Europäische Union

"Ukraine-Krise ist eine Chance für die EU"

Der polnische Journalist und Publizist Adam Krezminski
Der polnische Journalist und Publizist Adam Krezminski © Deutschlandradio / Thomas Kujawinski
Adam Krzeminski im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 25.04.2014
Der polnische Publizist Adam Krzeminski ist überzeugt, dass die Ukraine-Krise zu einem stärkeren Zusammenhalt der Europäischen Union führen wird. Deutschland verhalte sich Polen gegenüber durchaus solidarisch. Russland sieht Krzeminski als "gewesene Supermacht", die ihre historische Niederlage nie wirklich akzeptiert hat.
Korbinian Frenzel: Die Ukraine ist am Rande eines Krieges, die Toten, die Zuspitzungen seit gestern, sie nähren diese Befürchtung und sie bestimmen die internationale Agenda wie lange nichts mehr. Das wird auch so sein, wenn Donald Tusk, der polnische Ministerpräsident, heute nach Berlin kommt, um Angela Merkel zu treffen. Ein Treffen, bei dem es auch um Irritationen gehen dürfte, die zwischen Warschau und Berlin in der Ukraine-Frage entstanden sind. Zu zögerlich gegenüber Moskau, zu Putin-freundlich, das sind Vorwürfe, die immer wieder laut werden auf polnischer Seite. Eine bekannte Stimme aus Polen wollen wir zu diesem Thema jetzt hören, Adam Krzeminski, Publizist und Redakteur des Magazins "Polityka", einen schönen guten Morgen nach Warschau!
Adam Krzeminski: Guten Morgen!
Frenzel: Fehlt Polen die Solidarität Deutschlands?
Krzeminski: Nein, so krass darf man das nicht sehen. Es gibt natürlich Kommentare, dass die Deutschen allzu Russland verstehend sind. Aber auf der anderen Seite, wir haben seit einigen Wochen eine starke Präsenz des sogenannten Weimarer Dreiecks, also Polen, Frankreich, Deutschland, gerade in der Ukraine-, aber auch Russland-Politik. Und die Initiative, die polnische Initiative, eine Art Fortsetzung der Montanunion in der Form der Energieunion einzustellen, hat eine starke Unterstützung von Paris. Also, man kann nicht sagen, dass es keine Solidarität von Berlin aus gibt in der Russland-Politik.
Frenzel: Aber das Weimarer Dreieck, das Sie ansprechen, wo Deutschland, Frankreich, Polen zusammenkommen, das ist ja, ich sage mal so, eine recht billige Lösung für Deutschland, Solidarität zu zeigen. Das ist ein Kreis, in dem es um Worte geht. Wenn es um konkrete Dinge geht, um Sanktionen zum Beispiel gegen Russland, ist Berlin ja wirklich zögerlich. Wie schätzen Sie das ein, muss man sich im alten Machtbereich der Sowjetunion Sorgen machen, dass es im Zweifel heißt, sie stehen nicht für uns ein, die Deutschen?
Stärkeres Europa durch Energie-Union
Krzeminski: Es sind zwei Elemente dabei. Einerseits gerade auf Betreiben des Weimarer Dreiecks haben wir den politischen Teil des Assoziationsabkommens unterzeichnet mit der Ukraine, und natürlich, wenn es um die wirtschaftlichen Sanktionen geht, sind die Deutschen zögerlich. Wir haben in diesen Tagen gehört, dass Teile der Gasspeicher von deutschen Konzernen an Russland verkauft werden, das verstärkt nur die Abhängigkeit. Man hört nicht davon, dass so etwas zumindest gestundet werden könnte. Diese Argumente hört man auch in Polen, dass die Deutschen in wirtschaftlichen Fragen sehr zögerlich sind, und hoffentlich werden die Gespräche heute über die energetische Union etwas Klarheit bringen.
Frenzel: Sie zitieren diese Befürchtung. Teilen Sie diese Befürchtung, dass Deutschland da letztendlich in diesen ganz praktischen Fragen zum Beispiel der Energieversorgung nicht konsequent ist?
