EU-Parlamentspräsident: Griechenland droht "eine ganz schwere Krise"

Martin Schulz im Gespräch mit Marietta Schwarz · 07.05.2012
Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), warnt Griechenland davor, die Sparzusagen nicht einzuhalten. Grundvoraussetzung für die Fortsetzung der europäischen Solidarität seien die griechischen Zusagen zum Sparen und Umbauen des Staates, die nicht zurückgenommen werden sollten.
Marietta Schwarz: In Frankreich übernimmt ein Sozialist das Präsidentenamt, der den Fiskalpakt, so, wie er besteht, nicht unterzeichnen will, und in Griechenland verliert das Regierungsbündnis die Mehrheit, das das Sparprogramm der EU durchsetzen soll. Stattdessen räumen EU-Gegner am linken und rechten Rand Stimmen ab. Wer mit der EU über weitere Kredite verhandeln wird, das ist noch offen. Das rigide Sparen jedenfalls, das haben die gestrigen Wahlen verdeutlicht, steht derzeit in der EU nicht so sehr hoch im Kurs. Martin Schulz, Vorsitzender der sozialistischen Fraktion und Präsident des EU-Parlaments, ist am Telefon, guten Morgen!

Martin Schulz: Guten Morgen!

Schwarz: Herr Schulz, fangen wir mal mit Griechenland an: Gibt das Wahlergebnis dort Anlass zur Sorge?

Schulz: Zunächst mal darf ich mich bedanken bei Ihnen für die doppelte Funktion, die Sie mir da zugewiesen haben. Ich war mal der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion, bin aber jetzt nur noch - in Anführungsstrichen - der Parlamentspräsident. Was in Griechenland an Regierungsmöglichkeiten, an Option sich abzeichnet, ist nicht vorauszusagen. Eins ist sicher, die Leute haben gegen den Sparkurs der Regierung und auch gegen den Sparkurs aus Brüssel abgestimmt, ich glaube, das kann man so sagen. Die Mehrheit der Abgeordneten, die dort hingeschickt werden wird, ist skeptisch gegenüber den bisherigen Maßnahmen. Das macht es für uns alle extrem schwierig.

Schwarz: Die Griechen haben ihre Regierung für den rigiden, von der EU verordneten Sparkurs abgestraft. Kann ein Land sparen, das zum Sparen offenbar nicht bereit ist?

Schulz: Das ist die entscheidende Frage. Wir werden mit den Gewählten reden müssen, ich rate dringend dazu, keine Schnellschüsse jetzt zu machen und keine voreiligen Urteile zu fällen. Da sind neue Parteien ins Parlament gewählt worden, von denen man weiß, dass kein Dialog mit ihnen möglich ist, eine Neonazi-Partei. Ich glaube, das braucht man nicht zu versuchen, mit denen zu reden. Es sind andere Parteien, der gemäßigten Linken, auch der gemäßigten Rechten, mit denen - das ist jedenfalls mein Vorschlag und mein Rat - man jetzt erst einmal reden muss. Man darf nicht den Dialog verweigern. In Wahlkämpfen - das wissen wir nicht nur aus Griechenland, auch aus allen anderen Ländern - wird viel gesagt, was sich hinterher auch nicht umsetzen lässt. Diejenigen, die bisher den Sparkurs befürwortet haben, entsenden immerhin 150, also exakt genau die Hälfte der Sitze ins Parlament. Das heißt, es gibt durchaus Dialogmöglichkeiten. Aber eins ist richtig: Man wird den Griechen sagen müssen: Wir haben gerade 130 Milliarden Euro an Hilfspaket geschnürt, mit dem die Solidarität mit Griechenland geübt werden soll. Grundvoraussetzung, um da weiterzumachen, ist natürlich auch, dass Griechenland seine gegebenen Versprechungen einhält. Wenn die revidiert werden sollten, also, wenn da eine neue Regierung, ein neues Parlament die griechischen Zusagen zum Sparen und Umbauen des Staates zurücknimmt, dann geraten wir sicher in eine ganz schwere Krise.

