Exzentrische Hobbys in Großbritannien

Von Schwänezählern und Nacktgärtnern

Helfer in Ruderbooten sind bei der traditionellen Zählung der königlichen Schwäne auf der Themse in Großbritannien unterwegs.
Schwänezählen auf der Themse ist seit dem 12. Jahrhundert Tradition in Großbritannien. Heutzutage dient es dem Schutz der Schwänepopulation. © dpa/ picture-alliance/ Teresa Dapp
Von Gaby Biesinger  · 08.02.2016
Die Briten gelten ja gerne als etwas verschroben. Das liegt auch an ihren Hobbys. Wir stellen exemplarisch einige vor: Kirchglocken läuten und Wolken wertschätzen. Nicht zu vergessen: Krieg spielen.
Donnerstagabend in einer kleinen Seitenstraße nicht weit vom Tower of London. An dem schmiedeeisernen Tor am Hintereingang zum verwilderten Kirchgarten von St. Olave trudeln nach und nach junge Leute ein.
"Ich heiße Rebecca und bin heute Abend hier, um Kirchenglocken zu läuten. Ich habe das Läuten gelernt, als ich zehn Jahre alt war. Meine Eltern läuten und haben mich immer mitgenommen in den Glockenturm, sie sind auch zu anderen Kirchen gereist und haben dort geläutet. Und als ich alt genug war, wollte ich es auch unbedingt lernen."
Rebecca ist 22 Jahre alt, sie hat gerade Examen gemacht, nach ihrem Biologiestudium an der Queen Mary Universität. Als sie damals zum Studieren aus ihrem Heimatort Lewis in Sussex nach London kam, hat sie sich als erstes bei der University of London Society of Bell Ringers angemeldet. Bei der Gemeinschaft der Glöckner - so hatte sie auf einen Schlag ihr liebgewonnenes Hobby und einen Freundeskreis in der neuen Stadt:
"Nach dem Läuten gehen wir auch immer noch in den Pub und trinken ein paar Bier. Obwohl ich jetzt nicht mehr an der Uni bin, komme ich trotzdem noch hierhin. Man ist hier quasi Mitglied auf Lebenszeit und auch später immer wieder willkommen."
Und manche Glöckner träumen von dem großen Ziel, möglichst viele dieser Türme abzugrasen schmunzelt Tom:
"Man nennt das "Tower-Grabbing". Ich finde es zwar auch ganz interessant, mal wo anders zu läuten, wegen der Atmosphäre, aber manche Leute haben richtige Listen auf denen sie abhaken, wo sie überall schon geläutet haben."
Aber jetzt mal ganz ehrlich: Was sagen denn die Kommilitonen und Freunde an der Uni zu dem Hobby? Sonntags früh, wenn andere aus dem Club gerade nach Hause kommen, Kirchenglocken läuten? Hipp ist das ja nicht gerade. Tim zuckt mit den Schultern:
"Das ist mir ziemlich egal. Meine Freunde wissen sowieso, dass ich etwas exzentrisch bin. Auf einem Werbeprospekt vom Dachverband der Bell Ringer, der in Kirchen ausliegt und Jugendliche zum Glockenläuten bringen soll, steht sogar schwarz auf weiß: Bell ringing war nie cool und ist nicht cool. Versucht gar nicht erst, es als cool zu verkaufen. ... .Ich persönlich finde schon, man trifft hier coole Leute. Es macht einfach Spaß. Aber da darf ja jeder seine Meinung haben, was cool ist und was nicht."
Wolkenliebhaber gucken begeistert in den Himmel

Systematisch Listen abhaken um ihr Hobby zu betreiben - das wäre unvorstellbar für die Mitglieder der britischen "Cloud Appreciation Society". Die Gesellschaft der Wolkenwertschätzer genießt es, einfach immer mal wieder absichtslos in den Himmel zu gucken. Der Erfinder des Wolkenclubs, Gavin Pretor-Pinney, glaubt, dass Wolken glücklich machen. Sogar bei strömendem Regen.
Dicke Wolken am Himmel über dem Meer
Die Mitglieder der "Cloud Appreciation Society" lieben die Entschleunigung.© picture alliance / dpa / Stefan Sauer
Der Gründer der Cloud Appreciation Society, des Clubs der Wolkenwertschätzer, wohnt mit seiner Familie in einer umgebauten Scheune, abgelegen, im Nichts:
"Heute ist ganz sicher kein guter Tag zum Wolkengucken, aber das kann man eben nicht planen."
Und damit sind wir im Grunde schon mitten drin, in der Philosophie der Wolkenliebhaber. Von der Schönheit einer Wolke überwältigt zu werden - das passiert einem, wenn man offen dafür ist und immer mal wieder absichtslos in den Himmel guckt. Aber nicht, weil man einen Termin dafür gemacht hat:
"Es ist ein Moment der meteorologischen Meditation. Man kann nicht sagen: Um 14 Uhr gucke ich Wolken an. Sondern man muss die Gelegenheit erkennen und wahrnehmen, wenn sie da ist."
