EU-Ratspräsidentschaft

Substanz statt Symbolik!

Europagebouw, das Gebäude, in dem alle Treffen während der Ratspräsidentschaft der Niederlande stattfinden.
Im Europagebouw finden während der Ratspräsidentschaft der Niederlande alle Treffen statt © dpa / picture alliance / Robin Van Lonkhuijsen
Von Ludger Kazmierczak · 01.01.2016
Alle sechs Monate wechselt die EU-Ratspräsidentschaft. Seit dem 1. Januar sind die Niederlande dran. Ludger Kazmierczak fragt sich, was deren Regierung da eigentlich übernimmt: Denn Gestaltungsmacht ist mit dieser Aufgabe schon lange nicht mehr verbunden.
Haben Sie mitbekommen, wer in den vergangenen sechs Monaten den EU-Vorsitz innehatte? Nein? Macht nichts. Spielt eh keine Rolle. Es war Luxemburg. Und jetzt übernehmen die Niederlande. Wobei die Frage ist, was die Niederlande eigentlich übernehmen.
Die Ratspräsidentschaft eigentlich nicht. Denn mit Donald Tusk hat die EU ja einen ständigen Ratspräsidenten. Dieses Amt gibt es immerhin schon seit 2009. Und wahrscheinlich haben die Mitgliedsländer der EU damals einfach vergessen, die Länder-Rotation abzuschaffen.
Ein anachronistisches Modell
Heute wirkt dieses Modell jedenfalls wie ein Anachronismus. Es widerspricht der politischen Realität - den Machtverhältnissen innerhalb der EU. Europapolitik wird nicht in Amsterdam, Nikosia oder Bratislava gemacht, sondern in Brüssel – und ganz entscheidend auch in Berlin.
Aber dadurch, dass die Ministertreffen regelmäßig irgendwo anders stattfinden, sollen die kleineren Länder zumindest das Gefühl bekommen, gleichwertige Partner zu sein.
Bei den ganz kleinen mag das vielleicht sogar noch funktionieren, aber die Niederlande machen sich längst nichts mehr vor. Sie wissen sehr wohl, dass sie bei ihrer 12. Ratspräsidentschaft kaum mehr als eine Gastgeberrolle erfüllen. Sie dürfen Konferenzen vorbereiten und Einladungen verschicken. Aber die wirklich wichtigen Gipfel finden schon seit mehr als zehn Jahren ausschließlich in Brüssel statt.
Und weil die Niederlande sehr realistisch an ihre Aufgabe herangehen, verzichtet das Land im kommenden halben Jahr auch auf jeden Schnickschnack. Regierungschefs, die auf dem Fahrrad durch Amsterdam radeln, wird es ebenso wenig geben wie teure Gastgebergeschenke oder aufwändige PR-Offensiven.
Die Niederlande haben nicht mal ein neues Logo für den Ratsvorsitz kreiert, sondern das vom letzten Mal übernommen und aus der Jahreszahl 2004 ein 2016 gemacht. Das ist niederländischer Pragmatismus.
Die großen Probleme der EU lassen sich nicht in sechs Monaten lösen
Hollands Premier Mark Rutte dürfte bewusst sein, dass er die großen Probleme - die nicht abreißenden Flüchtlingsströme, die wachsende Gefahr durch den Terrorismus und vor allem die Identitätskrise der EU nicht alleine lösen wird. Schon gar nicht innerhalb eines halben Jahres.
Er schafft es ja nicht einmal, die Skeptiker im eigenen Land von der Sinnhaftigkeit eines starken, solidarischen Europas zu überzeugen. In der Gunst der Wähler liegt derzeit der Rechtspopulist und EU-Kritiker Geert Wilders ganz weit vorne.
Nein, Mijnheer Rutte und seine Minister fühlen sich gar nicht wohl in ihrer Rolle. Und so geht es vielen anderen Regierungen auch, wenn sie den Staffelstab übernehmen. Turnusgemäß, wie es so schön verräterisch heißt. Also nicht, weil sie es können, sondern weil sie dran sind.
Spesen sparen durch Abschaffung der Rotation
Deshalb schlage ich vor: weg mit der Rotation. Das spart Spesen, Hotel- und Reisekosten – ganz abgesehen von den Millionen, die die gastgebenden Staaten für ihre Präsidentschaft ausgeben.
Europa braucht nicht alle paar Monate einen neuen Vorsitzenden, der sowieso nichts zu sagen hat. Europa braucht mehr Substanz statt Symbolik.
Ein französischer Journalist hat kürzlich die Vertreter des Vorsitz führenden Landes mit byzantinischen Würdenträgern verglichen, die am Hofe geachtet wurden, aber keinerlei Macht besaßen. Die EU-Ratspräsidentschaft ist seiner Ansicht nach reine Formsache.
Il a raison – Recht hat er.
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