Europa

Chance statt Krise

Von Thomas Bormann · 15.01.2014
Seit gut zwei Wochen führt Griechenland den Vorsitz in der Europäischen Union. Regierungschef Samaras spricht selbstbewusst von einer "Ratspräsidentschaft der Hoffnung". Doch fast allen Griechen geht es schlechter als vor der Krise. Auch die Entlassungen im öffentlichen Dienst gehen weiter.
Seit zwei Wochen führt Griechenland die EU-Ratspräsidentschaft – und seither gibt es in der EU vor allem ein Thema: Griechenland selbst.
Das war so, als EU-Kommissionspräsident Barroso vor einer Woche nach Athen kam:
“Griechenland hat bemerkenswerte Anstrengungen unternommen, vor allem das griechische Volk“, so Barroso.
Ähnlich klang es dann Ende vergangener Woche bei der Dienstreise von Bundesaußenminister Steinmeier in die griechische Hauptstadt:
"Ich bin auch hier, um zu sagen, dass wir Deutschen Respekt haben vor dem ersten Teil des Weges, den Griechenland gegangen ist. Ich weiß, dass man ein starkes Rückgrat braucht, um in einer solchen schwierigen, ökonomischen Situation das Land über die Runden zu bringen."
Geht es also während der griechischen EU-Ratspräsidentschaft nur um Griechenland selbst, um die Rettung des wirtschaftlich angeschlagenen Landes?
Nein, keine Angst, antwortet dann Vize-Außenminister Dimitris Kourkoulas. “Wir werden eine europäische Präsidentschaft ausrichten, keine griechische”, versichert der Vize-Minister.
Dennoch: Griechenland muss mit seinen EU-Partnern über neue Hilfen verhandeln. Denn das aktuelle Rettungsprogramm endet in diesem Jahr; Griechenland wird auch danach auf Hilfe angewiesen sein.
Doch Dimitris Kourkoulas winkt ab: Griechenland habe bereits vier EU-Präsidentschaften erfolgreich bestritten. Es sei kein Problem, dass die griechische Regierung einerseits die Ratspräsidentschaft innehabe und andererseits über neue Unterstützung für das eigene Land verhandeln müsse. Das werde man gut auseinanderhalten können:
"Die Europäische Union ist doch ohnehin eine ständige Verhandlung über alles Mögliche. Wir werden ein ehrlicher Vermittler sein zwischen dem Rat der EU und allen anderen europäischen Institutionen. Wir werden unsere Präsidentschaft nicht für andere Zwecke missbrauchen."
Ministerpräsident Antonis Samaras meint sogar, kein Land sei derzeit besser geeignet für die Präsidentschaft als Griechenland:
"Gerade weil wir so tief in eine Krise verwickelt waren, haben wir Erfahrungen gesammelt. Jetzt sind wir dabei, die Krise zu überwinden. Wir sind also absolut bereit für die griechische Präsidentschaft.
Wir haben bewiesen, dass bedeutende Struktur-Reformen innerhalb Europas möglich sind. Wir haben die schlimmsten Befürchtungen für Griechenland und für ganz Europa zerstreut. Wir haben bewiesen, dass Europa funktioniert – trotz all der Schwierigkeiten, die diese Krise für alle Bürger mit sich brachte."
Heute vor einer Woche in Athen: Während die EU-Kommissare gemeinsam mit den Ministern der griechischen Regierung in der Athener Konzerthalle den Beginn der griechischen EU-Ratspräsidentschaft feiern, demonstrieren linke Gruppe gegen die Sparpolitik:
"Etwas ist verrottet im Herzen Europas, Die EU drückt uns diese extreme Sparpolitik auf. Die Europäische Union ist verantwortlich für die heftige humanitäre und soziale Krise in Griechenland."
Nach sechs Jahren Rezession, sechs Jahren mit Sparprogrammen und Entlassungen haben viele Griechen das Vertrauen in Europa verloren.
„Europa ist für mich eine Lüge, es existiert nicht“, sagt die Studentin Filjo:
"Die EU-Politiker unterstützen ja nicht den Durchschnittsbürger Europas, sondern sie haben nur ihre eigenen Visionen. Sie streben nach ihrem eigenen Wohl - und nicht nach dem Wohl der Völker."
Sprachrohr der Europa-Skeptiker ist Oppositionschef Alexis Tsipras vom Bündnis der Radikalen Linken. Er wirft der Regierung vor:
"Sie sind keine Europäer, Sie sind Merkelisten. Frau Merkel und Berlin sind die größten Anti-Europäer. Sie stehen fürs Auseinanderbrechen Europas, denn die sagen: die Griechen und die anderen Völker im Süden sind faul. Wollen Sie das etwa unterstützen?"
Ministerpräsident Samara weiß: Die Stimmung ist schlecht
In Umfragen liegt die Partei von Alexis Tsipras, das „Bündnis der Radikalen Linken“, derzeit vor der konservativen „Nea Demokratia“ von Ministerpräsident Samaras. Die Radikalen Linken könnten bei den Europa-Wahlen in gut vier Monaten stärkste Kraft in Griechenland werden.
