Extremismus-Forscher Hajo Funke

"Man muss die AfD stellen!"

Demonstranten protestieren mit einem Banner und der Aufschrift "Herr Gabriel: Sie sind nicht das Volk! Unsere Kritik an zügelloser Armutseinwanderung ist kein Fremdenhass! Die Vaterlandsliebe ist unsere unheilbare 'Krankheit'!" am 07.10.2015 in Erfurt (Thüringen) gegen die Asylpolitik. Die rechtskonservative AfD hatte zur Demonstration aufgerufen. Die Polizei sprach zum Auftakt der Kundgebung von 5000 Teilnehmern, die Zahl der Gegendemonstranten wurde mit 800 angegeben.
Anhänger der AfD bei einer Demonstration © Martin Schutt / dpa
Moderation Ute Welty · 27.02.2016
Der Einzug der Alternative für Deutschland in drei Landesparlamente im März scheint sicher. Der Politologe Hajo Funke sieht die etablieren Parteien in der Verantwortung, den Rechtsruck der AfD zu "kennzeichnen" und deren Erfolg durch besseres Krisenmanagement in der Flüchtlingspolitik zu bremsen.
Der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke fordert mehr inhaltliche Konfrontation mit der Alternative für Deutschland (AfD), sieht deren Erfolg aber langfristig nicht zwangsläufig gesichert.
"Man muss die AfD stellen, in ihrem Rassismus, in ihrem Rechtsradikalismus, indem sie das Gemeinwesen nicht fördert, sondern gefährdet", sagte Funke im Deutschlandradio Kultur.

Ausgrenzen und Ignorieren ist falsch

Die Entscheidung von Politikern in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, sich in Diskussionsrunden vor der Wahl nicht mit Vertretern der AfD an einen Tisch zu setzen, hält Funke für falsch. Gerade angesichts von Umfragewerten, nach denen die AfD im zweistelligen Bereich liegt, müsse die Partei in ihren Ansichten und ihrem Rechtsruck "gekennzeichnet" werden. Vor allem auch die Große Koalition sieht Funke gefordert, dem Erfolg der AfD mit besserem Krisenmanagement in der Flüchtlingspolitik etwas entgegenzusetzen. Mitschuld am AfD-Höhenflug sei auch die Zerstrittenheit der Großen Koalition, erklärte der emeritierte Professor für politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

Schießbefehl-Relativierungen "nicht sehr glaubwürdig"

Funke sieht die heutige AfD deutlich weiter rechts als vor der Abspaltung des wirtschaftsliberalen Flügels um AfD-Gründer Bernd Lucke. Dies belegten die Aussagen über Schießbefehle gegen Flüchtlinge von AfD-Spitzenpolitikern wie Frauke Petry oder Beatrix von Storch. Spätere Relativierungen hält Funke "für nicht sehr glaubwürdig". Bereits der AfD-Politiker Marcus Pretzell habe einen Schießbefehl als gerechtfertigt erklärt. Auch die Äußerungen von Partei-Vize Alexander Gauland zum Untergang Roms durch den Ansturm völkerwandernder Barbaren und zur Pegida-Bewegung kritisierte Funke. Gauland habe seine Aussage, dass Pegida der natürliche Verbündete der AfD sei, nicht zurückgenommen "obwohl wir inzwischen aus Umfragen und Studien wissen, dass die Pegidabewegung in bitterem Rassismus macht", sagte Funke: "Da wird sichtbar, welch Geistes Kind diese Parteispitze ist."

