Europas Sozialdemokraten fordern EU-Etat-Nachverhandlungen

09.02.2013
Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda (S&D), ist unzufrieden mit dem Etat-Kompromiss der EU. "´Friss Vogel oder stirb´ ist keine Haltung, die wir akzeptieren können", erklärte er. Die Etatkonstruktionen der Regierungschefs werde das Parlament "zerpflücken".
Ute Welty: Erst mal ist die Kuh vom Eis – im zweiten Anlauf haben sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf einen Haushalt für die EU einigen können, und weil in der EU ja wenig einfach ist, liegen die wirklichen Schwierigkeiten in den Details verborgen. So gilt es, sorgsam zu unterscheiden zwischen Zahlungsverpflichtungen und den tatsächlichen Zahlungen, und diese Unterscheidung ist mal eben mehr als 50 Milliarden Euro wert. Dem Haushalt zustimmen muss auch noch das Europäische Parlament, und eine Mehrheit dort ist nicht sicher, zumal sich Hannes Swoboda bereits schwer enttäuscht gezeigt hat. Der österreichische Sozialdemokrat ist Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament. Gute Morgen, Herr Swoboda!

Hannes Swoboda: Guten Morgen!

Welty: Auf Twitter klangen Sie – mit Verlaub – richtig sauer nach dieser Entscheidung in Brüssel. Hat sich Ihr Zorn inzwischen ein wenig gelegt, oder ist der über Nacht noch größer geworden eher?

Swoboda: Er ist stabil geblieben, würde ich sagen. Dafür müssen wir uns natürlich die Dinge im Detail ansehen, aber ich fürchte, dass die Staats- und Regierungschefs mit einigen Tricks gearbeitet haben. Sie haben schon erwähnt, Verpflichtungen, da will man uns befriedigen und sagen: ‚Es sind eh hohe Verpflichtungen.‘ Aber wenn es dann um die Zahlungen geht, dann sind die viel niedriger. Und wir haben das ja in den letzten Jahren erlebt: Verschiedene Minister sagen Sachen zu und dann kommen die Finanzminister und sagen, nein, nein, dafür haben wir kein Geld, und dann gibt es permanenten Streit. Der Streit ums Geld ist eigentlich permanent angelegt in diesem Budget.

Welty: Was stört Sie denn vor allem? Ist es tatsächlich die Kürzung um drei Prozent über sieben Jahre? Die kann ja nicht unbedingt, oder die muss nicht unbedingt zur Handlungsunfähigkeit der EU führen.

Swoboda: Ja, aber wer macht heute in dieser unsicheren Zeit für sieben Jahre ein Austeritätsbudget? Keine Regierung macht das, kein Unternehmen macht das. Das ist zum Beispiel ein Punkt: Warum macht man das nicht nur zwei, drei Jahre und sagt nicht wirklich, okay, wir müssen jetzt sparen, wir machen aber eine Revisionsklausel, wir schauen an in zwei bis drei Jahren, welche neuen Prioritäten gibt es?

Welty: Die Bundeskanzlerin spricht von Planungssicherheit.

Swoboda: Ja, planungssicher – warum macht sie das nicht in Deutschland? Warum macht sie das nicht? Sie kann es dort nicht machen, weil das Parlament sich verweigern würde, und so ist es auch bei uns. Wir haben in der Zwischenzeit zwischen dem jetzigen Zeitpunkt und am Ende dieser Planungsperiode zweimal Wahlen zum Europäischen Parlament, und zweimal würden die neu gewählten Parlamente eigentlich total ausgeschaltet werden von der Mitbestimmung beim Budget. Das ist, glaube ich, etwas, was unakzeptabel ist. Wie schaut es aus, wenn gewisse Ausgaben nicht getätigt werden, wenn zum Beispiel die Agrarpreise steigen? Kann dann umgeschichtet werden, wirklich frei umgeschichtet werden bei den Zahlungen, nicht mehr bei den Verpflichtungen? Auch das ist eine Frage, die zumindest nach den bisherigen Ergebnissen unbeantwortet bleibt. Ist wirklich genug Geld da für Innovation, für Forschung und Entwicklung, oder ist es nicht eher ein altes Budget nach der alten Methode ‚Wir geben ‘was den Ländern, die Landwirtschaft haben, wir geben was einigen Ländern, die für ihre Regionalfirmen Mittel brauchen?‘ Aber für wirkliche Wettbewerbsfähigkeit ist, glaube ich, nach wie vor zu wenig da. Alle Regierungschefs reden davon: ‘Wir müssen wettbewerbsfähig sein gegenüber den USA, gegenüber China!‘ Wenn wir aber schauen, ist Europa der einzige Kontinent, wo die öffentlichen Investitionen zurückgehen. Auf nationaler Ebene, das könnte wenigstens ein bisschen das europäische Budget mithelfen. Also das sind all die Fragen, die zumindest alle offen sind, und wo wir die Dinge sehr kritisch sehen.

