Europa

Krisen nur "zugekleistert durch die üppige Unterstützung"

Henning Klodt im Gespräch mit Christopher Ricke · 25.02.2014
Um den EU-Südländern aus der Krise zu helfen, dürften nicht immer neue Hilfsprogramme aufgelegt werden, sagt der Volkswirt Henning Klodt vom Institut für Weltwirtschaft. Die bisherige Praxis habe die Länder tiefer in die Schuldenfalle geführt.
Christopher Ricke: Der Versuch, Frohsinn zu verströmen, Optimismus, gute Laune, weil doch alles schön wird in Europa. Ein Mitglied des Rates der Europäischen Zentralbank hat gesagt, am Markt wettet keiner mehr auf den Zerfall der Eurozone, das umstrittene Anleihekaufprogramm der EZB ist kein Problem. Andererseits: Die EZB hält den Zins immer noch so tief, dass die Spareinlagen angefressen werden. In Italien gibt es neue Löcher, Frankreich kommt nicht voran, Dauerpatient Griechenland ist weit weg von jeder Genesung. Also doch kein Frohsinn, auch wenn ein EZBler da so gut gelaunt ist.
Die Stimmung in der EU ist ausgesprochen schlecht, sagt das Euro-Barometer, eine Umfrage. Nur noch jeder dritte EU-Bürger hat insgesamt ein positives Bild von der Gemeinschaft. Ich sprach mit Henning Klodt, er ist der Leiter des Zentrums Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft und hat sich diese Daten genau angesehen. Professor Klodt, in der Wirtschaft ist ja die Stimmung ein so wichtiger Faktor. Ist die auch so wichtig in der politischen Gemeinschaft EU?
Henning Klodt: Nun wird natürlich die Stimmung der Bürger erfasst, die nicht unbedingt mit der Stimmung der Investoren identisch ist. Aber ich finde schon, es ist schade darum, wie sehr die EU im Ansehen der Bürger Europas gelitten hat. Also die Idee Europa hat ja nach wie vor eine hohe Faszination. Aber das, was Brüssel daraus macht, sage ich einmal etwas verkürzt, das hat eben nicht mehr die große Begeisterung ausgelöst.
Ricke: Liegt das vielleicht daran, dass wir in den letzten Jahren doch so sehr auf die Finanzpolitik schauen?
Klodt: Das ist für mich eine der großen Überraschungen dieser Umfragen aus diesem sogenannten Euro-Barometer, auf das Sie ansprechen. Die Stimmung zu Europa insgesamt ist geradezu dramatisch eingebrochen, während die Zustimmung zur Währungsunion nach wie vor hoch ist. Und da drängt sich ja der Verdacht auf, dass die Unzufriedenheit wohl doch tiefergehende Wurzeln hat, und dann fragt man sich, und ich selber frag mich das auch, wo diese Wurzeln denn liegen können.
Eine Vermutung meinerseits ist, eine begründete Vermutung, dass die EU eben doch gleichgesetzt wird mit Bürokratie, mit einem Regulierungswahn oder einer übermäßigen Zentralisierung, die von Brüssel ausgeht und die die Bürger in den einzelnen Ländern nicht für angemessen halten.
Brauchen wir eher mehr als weniger Europa?
Ricke: Aber genau diese Zentralisierung brauchen wir doch. Es gibt doch den dauernden Ruf nach Strukturreformen, nach einer gemeinsamen Steuergesetzgebung, um diesen Wettbewerb und diese Schieflagen innerhalb der Gemeinschaft wieder in die Balance zu bringen. Wir brauchen doch eher mehr Europa als weniger.
Klodt: Ja, das ist das, was die Politiker sagen, und die Europapolitiker, sprich die EU-Kommission, natürlich zuallererst. Aber deswegen muss es ja noch nicht stimmen. Die Krise der Währungsunion kann man ja auch ganz anders sehen. Wir haben ja die Krisenländer in eine Situation gebracht, wo sie sich hoffnungslos überschuldet haben. Gerade die vermutete Zentralisierung in dem Sinne, dass Krisenländer im Zweifel herrausgepaukt werden, hat ja überhaupt erst dazu geführt, dass diese Länder immer tiefer in die Schuldenfalle hineingeraten sind.
