagten Flüchtlinge durch die Stadt. Peter Brath hat von all dem nichts gewusst.
"Ich hab das erst hier erfahren, im Krankenhaus, wo sich Ärzte oder andere darüber unterhalten, also im Prinzip während des Frühstücks oder im OP über die Geschichte oder vielleicht war das irgendwo erwähnt in den Medien gerade."
Die Ausländerhetze von Hoyerswerda ist zwar lange her. Mittlerweile sitzt die NPD aber wieder im Stadtrat. Der Ausländeranteil in der Stadt liegt bei einem Prozent. Im Klinikum bei 40 Prozent.
"In der Notaufnahme kommen immer wieder Patienten, vielleicht am Wochenende oder in der Nacht, die unter Alkohol sind oder andere Gefühle haben. Da kommen schon mal Sprüche, aber ich hatte damit nie Probleme gehabt."
Dass Peter Brath so viele ausländische Kollegen hat, ist der Verdienst von Andreas Grahlemann. Er ist Geschäftsführer des Seenlandklinikums, sein Büro ist nur ein paar Schritte von der Notaufnahme entfernt. Als er vor acht Jahren an das Haus kam, gab es nicht genug Ärzte.
Andreas Grahlemann: "Wir haben damals überlegt, wie kommen wir an Ärzte ran und da gab es auch schon den einen oder anderen ausländischen Kollegen bei uns und da dachten wir: Die machen sich sehr gut und sind dann damals den sehr aufwendigen Weg gegangen und haben und an Ärztemessen in osteuropäischen Ländern beteiligt und haben versucht, die Ärzte an den Unis anzusprechen um sie für Hoyerswerda zu begeistern."
Hoyerswerda ist um die Hälfte geschrumpft
Seit der Wende ist Hoyerswerda um die Hälfte geschrumpft - der Großteil der heutigen Bewohner ist über 50. Junge Leute zieht es kaum in die Provinzstadt. Andreas Grahlemann entwarf Prospekte, die Hoyerswerda als Paradies für Naturliebhaber zeigt. Mit Erfolg. Jedem Neuankömmling bezahlt das Krankenhaus ein Hotel für den Anfang, organisiert Deutschkurse und gemeinsame Ausflüge. Die meisten Ärzte ziehen dennoch nach ein paar Jahren weiter - zurück nach Hause oder in die nächste Klinik. Hoyerswerda bietet ihnen nicht viel: Drumherum gibt es zwar viel Grün und Seen, ideal zum Fahrradfahren, Laufen oder für Wassersport. Kultur und Nachtleben sind aber weit entfernt. 80 Kilometer sind es bis Dresden.
"Es tut uns schon weh, wenn gute Leute, die viele Jahre hier sind, wenn die dann weggehen. Es würde diese Einrichtung gar nicht mehr geben wenn wir unsere Ausländer nicht hätten."
Die endgültige Lösung für den Ärztemangel in Deutschland sieht Grahlemann in den ausländischen Ärzten dennoch nicht.
"Wir haben ja Zum Teil Ärzte hier aus den ärmsten Ländern Europas. Die werden dort staatlich ausgebildet, der Staat steckt in diese junge Intelligenz viel Geld, in der Hoffnung, der Erwartung, dass dort die Patienten versorgt werden. Aber gerade die wenden dann ihrem Heimatland den Rücken und kommen zu uns, weil das reiche Deutschland immer mehr Ärzte braucht. Und dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn dann eines Tages die Patienten nachkommen, wenn wir dort die Ärzte abwerben."
Mittagspause für Peter Brath. In vier Stunden hat er Feierabend, dann ist Wochenende. Früher ist er jeden Freitag nach Bratislawa gefahren, das macht er heute nicht mehr. Mittlerweile ist auch seine Frau aus der Slowakei gekommen. Sie ist auch Ärztin am Klinikum und gerade mit der kleinen Tochter in Elternzeit. Heimkehren kommt für die junge Familie erstmal nicht in frage.
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