Nichtstun sei ja verpönt in der Gesellschaft meint der Chef des Clubs der Wolkenfreunde. Jede Minute müsse genutzt werden, beim Warten auf den Bus fummelten alle an ihren Handys rum. Abschalten, einfach mal eine Weile in den Himmel zu gucken - für so viel Müßiggang müsse man sich heute ja fast schon schämen.
"Wolken zu beobachten verfolgt keine Absicht, es genügt sich selbst. Aber obwohl es zweckfrei ist, ist es doch längst nicht sinnlos. Es ist eine gute Entschuldigung fürs Nichtstun. Und das wird in unserer Gesellschaft zunehmend wertvoller."
Und wenn man dann absichtslos nach oben guckt und weiße Fetzen über den Himmel jagen sieht, kann man seiner Phantasie freien Lauf lassen.
"Die Interpretation gibt etwas über das Unterbewusstsein preis."
Gavin Pretor-Pinney hat in Oxford Philosophie und Psychologie studiert. Er macht Filme über Wetter und Wolken, hält Vorträge und hat mehrere Bücher über Wolken geschrieben, unter anderem den "Cloudspotters Guide" - eine Anleitung zum Wolkengucken. Sind Wolkengucker glücklichere Menschen?
"Das würde mich freuen! Unsere Wolken-Gesellschaft hat ein Manifest, in dem es heißt: Wolken sind etwas für Träumer. Die Kontemplation nährt die Seele. Alle, die in Wolken Formen erkennen, sparen das Geld für den Psychoanalytiker."
Doch die Wolkengucker-Gesellschaft macht sich nicht nur über ihre Mitglieder Gedanken, sondern auch über die Wolken. Die haben nämlich sprachlich ein schlechtes Image. Wenn am Horizont dunkle Wolken aufziehen, droht Unheil. Depressionen lagern wie dunkle Wolken auf dem Gemüt, aber natürlich sind auch nicht alle Wolken eitel Sonnenschein. Gavin deutet aus dem Wohnzimmerfenster. Die Stratuswolke, der konturlose graue Flatsch, der heute den Himmel bedeckt, ist wirklich ein übler Genosse, der sich hartnäckig festsetzen kann:
"Da rührt sich gar nichts - wie ein ungebetener Gast bei einer Party."
Manche Briten schwören auf Nacktgärtnerei
Regenwetter - das stört nicht nur beim Wolkengucken sondern auch bei der Gartenarbeit. Vor allem wenn man dabei nackt ist. Kein Scherz, manche Briten schwören auf Nacktgärtnerei. Aber auch die meisten anderen, angezogenen Inselbewohner lieben ihre Gärten, englischen Rasen, üppige Blumenbeete. Die Rose ist die Nationalblume Englands und wird mit besonders großer Hingabe gezüchtet.
Die Besessenheit mit Rosen, mit Blumen, mit Gärten insgesamt ist tiefer Ausdruck des englischen Wesens, erklärt Alan Titchmarsh.
"Wir sind auf stille Art leidenschaftlich. Wir zeigen unsere Gefühle beim Gärtnern."
Titchmarsh ist in Großbritannien eine nationale Institution. Er schreibt Bücher und moderiert Gartensendungen im Fernsehen. Zur besten Sendezeit gucken ihm Millionen Briten zu, wie er mit der Gartenschere einen Rosenstrauch bearbeitet. Ein Garten ohne Rosen, das geht gar nicht, meint Alan, wegen der tollen Blüten und Farben, und wegen des Duftes.
Dass die "englische Rose" auch weltweit berühmt wurde, ist David Austin zu verdanken. Seit 60 Jahren veredelt der Mann, den sie hier "Rosenpapst" nennen, seine ganz speziellen Züchtungen. Dass er mit seinen Rosen von Albrighton bei Birmingham aus einmal die ganze Welt erobern würde, damit hätte David Austin nie gerechnet, als er 1961 seine erste, die Duftrose Constance Spry kreierte.
"Mit keiner anderen Blume hätte man weltweit so den Markt erobern können."
Austins Sohn, der wie sein Vater auch David heißt, hat auch die Rosenleidenschaft seines Vaters geerbt. Ist das ein Job - oder ein typisch britischer Spleen, so in einer bestimmten Sache aufzugehen?
"Eine gute Frage. Es ist Leidenschaft - etwas Besessenheit auch. eine wunderbare Zeit, seine Zeit zu verbringen."
Auch Barbara und Ian Pollard aus Malmsbury verbringen gerne viel Zeit in ihrem Garten und pflegen ihre Blütenträume. Etwas speziell dürfe dabei sein, dass sie ihre Gartenarbeit splitterfasernackt verrichten. Der Kontakt zur Blume sei einfach intensiver, erklärt Barbara.
"Du nimmst bewusster wahr, was um dich herum passiert. Ich bekomme 'Good Vibrations' und von guten Schwingungen profitiert die Pflanze auch."
"War and Peace"-Show zieht jeden Sommer 100.000 Besucher an
Von Briten, die nackt ihre Blumen streicheln jetzt zu Briten, die gerne in alten Militäruniformen rumlaufen. 100.000 Besucher pilgern jeden Sommer nach Folkestone in Südengland zur fünftägigen "War and Peace"-Show: die verspricht einen fröhlichen Tag für die ganze Familie. Mal in einen Panzer klettern - oder gleich eine ganze Schlacht nachspielen.
