Existenzielles Kammerspiel

Todesnah, aber nicht todesverliebt

Nora von Waldstätten und Sebastian Koch in einer Szene des Films "Oktober November"
Nora von Waldstätten und Sebastian Koch in einer Szene des Films "Oktober November" © picture alliance / dpa
Von Christian Berndt · 08.06.2014
In "Oktober November", Götz Spielmanns erstem Film nach fünf Jahren Pause, kehrt eine erfolgreiche Schauspielerin nach langer Zeit in ihr österreichisches Heimatdorf zurück. Dort wird sie mit unbewältigten Konflikten konfrontiert.
"Cut! Danke, haben wir. Das war jetzt die letzte Einstellung von Frau Berger. Sonja, danke. Bravo!"
Sonja Berger hat ihre Szene wieder mal grandios hingekriegt. Die erfolgreiche Schauspielerin ist Perfektionistin, ob beim Dreh – oder auf schicken Dinner-Partys:
"Ah, unser Star ist hier. Jetzt kommt endlich Glanz in diese müde Runde."
"Bitte die Verspätung zu verzeihen, aber ich bin entschuldigt. Ich habe arbeiten müssen."
Sonja, von Nora von Waldstätten als kühle Schönheit gespielt, erscheint beneidenswert souverän. Doch sobald sie alleine ist und die Fassade fällt, wirkt sie einsam und erschöpft. Aber Schwäche lässt sie nicht zu - auch nicht gegenüber ihrem Ex-Liebhaber:
"Warum bist Du nur so traurig, wovor hast Du solche Angst."
"Du hast mich kennengelernt, da war ich..., da hatte ich wahrscheinlich so etwas wie eine Depression. Das kommt vor, und ich bin da durch jetzt, es ist vorbei."
"Du weißt ganz genau, dass es nicht vorbei ist. Du bist so unglücklich, so einsam."
"Hör auf, mir diesen Scheiß einzureden. Ich bin müde, ich muss schlafen, mir reicht's."
Zurück in das Dorf in den Bergen
Zum Nachdenken bleibt keine Zeit. Doch dann erhält sie die Nachricht, dass ihr Vater einen Herzinfarkt hatte. Sie fliegt umgehend in ihre Heimat, ein kleines österreichisches Bergdorf. Die Begegnung mit der Schwester verläuft freundlich distanziert:
"Guten Abend."
"Servus."
"Gut schaust aus."
"Danke."
"Bisserl blass vielleicht."
"Ja, hab viel gerarbeitet die letzten Monate."
"Hm... na, jetzt biste wieder da."
Die beiden Schwestern könnten kaum gegensätzlicher sein: Die bodenständige Verena hat den Heimatort nie verlassen, das elterliche Wirtshaus übernommen und eine Familie gegründet. Götz Spielmann spiegelt in "Oktober November" die Welten der beiden Schwestern in scharfen Kontrastbildern – hier die leuchtende Filmwelt Berlins, dort das dunkle Wirtshaus in herbstlicher Bergwelt. Sonja war lange nicht hier, jetzt muss sie sich mit dem Vater auseinandersetzen, der ein sogenanntes Nahtod-Erlebnis hatte - und dadurch zugänglicher geworden ist:
"Papa?"
"Hm?"
"Du bist so verändert."
"Kann schon sein, Du aber auch. So ernst."
"Ich war immer schon ernst."
"Na geh, Du warst immer im Mittelpunkt, immer fröhlich."
"Ich wollte auf mich aufmerksam machen, ich wollte Dir gefallen."
Sonja fühlt sich als ungeliebtes Kind
Konfrontiert mit dem sterbenden Vater brechen in der Familie die verborgenen Risse auf. Ausgerechnet Sonja fühlt sich als ungeliebtes Kind, dagegen hat Verena sie immer beneidet. In der angespannten Situation platzt es irgendwann aus den Schwestern heraus:
"Schau Sonja, Du spielst ständig was vor. Immer strahlend, immer gut gelaunt, so erfolgreich, das ist doch nicht echt. Du musst nicht ständig eine Rolle spielen, man weiß überhaupt nicht mehr, wer Du eigentlich bist."
"Und Du weißt so genau, wer Du bist? Du bist eifersüchtig, das ist Dein Problem. Auf mich, auf mein Leben. Ich bin nicht schuld, wenn Du unzufrieden bist und frustriert."
Verena hat verborgene Sehnsüchte, und Sonja wird vom Vater ein lange gehütetes Familiengeheimnis eröffnet, das ihr einiges über sich klar werden lässt. Zwischen der klaustrophobischen Enge des Hauses und der Weite der Berge entfaltet sich kammerspielartig ein Familiendrama, dem Spielmann geduldig Raum zur Entwicklung gibt. Das langsame Sterben des Vaters wird so unsentimental und direkt in Bilder gefasst, wie man es im Kino selten gesehen hat. Eine Elegie, die vom Sterben als Grenz- und Erkenntniserfahrung erzählt – todesnah, aber nicht todesverliebt.
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