Europäischer Polizeikongress

"Wir brauchen Polizeipolitik mit Augenmaß"

Polizisten bewachen den Hauptbahnhof in Berlin. Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen den Hinweisen auf mögliche Anschlagziele islamistischer Terroristen in Deutschland mit Hochdruck nach.
"Wenn sich Polizisten bedroht fühlen, dann treten sie eben auch robuster auf." © dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini
Rafael Behr im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 24.02.2015
Auswirkungen der jüngsten Terroranschläge auf die Polizeiarbeit werden derzeit auf dem Europäischen Polizeikongress diskutiert. Rafael Behr von der Akademie der Polizei findet, die Lösung seien auf keinen Fall schärfere Gesetze, sondern eine echte "Bürgerpolizei".
Rafael Behr, Dekan des Fachhochschulbereichs der "Akademie der Polizei "in Hamburg, hat sich für eine engere gesellschaftliche Einbindung der Polizeiarbeit ausgesprochen. Man brauche eine Polizei, die das Wort "Bürgerpolizei" tatsächlich ernst nehme, sagte Behr im Deutschlandradio Kultur: "Die auf Augenhöhe mit Zivilgesellschaft tritt, die sozusagen den Diskurs auch mit Polizeiwissenschaft nutzt, um sich mit der Gesellschaft weiterhin zu verbinden."
Seiner Feststellung nach gebe es eine zunehmende Abkoppelung zwischen dem Handlungswissen der Polizei und den Belangen der Zivilgesellschaft, kritisierte Behr. Diese Abkoppelung müsse unterbunden werden: "Dazu brauchen wir gut ausgebildete Polizisten. Dazu brauchen wir auch Polizeipolitik mit Augenmaß", so Behr vor dem Hintergrund des 18. Europäischen Polizeikongresses in Berlin.
Gerede von steigender Gewalt ist statistisch nicht belegt
Er glaube nicht, dass die jüngsten Terroranschläge in Paris und Kopenhagen eine starke Auswirkung auf das Bewusstsein von Polizeiarbeit hätten, meinte Behr:
"Ich glaube, es sind nicht die Einzelereignisse, die Polizisten beeindrucken. Sondern es ist zum Beispiel das andauernde Gerede von der steigenden Gewalt in der Gesellschaft und dem mangelnden Respekt an der Polizei. "