Wählerzustimmung hat sich abgeschwächt

Der Zustimmung der Wähler zur AfD habe sich aber angesichts solcher Äußerungen bereits wieder abgeschwächt, erklärte Funke. Dies sei zwar nicht bei denjenigen der Fall, die im "Rausch des Ressentiments" befangen seien, sondern bei Protestwählern, die den etablierten Parteien einen Denkzettel geben wollten. Im Osten sei es der AfD gelungen, einen Teil der Wähler mit autoritärem Potenzial zu gewinnen. Den Erfolg beim Wähler und die Zukunft der AfD sieht Funke aber nicht zwangsläufig gesichert: "Wenn die Krisenbewältigung ein bisschen besser funktioniert als gegenwärtig, auch durch die innere Zerstrittenheit der Großen Koalition, dann ist es noch nicht einmal sicher, ob sie im nächsten Bundestag sitzt." Auch Vergleiche mit Weimarer Verhältnissen hält Funke für verfehlt.
Gemeinsam mit dem Publizisten Micha Brumlik hat Funke anlässlich der Landtagswahlen am 13. März unter dem Titel "Demokratie verteidigen. Die rechtsradikale AfD stellen" acht Thesen zur AfD veröffentlicht.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Meinungsforscher zu sein, das ist in diesen Tagen ein ziemlich spannender Job. In Baden-Württemberg liefern sich Grüne und CDU ein Kopf-an-Kopf-Rennen, dort wird ja bekanntlich am 13. März gewählt. Und auch wenn in Berlin nicht gewählt wird, hier verliert die Große Koalition und die AfD gewinnt! Bundesweit bleibt die AfD zweistellig. Und auch das kann die etablieren Parteien und womöglich auch die Linke nicht freuen, denn auch sie verliert Stimmen an die selbsternannte Alternative für Deutschland. Wie darauf reagieren? Das bespreche ich jetzt mit dem Parteienforscher Hajo Funke, einem ausgemachten Experten für Rechtsextremismus. Guten Morgen, Herr Funke!
Hajo Funke: Guten Morgen!
Welty: Ohne den Ergebnissen vorgreifen zu wollen: Die AfD wird am 13. März zu den Wahlsiegern gehören. Von CDU und SPD hört man im Vorfeld vor allem, dass man das nicht überbewerten soll. Ist Ruhe die erste Parteienpflicht?
Funke: Sicher auch eine, jedenfalls gegen die Hysterie, dass wir am Ende von Weimar seien.
Welty: Aber hilft das auch?
Funke: Man muss die AfD stellen und man muss zugleich sagen, dass man weiter regieren kann und will, und dazu ein besseres Krisenmanagement zur Flüchtlingskrise vorlegen.
Welty: Offensichtlich ist ja das eine so schwierig wie das andere, gerade in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat es ja ein ziemlich unerfreuliches Hin und Her gegeben, was die Diskussionsrunden vor der Wahl angeht: Sitze ich da jetzt mit der AfD an einem Tisch, will ich das lieber nicht machen … Ist das eine richtige Verfahrensweise?

Die AfD stellen in ihrem Rassismus, in ihrem Rechtsradikalismus

Funke: Bei zwei Prozent kann man das machen, wenn man diese Partei aus guten Gründen nicht mag. Bei zwölf Prozent oder elf oder zehn, je nachdem, wie so die Umfragen das voraussagen wollen, ist das was anderes. Da muss man die AfD stellen in ihrem Rassismus, in ihrem Rechtsradikalismus, in dem, dass sie das Gemeinwesen nicht fördert, sondern gefährdet.
Welty: Wie sieht denn eine Argumentationshilfe in diesem Zusammenhang aus?
Funke: Ich glaube, dass es wichtig ist, die Partei angemessen zu kennzeichnen. Der alte Parteiflügel ist weg, der dominiert hat, also der unter Bernd Lucke. Dieser Flügel – eine moderate Rechtspartei, die sich um EU und Euro kümmert – ist weggeputscht worden, an die Stelle ist ein radikaler Flügel angetreten mit dem Chefstrategen Alexander Gauland, mit Björn Höcke, dem Agitator, oder mit Frauke Petry, die sich für den Schießbefehl an der deutschen Grenze gegen Flüchtlinge aus…
Welty: Wobei sie das ja immer wieder versucht hat, auch in Interviews, zu relativieren.

"Da wird sichtbar, wes Geistes Kind die Parteispitze ist"

Funke: Na ja, dafür hat Frau Storch dann gleich nachgelegt und das auch relativiert, weil ihr die Maus sozusagen aus der Hand gerutscht sei. Das ist nicht sehr glaubwürdig. Herr Prezell hatte Monate vorher das schon gesagt, wurde darin von Herrn Gauland unterstützt. Nein, da wird sichtbar, wes Geistes Kind diese Parteispitze ist. Es wird auch sichtbar in der Äußerung von Alexander Gauland, dass Rom durch den Ansturm der Barbaren untergegangen sei, und Deutschland gemeint hat. Denn so hat er auf der AfD-Kundgebung in Berlin, die ich beobachtet habe, geredet. Er spricht davon – das ist vielleicht das Bemerkenswerteste –, dass Pegida der natürliche Verbündete sei, und hat es bisher nicht zurückgenommen, obwohl wir inzwischen auch durch Umfragen und Studien wissen, dass sie in bitterem Rassismus macht, diese Pegida-Bewegung.
Welty: Bei all dem, was Sie beschreiben, da liegt es ja quasi auf der Hand, was man dieser Partei entgegensetzen kann und soll. Nur, auf der anderen Seite scheint das ja nicht zu funktionieren, der Zuspruch bleibt ja! Die Argumente scheinen ja nicht zu greifen.

