"Etwas Neues beginnt"

Von Sigrid Brinkmann · 18.10.2012
Der israelische Musiker und Komponist Avishai Cohen gehört zu den weltbesten Jazz- Kontrabassisten. Seit acht Jahren hat er ein eigenes Trio. Nun tritt er erstmals mit einem Kammermusikensemble auf.
"Ich habe Klavierunterricht gehabt und mit 15 Jahren angefangen, elektrischen Bass zu spielen. Der Bass und ich, wir haben uns einfach gefunden, man kann es nicht anders nennen. Körperlich und geistig fühle ich mich mit diesem Instrument am wohlsten. Man identifiziert mich mit dem Kontrabass und ich liebe ihn."

1992 zog Avishai Cohen nach New York. Er war 21 und sein erstes Jahr in der Megastadt war "die Hölle". Er absolvierte ein hartes Übungsprogramm, zog durch Clubs, suchte unentwegt nach Auftrittsmöglichkeiten. Und plötzlich rief Chick Corea an und lud ihn ein, in seinem Sextett mitzuspielen:

Bald fragten auch andere Jazzgrößen wie Wynton Marsalis, Herbie Hancock, Bobby McFerrin und Ravi Coltrane nach. Avishai Cohen war ständig auf Tour oder in Studios:

"Jeder Musiker verkörpert eine Welt für sich. Egal, wo ich mich aufhalte, ich finde immer Persönlichkeiten, mit denen ich Musik machen kann. Ich habe allerdings sehr genaue Vorstellungen von dem, was ich musikalisch ausdrücken möchte. Aber - jeder Musiker ist gut genug!"

2003 gründete Avishai Cohen mit dem Pianisten Shai Maestro und dem Schlagzeuger Mark Guilliana sein eigenes Trio. Zehn Alben hat er seither produziert und einen eigenen Sound mit melancholisch gefärbten, einprägsamen Melodien und scharfen Rhythmuswechseln kreiiert. Wer Avishai Cohen auf Konzertbühnen erlebt, schaut gebannt auf seine kräftigen Finger, sein hingebungsvolles Spiel und die sichtbare Lust des Trios an der Improvisation:

Das jüngste Album heißt "Duende". Das spanische Wort bedeutet Seele. "Duende" nennt man auch ein koboldhaftes Wesen, das die Leute in Ekstase versetzt.

"Ohne Seele geht für mich gar nichts! "Duende" : das sind deine Eingeweide, das ist dein Innerstes. Ich reagiere stark auf den Klang von Worten und interessiere mich erst später für deren Bedeutung. Ich mag einfach, wie das Wort "duende" klingt."

Seit 2004 hat Avishai Cohen seinen Lebensmittelpunkt wieder in Israel. Wenn er keine Konzerte gibt, sucht er eher die Abgeschiedenheit. Er hat geheiratet und wird in wenigen Wochen zum ersten Mal Vater:

Bei seinen Konzerten singt Avishai Cohen als Zugabe immer Lieder auf Spanisch und Ladino. Ladino war die Sprache der Juden im mittelalterlichen Spanien und später in der südeuropäischen Diaspora:

"Ich habe dieses Lied schon als kleiner Junge gehört. Meine Mutter hat sephardische Wurzeln, und sie kennt enorm viele Lieder. Ich habe sie ständig singen hören, und unbewusst all diese Melodien verinnerlicht."

"Ich liebe dieses Lied. Ich finde mich darin völlig wieder. Ich singe jetzt seit zehn Jahren, und Ladino- Lieder wollte ich mehr als alles andere singen. Die Melodielinien sind ungemein klar und einprägsam. Ich empfinde es fast als einen Auftrag, diese Sprache lebendig zu halten, denn sonst stirbt sie bald ganz."

Noch ist Avishai Cohen keinerlei Nervosität vor der Weltpremiere seines "String Projects" anzumerken. Mit den Fingern fährt er durch die kurzen, hellen Haare und sagt im Brustton, dass er Herausforderungen braucht. Man glaubt jedes Wort.

Am 24. Oktober wird das Avishai Cohen Trio zum ersten Mal mit einem Streichquartett - ergänzt um eine Oboe - auftreten:

"Es ist sehr aufregend. Etwas Neues beginnt. Ich werde nie aufhören, mit meinem Trio zu arbeiten, aber ich spüre ganz deutlich, dass ich die Arbeit mit Streichern erproben will und dass ich in ein paar Jahren so weit sein werde, mit einem ganzen Orchester aufzutreten."
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