Experimentierfeld für neue Techniken

Von Carsten Probst · 29.07.2010
Man kennt ihn vor allem als Maler, doch Hans Hartung nutzte auch das Medium der Druckgrafik und der Lithografien. Eine Berliner Ausstellung zieht Verbindungslinien zu anderen Künstlern, die das Gestische als abstrakte Sprache benutzten.
Zu einer Schenkung wie dieser kann man als Museum schwerlich "nein" sagen: 213 druckgrafische Werke von Hans Hartung erhält das Kupferstichkabinett Berlin von der Fondation Hans Hartung und Anna-Eva Bergman im französischen Antibes. Mit großen Gaben wie dieser ist im Allgemeinen die Auflage einer öffentlichen Präsentation verbunden. Doch Druckgrafik des Informel dürfte über einen gewissen akademischen Rahmen hinaus vermutlich wenig Publikum auf das Berliner Kulturforum locken, weshalb sich Kurator Andreas Schalhorn einige hübsche, absolut legitime Tricks ausgedacht hat, um etwas mehr Spannung in die historische Materie zu bringen:

"Er ist nicht der Informelle, der in den 50-ern stehenbleibt, im Gegenteil: In den 60-er Jahren, in den 70-er Jahren kommt gerade in der Druckgrafik eine ganz neue Energie, ein ganz neuer Schwung in seine Arbeit hinein, und die Vergleiche, die Sie in der Ausstellung zu den Werken von Hartung finden, beziehen sich teilweise auch auf technische Neuerungen von Hans Hartung."

Jene, die das Spätwerk von Hartung immer schon als qualitativ nachrangig beurteilt haben, werden mit den Augen rollen angesichts vermeintlich so naiver Adaption jener Einschätzungen, die der Künstler in seiner Autobiografie schon von sich selbst gegeben hat. In der Ausstellung unterstreicht die These des Kurators freilich, dass Hartung, den man vor allem als Maler kennt, ganz offensichtlich das Medium der Druckgrafik und der Lithografien, sogar in - übrigens sehr schönen - Holzschnitten als ein ganz eigenes Experimentierfeld für neue Techniken erprobt hat. So nutzte er hier seit den 60-er Jahren zum ersten Mal den sogenannten Aerographen, eine Airbrush-Pistole zum Aufsprühen der Farbe. Auch in der Lithografie bewegte er sich weg von der Linie als reiner gestischer Spur, später kamen auch Farbwalzen hinzu.

Für einen Künstler, der den körperlichen Einsatz, die, wie er selbst schrieb, "Aktion des Malens, Zeichnens, Kratzens, Schabens" als Hauptelement seiner Kunst sah, waren dies in der Tat bedeutende neue Schritte. Kritiker bemängeln, dass diesen Arbeiten die geistige Tiefe der sehr einfachen, zeichenhaften Arbeiten aus den 30-er bis 50-er Jahren abgehe. Kurator Andreas Schalhorn möchte jedoch Hartung als Pionier neuer technischer Wahlverwandschaften vorstellen und hat der Auswahl von 60 Hartung-Werken aus der Schenkung rund 40 Werke anderer Künstler aus dem prachtvollen Besitz des Kupferstichkabinetts hinzugesellt:

"Das Phänomen des Gestischen als abstrakte Sprache ist natürlich in den fünfziger Jahren auch schon bei Wols teilweise eine Weltsprache. Und wir haben im amerikanischen Bereich den abstrakten Expressionismus mit Arbeiten eben von Jackson Pollock und Willem de Kooning oder auch Mark Tobey, und da können Sie dann eben diese Vergleiche sehen als Belege dafür, wie verschieden man gestisch anfängt zu arbeiten, wie man also mit verschiedenen Baumaterialien immer wieder neue abstrakte Werke schaffen kann."

Mitunter sind diese Verwandtschaften technischer Natur: Bei ter Hell oder Günther Förg, viel jüngeren Künstlern, deren Bezug zu Hartung spekulativ genannt werden muss, lässt sich die Airbrush-Technik beobachten. Jackson Pollock oder Cy Twombly fallen unter die sehr breit gedachte Familienbeziehung des Gestischen, wie auch frühe Werke von Robert Rauschenberg oder Willem de Kooning. Roy Lichtenstein zitiert schließlich nur noch abfällig die wilde gestische Linie gleichsam als eingetragenes Warenzeichen des Spontanismus. Andreas Schalhorn räumt ein:

"Auch bei Polke oder Gerhard Richter, die selbst bei Hoehme oder bei Götz studiert haben, also informellen Künstlern, gibt’s eine Brechung, eine ironische Brechung, eine Reflexion. Das heißt, man kann nicht von einer Tradition ausgehen, die bei Hartung ansetzt, sondern es gibt einen Bruch und eine zweite Moderne, würde Heinrich Klotz sagen, zu der vor allen Dingen einer wie Günther Förg gehört, der eben die malerischen Errungenschaften der Kunst bis 1950 neu untersucht und neu reflektiert."

Das Gestische befand sich als künstlerischer Ausdruck bereits auf dem Rückzug, als Hartung damit begann, neu zu experimentieren. Dennoch, obwohl die Ausstellung am Ende vielleicht mehr verspricht, als sie halten kann, eröffnet sie mit den Werken vergleichsweise junger Künstler wie Günther Förg oder Chris Newman auch einen behutsamen Dialog, der das Gestische als historische Ausdrucksform einer von zwei Weltkriegen geprägten Generation noch einmal befragt.

Die Ausstellung Vom Esprit der Gesten. Hans Hartung, das Informel und die Folgen ist bis zum 10. Oktober 2010 im Kupferstichkabinett Berlin zu sehen.
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