Ricke: Noch besteht die EU aber, noch geht es auch in der Eurozone voran. Dann ist doch die Krise eigentlich vorbei, oder macht sie nur eine Pause?
Klodt: Ich denke, die EU als Ganzes hat ja keine Krise. Sie hat einen Vertrauensverlust erlitten, aber die Institution als solche steht ja doch felsenfest. Und auch der Euro als Währung war ja im Grunde nie in der Krise, sondern es waren ja Krisen einzelner Länder. Sie haben es ja auch am Wechselkurs gesehen, Euro gegenüber dem Dollar und gegenüber anderen Weltwährungen. Der Euro selbst ist ja immer stabil gewesen und wird auch diese Phase überleben.
Ursachen der Krise nicht behoben
Wovor man nur warnen kann, ist die Sichtweise, wie sie zum Beispiel von Mario Draghi, also dem EZB-Präsidenten, und von Manuel Barroso, dem Präsidenten der EU-Kommission, vertreten wird. Die sagen, die gesamte Krise, also auch die Krisen in den Südländern der Europäischen Union seien überwunden. Das ist eben der Irrtum. Die Krisen in Griechenland, Italien, Portugal sind nicht überwunden, die sind nur im Moment zugedeckt, zugekleistert, könnte man sagen, durch die üppige Unterstützung, die Geldversorgung durch die Europäische Zentralbank, die letztlich mit Versprechen am Markt auftritt, die Staatspapiere dieser Krisenländer eben zu kaufen, also letztlich die Staatsschulden dieser Länder mitzufinanzieren.
Das hat die Krise überdeckt, hat übrigens dazu geführt, dass die Schulden in Griechenland, in Spanien, in Italien, in Portugal weiter ansteigen. Und das zeigt doch, dass die Ursachen der Krise weiß Gott nicht behoben sind. Die Krisen in den angeschlagenen Euro-Ländern werden massiv wiederkommen.
Ricke: Was ist dann zu tun? So weitermachen wie bisher mit der Politik des billigen Gelds, mit dem Versprechen, im Zweifelsfall Staatsanleihen zu übernehmen, damit diese Länder nicht kollabieren. Oder muss man tatsächlich das machen, wofür ein FDP-Chef Rösler einmal sehr geprügelt worden ist, ein Land in die geordnete Insolvenz gehen lassen?
Stärker an die Eigenverantwortung appellieren
Klodt: Wir kommen letztlich nur heraus, glaube ich, indem wir doch tatsächlich einen Schritt in diese von Ihnen skizzierte Richtung gehen, dass wir stärker an die Eigenverantwortung appellieren, dass wir nicht uns von Berlin oder Brüssel aus anmaßen, zu wissen, was die richtigen Strukturreformen für Griechenland sind. Und das muss Griechenland schon selbst entscheiden, muss es selbst ja auch tragen. Und Reformen werden immer auf Widerstand stoßen, wenn sie als von außen aufoktroyiert angesehen werden.
Was die Geberländer und die EU und EZB und Internationaler Währungsfonds tun sollten, ist wirklich klare Bedingungen setzen, zu sagen, wir legen, wenn es denn absolut sein muss, noch ein Hilfsprogramm auf, aber dann ist definitiv Schluss. Und daran hat es bisher gefehlt. Es wurden Hilfsprogramme aufgelegt mit der Verkündigung, dann ist definitiv Schluss, und dann wurde das nächste Hilfsprogramm aufgelegt.
Wir haben jetzt die Debatte bei Griechenland. Das zweite Hilfsprogramm ist noch gar nicht vollständig ausgezahlt, und es werden im Finanzministerium in Berlin schon Spekulationen über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland angestellt. Warum bitteschön soll die griechische Regierung dann einen harten Sparkurs gegen die eigene Bevölkerung fahren. Lieber Ärger mit dem Bundesfinanzministerium als mit dem eigenen Wähler!
Ricke: Henning Klodt, er ist der Leiter des Zentrums Wirtschaftspolitik am Institut für Weltwirtschaft. Vielen Dank, Professor Klodt!
Klodt: Ja, danke!
Ricke: Das Gespräch haben wir aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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