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wir alle dürften dieses Bild noch vor Augen haben: Der 6. Januar in Paris, der Polizist Ahmed Merabet, der verwundet auf der Straße liegt und der von den Charlie-Hebdot-Attentätern kaltblütig hingerichtet wird. Wir haben Kopenhagen erlebt, Morde ohne jede Ankündigung, die auch dort unter anderem einen Mann das Leben gekostet haben, der zum Schutz der dortigen Synagoge eingesetzt war.
Bilder und Ereignisse der jüngsten Zeit, die sehr präsent sein dürften bei einer Veranstaltung, die heute in Berlin beginnt: der Europäische Polizeikongress. Da kommen Uniformen aus 50 Ländern zusammen, 1.400 Teilnehmer. "Herausforderungen und Grenzen der Sicherheit in Freiheit", das hat man sich als Thema gegeben, und auch wir machen es jetzt zum Thema mit Rafael Behr, er ist Dekan des Fachhochschulbereichs der Akademie der Polizei in Hamburg, jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Rafael Behr: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Wie tief sind die Spuren, die Paris und Kopenhagen bei der Polizei hinterlassen haben?
Behr: Nun, man muss sagen, dass Gewaltexzesse zum Leben des Polizisten und der Polizisten dazugehören. Einzelne Gewaltereignisse werden die Polizeikultur insgesamt nicht sehr verändern. Jeder Polizist und jede Polizistin weiß, dass er, auf abstrakte Weise zumindest, dass er sein Leben opfern muss und dass er sein Leben einsetzt im Dienst. Diese Geschehnisse sind bedrohlich für die Wahrnehmung von Polizei als Bürgerpolizei, aber sie werden jetzt nicht die Polizei insgesamt stark verändern.
Frenzel: Sie arbeiten ja mit Polizistinnen und Polizisten oder zukünftigen Polizisten, muss man sagen, an der Akademie der Polizei in Hamburg. Haben Sie da den Eindruck, dass das doch vielleicht jenseits dessen, was Sie jetzt gerade da recht sachlich beschrieben haben, doch Auswirkungen hatte?
Andauerndes Gerede von steigender Gewalt gegen Polizisten
Behr: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben ja Ereignisse aus der Vergangenheit in ähnlicher Weise, ein französischer Polizist wurde bei einem Fußballspiel von deutschen Hooligans halb tot getreten. Auch das ist sozusagen ein gewaltiges Erlebnis gewesen, auch medial aufbereitet.
Ich glaube, es sind nicht die Einzelereignisse, die Polizisten beeindrucken, sondern es ist zum Beispiel das andauernde Gerede von der steigenden Gewalt in der Gesellschaft und dem mangelnden Respekt an der Polizei, das die Polizeischülerinnen und Polizeischüler beeindruckt – was im Übrigen statistisch nicht stimmt, was aber dennoch heute gesagt werden darf, ohne dass irgendjemand etwas dagegen hält.
Frenzel: Das heißt, die Situation wird schwarzer gemalt, als sie ist?
Behr: Sehr richtig.
Frenzel: Wenn wir jetzt noch mal auf diese Frage des Terrors kommen: Glauben Sie denn – wir sind ja glücklicherweise bisher verschont geblieben in Deutschland –, glauben Sie denn, dass sich da die Situation ändern würde, wenn wir auch hier in Deutschland einen Anschlag erlebten?
Behr: Ich würde vermuten, erst bei einer Serie von Anschlägen würde sich das gesamte Klima in der Bundesrepublik und auch das gesamte Klima in der Polizei nachhaltig verändern. Wir können ja traurigerweise auf Beispiele zurückgreifen wie die Zeit der RAF, also der Roten Armee Fraktion, in den 70er- und 80er-Jahren, das hat tatsächlich die Demokratie, auch die Polizei an die Grenze der Belastungsfähigkeit gebracht.
Frenzel: Heute findet nun dieser Polizeikongress in Berlin statt, eine große Veranstaltung, da kommen viele zusammen. Sie sind da nicht, und das hat nicht nur mit Termingründen zu tun, richtig?
Behr: Nein, dieser Polizeikongress zeichnet sich durch zwei Punkte aus, erstens die Abwesenheit von Öffentlichkeit, also von Zivilgesellschaft, und zweitens die Abwesenheit von Polizeiwissenschaft. Es kommen dort zusammen sozusagen Verantwortungsträger aus der Polizei und Geschäftsleute, die in die Polizei hineindringen mit ihrer Hard- und Software. Es ist auch kein Kongress im üblichen Sinne, schon lange kein wissenschaftlicher Kongress, sondern es ist ein Kongress gepaart mit einer Messe, also mit einer Ausstellung von Einsatzmitteln für die Polizei.
Frenzel: Haben Sie denn mit Blick auf den Kongress, aber auch vielleicht mit Blick auf die gesamte Debatte den Eindruck, dass es da Überreaktionen gibt nach diesen Anschlägen, also dass da viele Dinge jetzt gefordert, vielleicht auch gemacht werden, die gar nicht notwendig sind?
Behr: Ja, das ist üblich, aber auch das ist kein Einzelfall. Die Gewerkschaften werden wieder schärfere Gesetze fordern und schärfere Waffen. Die Verantwortungsträger verhalten sich in solchen Situationen in der Regel auffällig zurückhaltend. Terminologisch und rhetorisch wird das Feld tatsächlich von den Berufsvertretungen besetzt. Ich glaube aber nicht, dass es jetzt zu unmittelbaren Überreaktionen vonseiten der Polizeipolitik kommt.
Frenzel: Also schärfere Gesetze und schärfere Waffen brauchen wir nicht. Brauchen wir was anderes?
"Polizei auf Augenhöhe mit Zivilgesellschaft"
Behr: Ja, wir brauchen eine Polizei, die tatsächlich das Wort Bürgerpolizei ernst nimmt und die auf Augenhöhe mit Zivilgesellschaft tritt, die sozusagen den Diskurs auch mit Polizeiwissenschaft nutzt, um sich mit der Gesellschaft weiterhin zu verbinden. Was ich feststelle, ist eine zunehmende Abkopplung von Polizeilogik, also von Handlungswissen der Polizei von Zivilgesellschaft. Diese Abkopplung sollte unterbunden werden. Und dazu brauchen wir gut ausgebildete Polizisten, dazu brauchen wir auch Polizeipolitik mit Augenmaß.
Wenn wir uns die skandinavischen Verhältnisse anschauen, dort passieren auch Terrorereignisse, und dort ist immer die erste Reaktion, sowohl der Öffentlichkeit, als auch der Politik: Wir lassen uns die Freiheit nicht nehmen. Ich würde mir wünschen, dass wir statt nach stärkeren oder schärferen Gesetzen und mehr Eingriffsmöglichkeiten für die Polizei mehr nach einer gesellschaftlichen Solidarität Ausschau halten würden.
Frenzel: Man muss ja in dem Zusammenhang vielleicht auch mal beschreiben, wie die Polizei zurzeit auftritt. Vielleicht ist das ja auch ein Problem. Ich möchte Ihnen mal meine Beobachtungen schildern, wenn ich in Großstädten, hier in Berlin, aber auch anderswo, sehe, dass die Polizei ja zunehmend – ich überziehe jetzt mal – militärischer auftritt. Da sieht man schusssichere Westen, da sieht man Polizisten eigentlich immer nur in großen Gruppen, in Mannschaftswagen, aber nicht mehr den Streifenpolizisten um die Ecke. Das wäre, wenn ich Sie richtig verstehe, natürlich ein schönes Ideal, aber vielleicht ist es auch ein bisschen naiv in Zeiten wie diesen?
Behr: Diese Perspektive kann man durchaus einnehmen und ich verhehle nicht, dass in einigen Bereichen der Polizei – Berlin spielt da eine wesentliche Rolle – ... es gibt einige Gebiete auch in allen Großstädten, in denen das Auftreten als pazifizierender Schutzmann um die Ecke nicht mehr möglich ist.
Was allerdings eingetreten ist, und das zeichnet ja auch Ihr Eindruck wider, dass die Öffentlichkeit zunehmend eine martialisch auftretende Polizei insgesamt wahrnimmt, also auch an den Plätzen und zu den Zeiten, in denen es durchaus möglich wäre, auch etwas weniger stark aufzutreten.
Und ich glaube, das ist das Ergebnis eines Diskurses um die zunehmende Bedrohung von Polizisten durch Gewalt. Das ist sozusagen das Ergebnis, das wir jetzt sehen: Wenn sich Polizisten bedroht fühlen, dann treten sie eben auch robuster auf.
Frenzel: Rafael Behr sagt das, der Dekan des Fachhochschulbereiches der Akademie der Polizei in Hamburg. Herr Behr, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Behr: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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