Europas Grüne derzeit für mehr Distanz zur Ukraine

Rebecca Harms im Gespräch mit André Hatting · 19.12.2011
Kurz vor dem EU-Gipfel in Kiew haben die Grünen im Europaparlament vor einer weiteren Annäherung der Europäischen Union an die Ukraine gewarnt, solange in dem Land keine demokratischen Verhältnisse herrschen.
André Hatting: Hoher Besuch in Kiew, die EU kommt! Ratspräsident Van Rompuy und der Brüsseler Kommissionschef Barroso reisen in die Ukraine. Gipfeltreffen. Eigentlich sollte es darum gehen, mit der Ukraine enger zusammenzuarbeiten, aber das geplante Abkommen wird nun doch nicht beschlossen. Die EU will durch den Verzicht auf die Unterschrift ein Zeichen setzen gegen die Inhaftierung der ukrainischen Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Am Telefon ist jetzt Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament. Guten Morgen, Frau Harms!

Rebecca Harms: Guten Morgen!

Hatting: Frau Harms, ist das das richtige Zeichen?

Harms: Also, es geht um den Fall Julia Timoschenko, es geht um Dutzende von Fällen von ehemaligen Regierungsmitgliedern und Politikern, die Julia Timoschenko nahegestanden haben oder mit ihr Politik gemacht haben, die genau so verfolgt werden, ungerecht verfolgt werden wie sie. Es geht um die Verschlechterung der Verhältnisse, der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Ukraine, Druck auf die Presse, Verfolgung durch den Geheimdienst, durch ... Es geht um Verfassungsänderungen zuungunsten der Opposition, also, es geht um sehr viel negative Entwicklung in der Ukraine und ich glaube wirklich, dass dieses Abkommen jetzt noch nicht unterschrieben werden darf.

Hatting: Interessanterweise hat Timoschenko selbst ja sogar aus der Haft heraus noch darum gebeten, dieses Freihandelsabkommen in jedem Fall zu unterzeichnen.

Harms: Ich kann das sehr gut verstehen, auch meine ukrainischen Freunde sind alle dafür, dass dieses Abkommen wirklich unterschrieben wird, dass es in Kraft gesetzt wird. Weil, dieses Abkommen dokumentiert auch einen ausdrücklichen Wunsch vieler Ukrainer, sich nach Westen, sich europäisch zu orientieren. Das Problem ist aber, dass die Europäische Union auf keinen Fall diesen größten Schritt, den es eigentlich gibt, bevor man über Beitritt verhandelt, diesen größten Schritt tatsächlich auch nur dann zu gehen, wenn die demokratischen Verhältnisse in Kiew, in der Ukraine stabil sind.

Hatting: Sie haben das gerade angedeutet, viele Ihrer ukrainischen Kollegen befürchten nun eine Hinwendung nach Russland statt Richtung Westen. Für wie groß halten Sie selber die Gefahr?

Harms: Also, ehrlich gesagt höre ich immer mehr darüber, dass die Bürgerinnen und Bürger in der Ukraine, dass die sich fürchten vor dem, was unter dem Regime Janukowitsch sich entwickelt. Ich höre oft, dass man sogar den Eindruck hat, dass es heute schlechter ist als in der Zeit der Regierung Kutschma. Dass man aus einer solchen Situation heraus sich in Richtung Russland orientiert oder die Wünsche Richtung Moskau leitet, das halte ich für absurd. Im Grunde sind auch die Entwicklungen in Russland jetzt ja das Zeichen dafür, dass die Orientierung Westen oder Europa, die die Ukraine schon genommen hat, dass das die richtige ist.

Hatting: Frau Harms, Sie sind auch Mitglied der Delegation in die Ukraine, das ist sozusagen ein Austausch, es gibt eben auch ukrainische Politiker, die dort in dieser Delegation sind. Die westliche Berichterstattung ist ja ziemlich einhellig, da ist Janukowitsch immer der Böse, der die unbequeme Timoschenko kaltstellen will. In dieser Delegation, die ich gerade angesprochen habe, sind ja nun auch Vertreter der Partei der Regionen, das ist die Janukowitsch-Partei. Wie begründen die denn das Verhalten der ukrainischen Justiz?

Harms: Die Begründung ist immer wieder gleich, das ist auch das, was Sie hier in den Medien ja nachvollziehen können: Die Begründung ist die, dass Julia Timoschenko und andere sich, als sie im Amt waren, bereichert haben, dass sie ihr Amt ausgenutzt haben, um reicher zu werden. Oder dass sie eben undurchsichtige Verträge abgeschlossen haben, die insgesamt die Ukraine geschädigt haben.

Hatting: Da könnte man ja sagen, das klingt nach Amtsmissbrauch, also, die Verurteilung ist vielleicht doch nicht ganz ungerechtfertigt?

Harms: Wissen Sie, ich bin weit davon entfernt zu sagen, was uns Europäern jetzt aus der Ukraine von Janukowitsch-Leuten oft vorgeworfen wird, dass Julia Timoschenko ein Engel und nichts als ein Engel ist. Sie gehört in den Club der Oligarchen, aber die sitzen eben in der Ukraine in allen Parteien. Und das größte Problem der ukrainischen Politik ist, dass die Oligarchen, das ist zum Teil gleich Politik, das ist Führung. Und zwar egal, wer regiert. Das muss aufgelöst werden, aber das kann nicht sein, indem, wenn der eine Teil dieses Clubs regiert, der andere ins Gefängnis geworfen wird. Man muss in der Ukraine dazu kommen, dass man die Parteien, die Blöcke ganz anders organisiert, man muss tatsächlich auch in der Politik - das ist Aufgabe von uns Europäern - dafür sorgen, dass Politiker etwas anderes verfolgen als immer den eigenen wirtschaftlichen Vorteil.

Hatting: Das Assoziierungsabkommen, das geplante, das die EU jetzt aussetzen möchte, wäre der letzte große Schritt vor möglichen Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Wie wichtig ist das Land eigentlich für die Europäische Union?

Harms: Das Land ist unser größter Nachbar, wenn man Richtung Osten guckt. Und wir werden, ohne gute Verhältnisse mit einem solchen großen Nachbarland werden wir keine gute Lage haben. Die demokratische Stabilität der Ukraine ist im ganz eigenen Interesse der Europäer.

Hatting: Im Sommer beginnt bei unserem Nachbarn die Fußballeuropameisterschaft, sie findet zu gleichen Teilen in Polen und eben der Ukraine statt. Ist das eine Chance, um jetzt Kiew zu echten Reformen zu bewegen, oder ist es eher eine Bühne für das Regime Janukowitsch, um Propaganda zu betreiben?

Harms: Also, ich habe mich in letzter Zeit oft gewundert, wie einfach es ist in der Ukraine, große Fußballstadien aufzubauen. Also, da erfolgreich eine Infrastruktur zu schaffen in einem Umfang, wie es in anderen Bereichen überhaupt nicht funktioniert. Das Land ist ja in vieler Hinsicht im Rückschritt. Ich hatte mich ursprünglich sehr gefreut auf dieses Fußballereignis, weil es eben auch die Ukraine und Europa noch mal näher zusammenbringen sollte. Ich sehe das Ganze jetzt mit ausgesprochen gemischten Gefühlen.

Hatting: Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Europäischen Grünen und Mitglied der Europäisch-Ukrainischen Parlamentariergruppe. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Harms!

Harms: Gerne, Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.