Der Vietnamkrieg beginnt mit 20 Minuten Verspätung. Klaus und Oliver aus Mettmann werden hinter dem Absperrgitter am Rande des Schlachtfelds langsam ungeduldig: Die Amerikaner haben ihr Geschütz schon in Stellung gebracht und rauchen gelangweilt. Die Vietkong trödeln rum und erscheinen nicht pünktlich auf der Anhöhe. Und plötzlich steht man vor einem Stück Berliner Mauer.
Zwei Mädchen in Uniform singen zur Gitarre und Ines aus Magdeburg kontrolliert in original DDR-Grenzer-Uniform an einem kleinen Schalter die Papiere. Seit 12 Jahren reisen sie und ihre Freunde mit einem Mauerstück und original Grenzübergangsschildern zu Shows wie diesen um den Briten die Geschichte mit der Mauer zu erklären:
"Wir haben immer mal wieder erlebt, dass Leute unsere Show für ihre politischen Zwecke missbrauchen wollten, die müssen dann gehen. Wir passen an der Stelle gut auf."
Cadman ist es wichtig klarstellen, dass die "War and Peace"-Show kein Sammelbecken für verschrobene oder gar politisch fragwürdige Militärfreaks ist, sondern ein harmloser Familienspaß.
Seit dem 12. Jahrhundert Traditionshobby: Schwänezählen
Von den staubigen Schlachtfeldern in Folkestone zur beschaulichen Themse bei Richmond. Eben noch paddelte die Schwanenfamilie majestätisch und ungerührt die Themse hinauf. Jetzt wird das Schwanenpaar mit seinen Jungen von sechs Ruderbooten umzingelt.
Königliche Schwäne auf der Themse werden markiert.  
Königliche Schwäne auf der Themse werden markiert. © picture alliance / dpa / Sam Pearce
"All up" - das Kommando an alle Männer in den Booten, die Jungschwäne aus dem Wasser zu heben. Die Schwaneneltern plustern sich auf, krakeelen und schlagen mit den Flügeln, doch bei den Männern in den Booten sitzt jeder Handgriff: Blitzschnell haben sie die Jungvögel gepackt und ihnen die Beinchen auf dem Rücken zusammengebunden. Kein ungefährlicher Job, lacht Roger, einer der Ruderer, der seit 16 Jahren beim Schwänezählen hilft:
"Ernsthafte Verletzungen hatten wir noch nicht, aber jeder geht mit Schrammen und blaue Flecken nach Hause. Letztes Jahr hat sich ein großer Schwan so heftig gewehrt, dass er mir mit seinen Krallen das Hemd über der Brust zerrissen hat, da habe ich jetzt Narben."
Der königliche Schwan-Zähler, David Barber, trägt eine knallrote Uniform und eine große Schwanenfeder an der Mütze. Er und eine Kollegen wiegen die jungen Schwäne mit einer kleinen Handwaage, messen den Umfang. Barber notiert alles in einem roten Buch. Dann werden die Jungschwäne wieder ins Wasser gesetzt:
"Als die Schwanenzählung um 1200 begann ging es darum, dass die Schwäne ein wichtiges Nahrungsmittel waren, für Könige und Adelige, für rauschende Festbankette. Heute geht es darum, die Schwanenpopulation stabil zu halten und die Menschen auf die Bedürfnisse von Schwänen aufmerksam zu machen."
Die kleine Prozession der sechs Mahagoni-Boote schippert weiter. Barber thront mit ernstem Blick auf einer Holzkiste mit dickem Kissen in der Mitte des Boots, drei Ruderer bringen ihn Stunde um Stunde Themseaufwärts. Bei der nächsten Anlegestelle wartet eine Schulklasse. Die siebenjährige Abigail darf einen Schwan streicheln: "Er ist ganz weich und nass und etwas klebrig."
Jerry MacCarthy vom Schwanen-Zähl-Team kramt aus einer Tupperdose verknotete Angelschnuren, Angelhaken und ramponierte Fischköder. Das sind die Sachen, die Angler achtlos liegenlassen und an denen Schwäne sich verletzen, erklärt er:
"Wenn Ihr beim Spazierengehen mit Euren Eltern am Flussufer sowas seht, dann hebt das vorsichtig auf, die Haken sind scharf. Und bittet Eure Eltern, das zu Hause wegzuwerfen. Das kann Euer Beitrag sein für die Schwäne auf der Themse."
Die Herren klettern wieder in die Boote und mit wehender königlicher Standarte am Heck geht es weiter den Fluss hinauf. Richard ist mit seinem Fahrrad am Ufer stehengeblieben und schaut hinterher. Er hatte am Abend vorher die Ankunft des Bootes in Windsor beobachtet und radelt seitdem am Ufer nebenher:
"Ein tolle britische Tradition. Gesten haben sie einen Toast auf die Queen ausgebracht, alle sehr schick in ihren Uniformen. Das ist eine interessante Tradition, die wir beibehalten sollten."
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