Schwarz: Schauen wir mal nach Frankreich, dort ist ein Staatspräsident gewählt worden, Francois Hollande, der auch nicht so sparen will, wie die Bundesregierung sich das zumindest vorstellt. Sehen Sie da einen Richtungswechsel sich abzeichnen auch in der Europäischen Union?

Schulz: Ja, wir haben sicher die Logik, dass ein sozialistischer Präsident, der mit einem Programm gewählt worden ist mit deutlicher Mehrheit, das ein anderes ist als das bisher von Nicolas Sarkozy vertreten, und das wiederum ist das Gleiche wie das von Angela Merkel, dass das zu einer Änderung führen wird innerhalb des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs, das ist klar. Da müssen Sie allerdings sehen, dass die europäischen Institutionen, die Kommission unter der Führung von Herrn Barroso und das Europäische Parlament, mit überwältigender Mehrheit bisher schon die Auffassung vertreten haben, dass sich auf Dauer keine Volkswirtschaft erholen kann, wenn immer nur gespart wird. Sparen ist nötig, Sparen ist zwingend erforderlich, die Reduzierung von Staatsschulden vor allen Dingen ist auch eine Frage der Generationengerechtigkeit. Ich möchte nicht, dass meine Kinder und deren Kinder meinen Lebensstandard noch finanzieren müssen, das ist klar. Aber auf Dauer wird sich - da muss man kein Professor der Volkswirtschaft sein, um das zu verstehen - kein Haushalt sanieren lassen, wenn es kein Wachstum und keine Beschäftigung gibt. Und deshalb Investition in Wachstum und Beschäftigung, die werden kommen als Ergänzung zur Sparpolitik. Und wenn ich die Äußerung von Bundeskanzlerin Merkel und der deutschen Regierung aus den letzten Tagen richtig verstehe, dann geht ja auch Frau Merkel davon aus - ich treffe die Frau Merkel morgen, werde das auch mit ihr diskutieren -, geht sie auch davon aus, dass wir Ende Juni einen EU-Gipfel zu Wachstum und Beschäftigung haben werden. Von daher, da kommt es zu einer Richtungsänderung.

Schwarz: Dass Wachstum generiert werden muss, das würden sicher alle unterschreiben. Die Frage ist nur, wie man das macht. Merkel könnte zum Beispiel vorschlagen, nicht abgerufene EU-Strukturhilfen an die Länder auszuzahlen. Ist das zum Beispiel ein richtiger Ansatz?

Schulz: Sehr erstaunlich, das fordern wir im Europaparlament jetzt seit über einem Jahr, und seit über einem Jahr wird es zurückgewiesen. Jetzt plötzlich soll es gehen. Und das ist eines der Probleme, die wir in der EU haben, dass sehr häufig sehr taktisch überlegt wird, und wenn es gar nicht mehr anders geht, dann werden die Vorschläge aufgegriffen. Wie gesagt, die nicht genutzten Strukturfondsmittel, 15 bis 20 Milliarden Euro, die lagern ja schon seit längerer Zeit im Haushalt der EU. Die Vorschläge gibt es schon ganz lange, jetzt plötzlich geht's. Das ist schade, dass das immer so lange dauert, aber hoffentlich ist es nie nicht zu spät, denn es ist ja selten zu früh und fast nie zu spät. Deshalb. ich hoffe, dass das ein Vorschlag ist, der sich umsetzen lässt. Es gibt übrigens noch einen anderen: Reduzierte Staatsschulden reduzieren auch die Zinslasten, die man für diese Schulden zahlen muss, und genau diese Zinslasten sind die Sanierungseffekte in den Haushalten. Die damit gewonnenen Gelder braucht man ja nicht als neue Schulden aufzunehmen, sondern man hat sie dann frei und die kann man eben auch investieren. Von daher glaube ich, wäre diese Kombination aus gezielter Investitionspolitik und der Nutzung der Sanierungseffekte bei Haushaltsreduzierung, das ist der Weg, den wir gehen müssen.

Schwarz: Martin Schulz war das, Präsident des Europaparlaments und für die SPD dort. Vielen Dank für diese Einschätzung!

Schulz: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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