Abschwächen des Zustroms

Funke: Doch, doch, das sehe ich anders. Also, diese Entwicklung ist ja neu. Und sie hat ja schon zu einem Abschwächen des Zustroms geführt. Die Äußerungen zum Schießbefehl – halb zurückgenommen oder auch nicht – haben irritiert. Nicht diejenigen, die sozusagen im Rausch des Ressentiments gefangen sind und alle Flüchtlinge zum Teufel scheren lassen wollen, aber diejenigen, die sagen, wir wollen einen Denkzettel geben, wir wollen der CDU, die nicht klar genug Krisenmanagement betreibt, oder die die falsche Politik macht, einen Denkzettel geben. Und das ist der andere Teil derjenigen, die bisher jedenfalls am 13. März und wahrscheinlich auch die AfD wählen.
Welty: Nicht nur die CDU muss Stimmen abgeben an die AfD, allen Beobachtungen nach wohl auch die Linkspartei. Wie erklären Sie das? So richtige Schnittmengen bieten sich ja auf den ersten Blick nicht an.
Funke: Es gibt ein autoritäres Potenzial, insbesondere im Osten, wo diese Partei die Linke, besonders auch verankert ist. Also, ich habe mal gesagt: Man hätte diese Partei die Linke erfinden müssen, wenn es sie denn nicht gegeben hätte, als eine, die versucht, das autoritäre Potenzial, das ihnen zuströmt oder ihnen zugeordnet wird, eben gewissermaßen reformfähig zu machen für wenn auch eine linke Version der Demokratie. Und das ist durch die Moderaten in dieser Partei durchaus zu großen Teilen gelungen. Sie ist keine stalinistische Partei mehr, ganz und gar nicht, sie ist im Außenpolitischen für die anderen Parteien nicht kooperationsfähig, nun gut, aber sie ist keine antidemokratische Partei mehr. Ein Teil derjenigen, die aber ihre Enttäuschung nur noch in der Partei die Linke repräsentiert sahen und ihren Protest darin festgemacht haben, suchen nun neuen Protest. Und das ist dann die AfD, leider.
Welty: Wie sehen Sie die Zukunft der AfD? Geht sie eher den Weg der Piraten, also den Weg allen Irdischen, oder entwickelt sie sich eher zu einer treibenden Kraft wie die Grünen?

Entwicklung und Zukunft der AfD ist unklar

Funke: Das ist gar nicht absehbar, weil alle drei Parteien, die Sie jetzt in Vergleich ziehen, ganz unterschiedlich sind. Die Piratenpartei ist eine linksliberale, so würde ich sagen, Protestpartei. Also, sie will mehr Demokratie auch durch die andere Nutzung des Internets. Die Grünen sind eine Kritikpartei gegen zu viel Staatlichkeit und Bravheit, für Ökologie, aus einer Protestbewegung der 80er- und 70er-Jahre entstanden. Die AfD entsteht aus der Wut über die Flüchtlingsfrage, es sind Wutkleinbürger vor allem. Und da ist es schon entscheidend, ob sich das so äußert wie im Falle der Pegida als Entfesselung des Ressentiments bis hin zum Rassismus, oder ob es sich nur um einen Protest handelt, den man mal abgibt. Und wenn dann die Krisenbewältigung tatsächlich ein bisschen besser funktioniert als gegenwärtig, auch durch die innerer Zerstrittenheit der Großen Koalition, dann ist es nicht einmal sicher, ob sie in den nächsten Bundestag kommt.
Welty: Der Parteienforscher Hajo Funke über die Zukunft der AfD. Und ich fürchte, wir haben nicht das letzte Mal darüber gesprochen! Danke für dieses Interview, das wir aufgezeichnet haben!
Funke: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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