Expressionismus

Gesichter in etlichen Facetten

Eine Besucherin betrachtet in der Ausstellung "Ich arbeite für mich, nur für mich und meinen Gott" von 2012 in der Kunstsammlung in Jena ein Bild des Malers Alexej von Jawlensky.
Der Maler Alexej Jawlensky hat sich oft auch selbst ins Bild gesetzt. © dpa-Zentralbild / Martin Schutt
Von Carmela Thiele · 13.03.2014
Der expressionistische Maler Alexej Jawlensky gehörte zu den markantesten Figuren der Münchener Kunstszene um 1900. Zunächst impressionistisch malend, schloss er sich dem "Blauen Reiter" um Marc und Kandinsky an. Doch seine bekanntesten Werke, mannigfache Variationen des menschlichen Gesichts, entstanden in Wiesbaden.
"Als Sechzehnjährigen brachte man mich im Sommer des Jahres 1880 zur Weltausstellung nach Moskau. Das war für mich sehr langweilig. Doch als ich in eine Abteilung mit Kunst kam - es waren hier nur Bilder, und es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Bilder sah -, fühlte ich eine große Erschütterung meiner Seele; aus einem Saulus war ein Paulus geworden."
Viele Anekdoten ranken sich um das Leben des - nach dem julianischen Kalender - am 13. März 1864 in der russischen Provinz geborenen Alexej Jawlensky. Dazu beigetragen haben nicht nur die Lebenserinnerungen des Malers, sondern auch das Tagebuch seiner Lebensgefährtin Marianne von Werefkin:
"Ich (...) befreite ihn vom Dienst, gab ihm ein Atelier und die Möglichkeit, ohne Sorge zu arbeiten, pflegte seine Gesundheit, machte ihn frei von der Routine der Akademie, umgab ihn mit Glorienschein, (...) brachte ihn ins Ausland, formte seinen Geschmack, gab ihm Wissen, lehrte ihn die Kunst lieben, verschaffte ihm Gönner. (...) Ich habe ihn geschliffen."
Starthilfe durch Marianne von Werefkin
Werefkin war selbst Künstlerin, galt in St. Petersburg als "russischer Rembrandt". Der vier Jahre jüngere Jawlensky hingegen besuchte noch die Akademie. Sie förderte ihn, gab zeitweise ihre eigene Malerei auf - befangen in dem Irrtum, nur ein Mann sei in der Lage, wahre Kunstwerke zu schaffen. Er verdankte ihr das Ende seiner Geldsorgen - und wegweisend für seine Karriere - 1894 den Umzug nach München, damals ein Zentrum fortschrittlicher Malerei.
"Ohne Werefkin wäre Jawlensky nie das geworden, was er geworden ist." Urteilt der Kunsthistoriker Bernd Fäthke. Nachhaltig durchkreuzt wurden Werefkins Pläne, als Jawlensky ein Verhältnis mit ihrem Dienstmädchen Helene begann. 1902 brachte diese den gemeinsamen Sohn Andrej zur Welt, der im Atelier seines Vaters aufwuchs:
"In der Umgebung von Papas Bildern, wo auch andere Freunde da waren, Kanoldt, Erbslöh, wie sie alle hießen, Kandinsky, also diese ganze Schar damals in München, in dieser Giselastraße (...) 23, das war ein Atelier, ein Treffpunkt, wo alle Künstler, die irgendwie vorwärts wollten, zusammen kamen. Da wurden Probleme gelöst, gewälzt bis in die Nacht hinein."
Berichtete Jawlensky. 1908 verbrachte Jawlensky den Sommer bei Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in Murnau am Staffelsee. Nach einer langen impressionistischen Phase malte er nun leuchtende, expressive Landschaften mit schwarzen Konturen in rot, gelb und blau. Als Franz Marc und Kandinsky 1911 den Almanach "Der Blaue Reiter" herausbrachten, schlossen sich auch Werefkin und Jawlensky der Künstlergemeinschaft an.
"Resi" mit rotem Kleid vor grünem Grund aus dem Jahr 1909 - eines der vielen Frauenbildnisse von Alexej von Jawlensky.
"Resi" aus dem Jahr 1909 - eines der vielen Frauenbildnisse von Alexej von Jawlensky.© dpa / Andreas Gebert
Wiesbadener Jahre
Der Erste Weltkrieg setzte dem Künstlerleben in Schwabing ein Ende. Alle Russen mussten Deutschland verlassen. Jawlensky fand sich in beengten Verhältnissen in St. Prex am Genfer See wieder. Er trennte sich von Werefkin, heiratete 1922 Helene und zog mit ihr nach Wiesbaden. Es war eine von Mangel geprägte Zeit, in der Jawlensky jedoch seine besten Werke schuf, die "mystischen Köpfe", die "Heilandgesichte" und die "Meditationen".
"Dann war es mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, dass große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen. Ich verstand, dass der Künstler mit seiner Kunst durch Formen und Farben sagen muss, was in ihm Göttliches ist."
Jawlensky suchte Erlösung in der Spiritualität. Als er an Arthritis deformans erkrankte, banden ihm Freunde auf sein Geheiß den Pinsel an den Arm, damit er weiter malen konnte. Am 15. März 1941 starb Alexej Jawlensky in Wiesbaden.
Dass seine, in Serien gemalten abstrakten Köpfe als bedeutender Beitrag zur Kunstgeschichte gelten, verdankt der Maler nicht zuletzt dem Performance-Künstler John Cage. Der hatte Jawlenskys "Meditationen" für sich entdeckt und schrieb dem Maler 1935 in einem Brief: "Ich kann nicht deutsch schreiben und sprechen, aber ich bin sehr freudig, weil ich habe eines ihrer Bilder gekauft: Jetzt ist es in mir. Sie sind mein Lehrer."
Mehr zum Thema