Europa

"Die Menschen dürfen nicht im Mittelmeer untergehen"

Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern sitzen und liegen im Erstaufnahmelager der Bayernkaserne in München (Bayern) in den Betten ihrer Unterkunft, die in einer ehemaligen Bundeswehr-LKW-Garage eingerichtet wurde.
Flüchtlinge im Erstaufnahmelager in München © Picture Alliance / dpa / Peter Kneffel
Moderation: Christopher Ricke  · 30.08.2014
Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, mahnt europaweit zu mehr Solidarität mit den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer fliehen. Eine EU-Konferenz solle helfen, die Probleme zu lösen.
Christopher Ricke: Man muss kein Zyniker sein, um festzustellen, es werden wieder viele sterben. Der Herbst kommt, das Mittelmeer wird unruhig, nicht alle Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa wollen, werden es schaffen. Sie brauchen Hilfe. Der Vatikan hat mehr Solidarität der EU mit Flüchtlingen gefordert, nicht nur mit Mittelmeerflüchtlingen, er bittet um Menschlichkeit in der Politik. Und der ehemalige Präsident des EU-Parlaments, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering, hat jetzt für eine europäische Asyl- und Flüchtlingskonferenz geworben. Er will eine ausgewogene Lastenteilung in Europa. Guten Morgen, Herr Pöttering!
Hans-Gert Pöttering: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: So eine ausgewogene Lastenteilung fordern ja Länder wie Italien, Malta oder Griechenland schon lange. Die EU-Nordstaaten sind eher zögerlich. Ist es Zeit für eine Wende?
Pöttering: Ja, es ist eine Zeit dafür, dass wir in der Europäischen Union eine solidarische Asyl- und Immigrationspolitik gestalten, die vor allen Dingen zum Ziel haben muss, dass es nicht dazu kommt, dass Menschen im Mittelmeer sterben, wenn sie von Nordafrika in die Europäische Union kommen wollen, denn dort haben sich in den vergangenen Jahren Tragödien abgespielt. Tausende von Menschen sind umgekommen, und das widerspricht unseren Werten in der Europäischen Union, und wir sollten alles tun, dass wir Lösungen finden, um dieses zu verhindern, dass wir Menschenleben bewahren, dass Menschen nicht untergehen im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelmeer, dort umkommen. Und dafür brauchen wir ganz praktische Maßnahmen, wie wir dieses verhindern können. Und wir müssen auf der Grundlage der Solidarität hier eine Lösung finden. Und deswegen rege ich an, dass wir darüber in aller Öffentlichkeit sehr transparent eine Konferenz machen, die mit den Problemen sich beschäftigt, und dass wir dann auch zu Schlussfolgerungen und Entscheidungen kommen.
Ricke: Eine solche europäische Asyl- und Flüchtlingskonferenz könnte ja die EU-Ratspräsidentschaft anberaumen. EU-Ratspräsident ist noch bis zum Ende des Jahres Italien. Schieben die Italiener jetzt gerade kräftig mit an?
"Aber wir sind noch nicht am Ziel"
Pöttering: Ich war gerade in dieser Woche drei Tage in Rom, habe sowohl mit dem italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano als auch mit dem zuständigen Innenminister Angelino Alfano über diese Fragen gesprochen. Und ich rege an, dass die italienische Ratspräsidentschaft, die ja bis Ende dieses Jahres dauert, hier eine Initiative ergreift. Und ich begrüße sehr, dass Innenminister Alfano am Mittwoch dieser Woche – ich habe am Donnerstag mit ihm gesprochen in Rom –, dass er mit der zuständigen Kommissarin in Brüssel am Mittwoch gesprochen hat über diese Fragen, und dass man doch auch zu einigen Ergebnissen gekommen ist. Aber wir sind noch nicht am Ziel.
Ricke: Es wird sich ja etwas ändern bei der Bergung der Flüchtlinge aus dem Meer. Die Italiener sagen, wir können es nicht mehr alleine stemmen, und die europäische Grenzschutzorganisation Frontex will im November schrittweise einsteigen, also die Flüchtlinge aus dem Meer zu fischen. Ist das mehr als nur ein erster kleiner Schritt?