Welty: Sie Sagen, das Parlament stimmt keinem Haushalt zu, der nicht ausreicht, um soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Warum soll das mit 908 Milliarden oder mit 960 Milliarden Euro nicht gehen? Das ist eben dieser Unterschied zwischen tatsächlicher Zahlung und Zahlungsverpflichtung.

Swoboda: Also die Zahlen klingen ja sehr groß, aber es ist wirr, de facto weniger als ein Prozent des Sozialproduktes. Es ist ein sehr geringer Betrag. Ich sage jetzt nicht von vornherein, dass alles in diesem Budget schlecht ist, man hat einige Schwerpunkte gefunden, gerade Jugendbeschäftigung und -betrieb, man muss nur sagen: ‘Von wo kommt das Geld, wird das nicht von anderen sozialen Ausgaben weggenommen?‘ Wir werden uns das Budget natürlich genau anschauen, wir sagen nicht rundweg nein und das ist alles falsch. Aber es sind einige Dinge, wo wir glauben, dass dringender Verbesserungsbedarf ist, und jetzt muss man verhandeln. Kein Parlament der Welt lässt sich gefallen, dass einfach die Regierung sagt: ‘So ist es und jetzt nehmt das, oder es gibt kein Budget!‘ Sondern jedes Parlament verhandelt natürlich im Detail über verschiedene Bestandteile des Budgets, und so wird das auch auf der europäischen Ebene geschehen. Diese Überheblichkeit zu sagen, wir haben uns geeinigt und jetzt gibst du endlich Ruhe, friss, Vogel, oder stirb, das ist nicht eine Haltung, die wir akzeptieren können.

Welty: Aber an den Zahlen ändert sich ja wohl nichts?

Swoboda: Das muss man sehen. Wir haben auch das letzte Mal einige Milliarden dazubekommen, nämlich nicht wie hier, sondern für bestimmte Ausgaben. Man muss schauen, ist genug für das Erasmusprogramm, für die Studenten da, ist wirklich genug für die Jugendarbeitslosigkeit da, für andere Fragestellungen, für gemeinsame Forschung und Entwicklung. Wenn nicht, wird man auch da natürlich nachverhandeln müssen. Es kann ja nicht so sein, dass man sagt: ‘Wir haben uns drauf geeinigt, Herr Cameron hat uns erpresst, und so ist es. Es kann doch nicht sein, dass Herr Cameron, der vielleicht sogar sein Land aus der EU herausnehmen will, mehr Einfluss und Macht hat als zum Beispiel das Europäische Parlament. Also das ist ja nicht eine Vision von Europa, die wir teilen können.

Welty: Welche Rolle spielt, dass sich das Parlament überhaupt generell nicht gut behandelt fühlt von den Staats- und Regierungschefs, dass man vielleicht auch mehr hätte gefragt werden wollen im Vorfeld?

Swoboda: Wir haben ja oft unsere Position dargestellt, und Martin Schulz, der Präsident des Parlamentes, hat etwas ganz klar und deutlich immer wieder gesagt, dass man einen Dialog mit dem Parlament schon vorher hätte führen müssen, sollen, das ist absolut richtig. Jetzt sehe ich schon die Schwierigkeiten. Die Staats- und Regierungschefs sind ja sich selber uneinig und streiten miteinander, wollen jetzt nicht noch jemand dazu haben. Aber dann müssen sie damit rechnen, dass wir ihnen nachher die Dinge auseinandernehmen und das Budget zerpflücken, und dann dort unsere Forderung stellen, unsere minimalen Forderungen stellen, wo es absolut notwendig ist.

Welty: Wann, denken Sie, wird es einen EU-Haushaltsentwurf geben, dem Sie zustimmen können?

Swoboda: Das dauert sicherlich noch zwei, drei Monate, weil die Europäische Kommission muss ja diese politische Einigung jetzt umsetzen in ein konkretes Budget. Da sind ja nur ein paar Punkte fixiert worden, aber es ist ja nicht das Budget in Einzelheiten ausgehandelt. Das dauert noch zwei, drei Monate, das ist ja auch nicht das Problem, wir haben ja Zeit, wir machen parallel dazu unsere Reformarbeit bei der Agrarförderung, bei der regionalen Förderung etc., wir haben also genug zu tun. Wenn wir Mitte des Jahres ein Budget haben, also einem Budgetrahmen, ist das durchaus ausreichend.

Welty: Nach dem Haushaltskompromiss von Brüssel, Hannes Swoboda, Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament. Ich danke für Ihre Einschätzung!

Swoboda: Bitte, sehr gerne!


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