Extremisten

Unheilige Allianz gegen Europa

Die Extreme berühren sich – jedenfalls bei diesen Plakaten zur Bundestagswahl 2013. In guter Nachbarschaft sind AfD, Die Republikaner, Die Linke und die MLPD zu finden.
Die Extreme berühren sich – jedenfalls bei diesen Plakaten zur Bundestagswahl 2013. In guter Nachbarschaft sind AfD, Die Republikaner, Die Linke und die MLPD zu finden. © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Von Simone Schmollack · 22.08.2015
Der österreichische Politologe Anton Pelinka vertritt so etwas wie eine Hufeisen-Theorie, nach der zwei unterschiedliche Haltungen als gleichwertig dargestellt werden. Rechte und linke Extremisten können beispielsweise einen Anspruch auf Totalitarismus oder eine Art Realitätsverweigerung teilen.
Was haben rechte Parteien wie die ungarische Jobbik und der französische Front National mit der deutschen Linkspartei gemeinsam? Alle drei lehnen ein geeintes Europa ab – zumindest so, wie es jetzt existiert. Natürlich unterscheiden sich die Gründe, die sie in eine "unheilige Allianz" führen, wie der österreichische Nationalismusforscher Anton Pelinka meint. Statt Europa wollten die extremen Rechten mehr Nationalstaatlichkeit, die extremen Linken weniger Kapitalismus.
"Die extreme Rechte tritt dem sich einigenden Europa mit prinzipieller Unversöhnlichkeit gegenüber. Den Ansprüchen der extremen Linken kann es dieses Europa niemals recht machen." (Seite 10)
Rechter und linker Antimodernismus
Ein vereintes Europa stehe für die Moderne, die Weiterentwicklung der Aufklärung. Jene, die es ablehnen, zeigten sich als Vertreter eines Antimodernismus. Die Rechten würden die Zerstörung von nationalem Kulturgut befürchten, die Linken sich immer wieder an Europas sozialen Grenzen stoßen. Brüsseler Politik sei in der misslichen Lage, mit gesellschaftlichen Strömungen umgehen zu müssen, denen Mühe und Regeln fremd sei, zu gemeinsamen supranationalen Entscheidungen zu kommen.
"Beiden Extremisten ist gemeinsam, dass sie das mühsame Ringen um Kompromisse, die schwierigen Kalküle der Strategien zur Herstellung von Mehrheiten ablehnen." (Seite 71)
Damit vertritt der Politologe so etwas wie eine Hufeisen-Theorie, nach der zwei unterschiedliche Haltungen als gleichwertig dargestellt werden. Neben ideologischen Unterschieden könnten sie auch Gemeinsamkeiten aufweisen: beispielsweise einen Anspruch auf Totalitarismus oder eine Art Realitätsverweigerung.
Anton Pelinka: "Die unheilige Allianz"
Anton Pelinka: "Die unheilige Allianz"© Böhlau Verlag
So ist die Demokratie nach Ansicht linker Extremisten im Formalen steckengeblieben, weil sie weder auf nationaler noch auf europäischer Ebene die Wirtschaftsordnung in Frage stellt. Oder anders formuliert: Einmal Kapitalismus, immer Kapitalismus, die Reichen bleiben reich, die Armen werden ärmer.
"Die extreme Linke ist ... auf eine perfekte Zukunft fixiert, in der die Gegensätze und Spannungen sich letztlich in einer Gesellschaft ohne Klassen und Nationen einfach verflüchtigen." (Seite 82)
Auch rechte Extremisten geben europäischer Demokratie keine Chance. Vielmehr sei sie von den USA aufgezwungen worden und zerstöre Nationalstaaten, anstatt nationale Gemeinschaft zu fördern.
"Die extreme Rechte glaubt mit Sicherheit zu wissen, dass jede Überwindung der Differenzen zwischen Völkern und Nationen nicht möglich ist, weil sie der 'Natur' widerspricht." (Seite 82)
Um all das zu erklären, holt Anton Pelinka weit aus. Ihn beschäftigt europäisches Proletariat ebenso wie Okzidentalismus und Judentum oder Maoismus und Stalinismus. Mitunter gelingt es ihm, auf einer Buchseite Kreuzzüge im Mittelalter, Hitlers Wehrmacht und italienische Restaurants in London als Symbole der Globalisierung unterzubringen.
Nationalsozialistischer und stalinistischer Ursprung
Ein Ursprung totalitärer Ideen von heute liege gar nicht so weit zurück: im Stalinismus wie im Nationalsozialismus. Beide Systeme zeichneten sich durch "Social Engineering" aus. Das heißt, durch staatliche Eingriffe sollte die Gesellschaft uniform werden, bis in einer "paradiesischen Endgesellschaft", wie Pelinka schreibt, ein "neuer Mensch" entsteht.
Beides ist bekanntermaßen schief gegangen, mit millionenfachen Opfern. Der Verlust an Realitätssinn, das Nichtverstehen einer komplexen und multikulturellen Gesellschaft aber lebten im Extremismus des 21. Jahrhunderts fort.
Das alles mag interessant und wichtig sein – für Politikwissenschaftler, Europa-Experten und Historiker. Der Leser jedoch, der einfach nur mehr über Europa wissen möchte, dürfte überfordert und gelangweilt sein von zwölf Kapiteln, in denen der Autor seine These immer wieder neu herleitet.
Und wer gar Genaueres erfahren will, was rechte und linke Parteien, rechte und linke Extremisten zu Migration und Krisen in der Europäischen Union denken und sagen, der liest dann doch besser die Tagespresse.

Anton Pelinka: Die unheilige Allianz. Die rechten und die linken Extremisten gegen Europa
Böhlau Verlag, Wien Köln Weimar, April 2015
195 Seiten, 35 Euro

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