Italien soll Flüchtlinge registrieren
Pöttering: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wir müssen diese Probleme, vor denen Italien steht im Mittelmeer, wenn die Menschen kommen – und die Italiener sagen, es waren im letzten Jahr über 100.000 –, als ein gemeinsames Problem der Europäischen Union verstehen, ein Problem, dass wir solidarisch, gemeinsam bewältigen müssen. Aber wir müssen auch natürlich unseren italienischen Partnern und Freunden sagen, dass wenn die Menschen in Italien sind, man sie auch registrieren muss. Denn das gehört dazu, dass wir eine vernünftige Lastenteilung haben und die Italiener nicht einfach die Menschen, die in Italien dann sind, in die anderen Länder der Europäischen Union weiter schicken, sondern wir haben ja eine Vereinbarung in der Europäischen Union, dass das Land, in dem die Asylanten oder Einwanderer ankommen, auch registriert werden müssen. Und dieses geschieht gegenwärtig in Italien nicht, sodass wir auch über diese Fragen reden müssen. Aber wir müssen es solidarisch bewältigen. Für uns in der Europäischen Union ist es völlig unakzeptabel, dass Menschen, die zu uns kommen wollen aus einer sehr bedrängten Situation in Afrika, aus dem Nahen Osten, dass sie am Ende Gefahr laufen, dass sie im Mittelmeer untergehen. Und es gibt ja ganz furchtbare Berichte und Erfahrungen in den letzten Monaten und Jahren, was im Mittelmeer geschieht. Und dieses muss aufhören und deswegen müssen wir gemeinsam als Europäische Union uns solidarisch diesem Problem widmen.
Ricke: Ich höre immer Solidarität, ich höre Gemeinsamkeit. Ich höre aber auch Verpflichtung der Italiener zur Registration. Geht die Verpflichtung der Italiener und der Griechen und vor allen Dingen der Malteser, die komplett überfordert sind, nicht sehr viel weiter? Wir haben doch die Drittstaatenregelung: Wer in die EU flieht, muss einen Asylantrag da stellen, wo er angekommen ist, und genau das schaffen die betroffenen Länder nicht. Ist die bestehende Regelung noch zu halten?
Probleme nicht mehr ignorieren
Pöttering: Ich glaube, dass im Kern diese Regelung richtig ist, aber sie wird nicht vernünftig und konsequent angewandt. Und deswegen darf man dieses Problem nicht mehr ignorieren. Man darf es nicht mehr leugnen, sondern wir müssen uns diesem Problem gemeinsam widmen. Und da, wo Hilfe notwendig ist durch andere Staaten der Europäischen Union, durch die Europäische Union insgesamt, müssen wir dieses tun, damit wir endlich wirklich diese Tragödie, die ja nicht nur uns politisch beschäftigen muss, sondern es ist ja eine moralische Herausforderung auch, wenn Menschen umkommen, wenn sie sterben. Und ich habe den Kommissionspräsidenten Barroso gehört, wie er berichtet hat über seinen Besuch in Lampedusa, als Hunderte Menschen umgekommen sind im Mittelmeer vor einigen Monaten. Und das ist ja eine menschliche Tragödie, die mit unseren Werten nicht übereinstimmt. Und wenn wir die Würde des Menschen in der Europäischen Union als unseren höchsten Wert nicht nur theoretisch akzeptieren, sondern auch in der Wirklichkeit umsetzen wollen, dann muss die Bewältigung dieses furchtbaren Problems eine Hauptherausforderung sein, der wir uns stellen müssen, und es ist jetzt die Zeit während der italienischen Präsidentschaft, die ja bis Ende dieses Jahres geht, sich dieser Probleme anzunehmen, und ich hoffe, dass dieses auch geschieht.
Ricke: Hans-Gert Pöttering, der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ich danke Ihnen und wünsche einen guten Tag!
Pöttering: Ich wünsche auch einen guten Tag, Herr Ricke!
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