Krzeminski: Nicht unbedingt. Ich glaube, die Mühlen Gottes mahlen langsam, das heißt, die Gespräche über die Energie, die energetische Union in der EU, kommen erst jetzt in Gang. Auch die polnische Seite kann diese energetische Union nicht nur als eine außenpolitische Maßnahme verstehen, sondern Polen muss auch seine eigene Energiepolitik neu formieren. Das ist erst der Anfang. Und ich bin sicher, dass die Krise generell im Osten genauso wie die Euro-Krise so eine Art neuer Gründungsakt der künftigen Europäischen Union ist, das heißt, alle 28 Mitglieder werden an einer engeren und vertieften Zusammenarbeit interessiert sein, das ist die Folge dieser Krise.
Frenzel: Die Frage ist ja, wie man in dieser Krise dann gemeinsam reagiert. Wenn Sie sagen, ein Gründungsakt, was ist der richtige Ton gegenüber Moskau? Muss das Härte sein, ist das vielleicht die spezifisch polnische oder ost- und mitteleuropäische Erfahrung, dass Dialog nicht funktioniert in diese Richtung?
Krzeminski: Ich glaube nicht, dass es nur eine spezifisch polnische Erfahrung ist. Die Sprache der deutschen Politik und der deutschen Kommentare ist sichtlich anders als noch vor einigen Monaten. Die Stimmung in der Bevölkerung ist anders, hinkt nach sozusagen. Es gibt diesen Spruch, dass vier Fünftel der deutschen Medien im Widerspruch liegen mit zwei Drittel der deutschen Stimmung. Aber ein Land ...
Deutschlands "mentale Furcht vor Russland"
Frenzel: Wie ist das in Polen?
Krzeminski: Nein, nein, in Polen ist das anders. Die Meinungsumfragen zeigen übrigens, dass auch in Polen die Stimmungen differenziert sind, aber man kennt die östlichen Nachbarn und man weiß, gerade jetzt, 25 Jahre nach der Revolution in Ostmitteleuropa, man hat nicht diese mentale Furcht vor der Sowjetunion und vor Russland wie in Deutschland, das stimmt, da ist ein mentaler Unterschied zwischen uns in dem Punkt. Aber in der Politik sehe ich diesen Unterschied nicht so groß.
Frenzel: Aber habe ich Sie richtig verstanden, es ist fast schon parallel in Polen wie auch in Deutschland, dass die Bevölkerung eigentlich einen relativ entspannten Umgang in dieser Frage hat, einen entspannten Angang an die Frage, wie gefährlich Russland ist?
Krzeminski: Eine direkte Angst vor den Russen gibt es nicht, das ist keine Kriegsstimmung. Es gibt eher einen Missmut bis zur Verachtung gegenüber dem Staatsprinzip eines quasi imperialen Russlands, das glaubt, die zaristische und sowjetische Politik fortsetzen zu können, ohne die alte Sendungsmission sozusagen zu haben durch die orthodoxe Kirche oder durch die kommunistischen Glaubenssätze. Es ist ein relativ schwaches Russland, das nur mit Macht seinen Status in der Welt retten will.
Frenzel: Gibt es eine Russophobie, eine irrationale Angst gegenüber den Russen in der politischen Elite Polens dann auf der anderen Seite?
Krzeminski: Gegenüber den Russen, glaube ich, nicht. Also, wir können mit den Russen kommunizieren sprachlich, die Mentalität ist anders, aber wir verstehen die Russen und ich sehe keine Russophobie in dem Sinne. Aber wie gesagt, die Politik Russlands als einer gewesenen Supermacht, die sich mit ihrer historischen Niederlage irgendwie immer noch nicht zurechtgefunden hat, die ist präsent in Polen.
Frenzel: Der polnische Publizist Adam Krzeminski. Vielen Dank für dieses Gespräch!
Krzeminski: Schönen Dank, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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