Die amtierende Regierungskoalition aus Konservativen und Sozialdemokraten hingegen findet nur noch bei 26 Prozent der Griechen Zustimmung. Vor allem die traditionsreiche sozialdemokratische PASOK ist dramatisch abgestürzt: Vor viereinhalb Jahren siegte sie mit 44 Prozent bei den Parlamentswahlen; dann kam die Krise und jetzt stehen gerade mal noch fünf Prozent der Griechen hinter der PASOK.
Deshalb traut sich die PASOK nicht, bei den Europawahlen im Mai überhaupt als eigene Partei anzutreten, sondern ihre Kandidaten werden bei der Europa-Wahl im Mai in dem neuen Mitte-Links-Bündnis kandidieren, so jedenfalls kündigte das die PASOK vergangenen Montag an.
Ministerpräsident Samaras weiß, dass die Stimmung im Volk schlecht ist und gibt sich als einfühlsamer Regierungschef:
"Es ist erschreckend, dass der Lebensstandard der Griechen innerhalb von fünf Jahren um 40 Prozent gesunken ist, ja. Aber stellen Sie sich vor, wir hätten den Euro verlassen: Dann hätten die Griechen 70 Prozent verloren, und zwar innerhalb von drei Monaten, das hätte einen totalen Zusammenbruch gegeben. "
Statt eines Zusammenbruchs stehe nun aber die endgültige Rettung, der Aufschwung bevor, meint jedenfalls Ministerpräsident Samaras.
Der Aufschwung beginnt im neuen Jahr, kündigt er an. Endlich die Trendwende, endlich Licht am Ende des Tunnels. Samaras‘ Experten haben ausgerechnet, dass die griechische Wirtschaft in diesem Jahr um 0,6 Prozent wachsen wird. Dank der niedrigen Löhne sollen die Exporte steigen; im wichtigsten Wirtschaftszweig Griechenlands, dem Tourismus, laufen die Geschäfte jetzt schon so gut wie nie zuvor.
Ja, es gibt gute Nachrichten aus Griechenland – deshalb meint Vize-Außenminister Kourkoulas, Griechenland sei:
"In the long run a good place to invest."
Auf lange Sicht ein gutes Land zum Investieren, wirbt Kourkoulas und hofft, dass nun auch tatsächlich Investoren ins Land strömen, hier Firmen gründen oder bislang staatliche Betriebe aufkaufen und neue Arbeitsplätze schaffen.
So soll aus dem angekündigten, zarten Aufschwung dauerhaftes Wachstum werden. So will die griechische Regierung raus aus der Krise, pünktlich zur EU-Ratspräsidentschaft. Griechenland quasi als Modell zur Krisenbewältigung.
Viele Griechen aber fürchten, diese schöne Rechnung, die ihre Regierung da aufmacht, wird nicht aufgehen.
Seit Jahren erleben die Griechen, dass alles immer nur schlechter wird: Ein Rentner aus Athen schimpft:
"Ich kann mir nicht mal neue Schuhe kaufen. Ich muss die alten auftragen. Zu alledem haben meine Kinder jetzt auch noch ihre Arbeit verloren. Das ist nicht zum Aushalten. Das kann man gar nicht beschreiben. "
"Du kannst den Arzt nicht bezahlen. Du kannst die Medikamente nicht bezahlen. Du musst im Laden anschreiben lassen. Du kannst nicht ins Kino, weil alles gekürzt und zusammengestrichen wird."
Auch wenn es stimmen sollte, dass jetzt allmählich die griechische Wirtschaft wieder wächst, so ist sie derzeit doch auf ihrem absoluten Tiefpunkt: Nach sechs Jahren Rezession geht es fast allen Griechen schlechter als vor der Krise.
Und für viele Griechen wird auch das neue Jahr schlechte Nachrichten bringen. Tausende werden ihre Arbeit verlieren, denn der Staat muss weiter sparen, sich an das Sparprogramm halten, dass er mit der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ausgehandelt hat.
So muss Griechenland in diesem Jahr noch einmal 11.000 Staatsbedienstete entlassen. Andere verloren schon in den vergangenen Monaten ihre Arbeit. Im November traf es Putzfrauen, die beim Staat angestellt waren:
"Sie haben 595 Putzfrauen rausgeschmissen. Viele von uns haben jahrzehntelang gearbeitet. Und jetzt feuern die uns einfach ohne mit der Wimper zu zucken."
Anastasia Nomikous‘ Stimme überschlägt sich. Sie ist eine dieser 595 Entlassenen und sie ist wütend. Sie wird nirgendwo anders Arbeit finden. Vielleicht bekommt sie ein Jahr lang noch eine kleine Arbeitslosenunterstützung. Dann aber ist Schluss. In Griechenland gibt es keine Sozialhilfe, kein Hartz-Vier oder ähnliches - nichts. Anastasia Nomikou wird auf die Hilfe der Familie angewiesen sein, notfalls auf die Suppenküche der Kirche.
„Die Entlassungen müssen auf dem Papier bleiben“, rufen Tausende bei einer Demonstration auf dem Syntagma-Platz. Auch der Grundschullehrer Stelios Fotiados ist dabei, denn auch er hat Angst um seinen Arbeitsplatz. Er ist Grundschul-Lehrer. Früher, so sagt der 53-Jährige, habe ich gut verdient, so 1.800 Euro im Monat, jetzt muss er mit 1.000 Euro Monatsgehalt auskommen. Dabei ist er inzwischen nicht nur Lehrer, sondern auch so eine Art Sozialarbeiter. Stelios Fotiadis sieht viel Not in seiner Schule in Keratsini, einem ärmlichen Viertel in der Hafenstadt Piräus,
"Es gibt Familien, die müssen mit 500 Euro im Monat auskommen. Das ist tragisch. An meiner Schule greift die Armut um sich. Viele Kinder kommen ohne Pausenbrot in die Schule. Die Eltern können sich das nicht leisten, weil sie arbeitslos sind."
Gemeinsam mit einigen Eltern kaufen die Lehrer in Keratsini Brot, Butter, Käse und Marmelade, und packen Tütchen mit Pausenbrot. Kein Kind soll mit knurrendem Magen im Unterricht sitzen.
Menschen, die in Mülleimern wühlen, gab es früher nicht
Ja, die Armut wird auf den Straßen Athens immer sichtbarer:
"So ein Bild gab es vor zehn Jahren in Griechenland nicht, dass Leute in den Mülleimern rumgewühlt haben. Das gab es einfach nicht",
sagt Alexandros Souvatsis. Er ist in Berlin aufgewachsen und lebt seit zehn Jahren in Athen, der Heimat seiner Vorfahren.
Alexandros Souvatsis arbeitet freiberuflich als Physiotherapeut. Mehrmals in der Woche aber kommt er ehrenamtlich in die Klinik der "Ärzte der Welt" in der Nähe des Omonia-Platzes in Athen. Hier helfen mehrere Dutzend Ärzte und Mediziner in ihrer Freizeit denen, die keine Krankenversicherung mehr haben; die sich einen Arztbesuch nicht leisten können. Rentner, Arbeitslose, Flüchtlinge aus aller Welt.
Die Medikamente, die hier kostenlos verteilt werden, sind allesamt gespendet:
"Wir kriegen Spenden von vielen Leuten. Wir haben auch eine Aktion jetzt, wo viele Leute ihre Medizin, die sie nicht mehr brauchen, uns geben, damit wir die weitergeben können. Die Leute sind schon sehr hilfsbereit, das muss man einfach so sagen, ja."
Alexandros Souvatsis will nicht wieder zurück nach Berlin, nein, trotz der Krise fühlt er sich wohl in Athen.
Viele andere junge Griechen aber wollen so schnell wie möglich ihre Heimat verlassen. Kyriaki, zum Beispiel, eine 24-jährige Krankenschwester, ist fest entschlossen, nach Deutschland auszuwandern:
"Ich habe vor zwei Jahren meine Ausbildung an der Fachhochschule beendet, seitdem Arbeit gesucht, in Krankenhäusern zur Probe gearbeitet, Schichten übernommen an Weihnachten, an Ostern. Und danach hieß es immer: Wir geben Ihnen Bescheid. Aber es hat sich nie jemand gemeldet."
In Freudenstadt im Schwarzwald hat Kyriaki bereits eine Stelle sicher, Zusammen mit anderen zieht sie nun um nach Deutschland:
"Ich habe keine Angst, das Risiko einzugehen. Wir kriegen das hin. Wir werden die Sprache lernen. Wir werden uns anpassen. Das wird alles klappen."
Kyriaki traut den schönen Worten ihres Ministerpräsidenten Antonis Samaras nicht, der von Aufschwung spricht und von EU-Programmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Nein, Kyriaki wird Griechenland verlassen.
Die griechische Regierung aber gibt sich weiter optimistisch. Allen voran Ministerpräsident Antonis Samaras:
"This is going to be a presidency of hope."
Es wird eine Präsidentschaft der Hoffnung sein, versprach Samaras beim EU-Gipfel kurz vor Weihnachten.
Griechenland will während seiner Präsidentschaft alles dafür tun, dass gerade in den südeuropäischen Krisenländern ein besseres Klima für Investoren, für Firmenneugründungen, für neue Arbeitsplätze geschaffen wird. Und deshalb, so versicherte Samaras seinem skeptischen Publikum, sei die griechische EU-Ratspräsidentschaft "a presidency of opportunities, not a presidency of crisis".
Eine Präsidentschaft der Chancen, nicht eine Präsidentschaft der Krise.
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