Essen als Politikum

Von Bernd Sobolla · 24.04.2006
Der Dokumentarfilm "We feed the world - Essen global" schildert, wie Konzerne und Großindustrie unsere Ernährung steuern, wie Massenviehzucht, ausufernde Subventionen und Monokulturen für viele Menschen weltweit immer mehr zu einem Ernährungsproblem werden: "We feed the world - Essen global" ist ein Film über Ernährung und Globalisierung, Warenströme und Geldflüsse - ein Film über den Mangel im Überfluss. In Österreich hat der Film schon fast 200.000 Zuschauer in die Kinos gelockt.
Szene aus "We feed the world":
"Wenn ich Ihnen sag, dass die Tonne Weizen jetzt 100 Euro kostet, ja? Und wenn ich heute gucke, was der Streusplitt kostet, … dann fehlt die Realität. Heute kostet der Streusplitt mehr als der Weizen. … Und das müssen die Leute wissen. …. Des muss einen gerechten Preis geben für die Produkte, was man produziert. Und nicht nur immer sagen: Ja, ein Schnitzel darf nur zwei Euro kosten. Dann wundern sich alle Leute, warum wir Tierfabriken haben mit 20.000 Schweinen."

In der europäischen Landwirtschaft stimmen die Relationen nicht mehr, und auch sonst ist vieles im argen: Jeden Tag wird in Wien z.B. so viel Brot auf die Müllhalde gefahren, wie die Stadt Graz verbraucht, nur weil es sich nicht am Produktionstag verkaufen lässt. Der gigantische Gemüseanbau in Südspanien hat zu massivem Wassermangel in der ganzen Region geführt. Und in Brasilien wurden und werden riesige Urwaldflächen abgeholzt, um Sojabohnen für die europäische Viehwirtschaft anzubauen. Denn der Quadratmeter kostet nur etwa einen Cent. Und die dazu benötigten Straßen werden auch noch von der Welt- und der Lateinamerikabank mitfinanziert. Daneben hungert ein Viertel der einheimischen Bevölkerung.

Dennoch ging es dem Regisseur Erwin Wagenhofer in seinem Film nicht primär um die Globalisierung, sondern um Zusammenhänge.

"Und nach Brasilien sind wir aus zwei Dingen gegangen. Das eine ist, weil wir praktisch den Regenwald auffressen. Zuerst unsere Tiere, und wir fressen dann die Tiere. Und parallel vor Ort, in einem extrem reichen Agrarland, die Menschen verhungern. Und nicht wenige, sondern offiziell 44 Millionen. Das sind 25 Prozent, inoffiziell viel mehr. Das hat mich interessiert, also die absurde Situation des Hungers in einem reichen Agrarland. Nicht das, was man aus dem Fernsehen kennt: Sahelzone, Niger, Katastrophe, Dürre, Heuschrecken, Krieg meinetwegen, Korruption, widerliche Dinge… jetzt müssen die Menschen verhungern. Das sind die allerwenigsten; von den 842 Millionen, die hungern. .... Die meisten hungern dort, wo es genug gibt."

Oder dort, wo es genüg geben könnte. In Dakar zum Beispiel: Die Hauptstadt des Senegal hat den größten Obst- und Gemüsemarkt von Nord-West-Afrika. Aber einheimische Produkte gibt es dort kaum zu kaufen. Denn die hoch subventionierten EU-Waren werden dort rund 30 Prozent billiger angeboten als die afrikanischen. So zerstört die europäische Wirtschaftspolitik die afrikanische Landwirtschaft. Und die Flüchtlingsströme durchs Mittelmeer, vor allem nach Spanien und Italien werden immer größer.

Aber auch für Osteuropa sieht die Zukunft düster aus. In Rumänien kämpfen Konzerne wie Pionieer Hi-Bred darum, neue Abnehmer für ihre Hybridsamen zu finden. "We feed the world" lautet das Firmenmotto. Mit Hybridsamen wird die Produktion - zumindest kurzfristig - erhöht, und das Gemüse sieht besser aus. Allerdings ist das Saatgut teuer und der Geschmack des Gemüses schlechter, das jedenfalls meint Karl Ortok, der ehemalige Produktionsdirektor der Firma in Rumänien.

"Wenn du heute anfängst, mit Hybridsamen zu arbeiten, wirst du bald nichts mehr haben, was man als "biologisch" bezeichnen kann. In Österreich ist das bereits der Fall. Da gibt es zwar ein Umdenken, aber es dauert eine lange Zeit, ehe man wieder biologische Produkte erntet. Wir haben den Westen in Arsch gemacht. Und jetzt kommen wir nach Rumänien und zerstören die ganze Landwirtschaft hier."

Ein Frontalangriff gegen seine ehemalige Firma, die er vor der Kamera erst angriff, als er wusste, dass er bereits pensioniert sein würde, wenn der Film im Kino startet. Aber…

Erwin Wagenhofer: "Er ist zwar bei Pioneer in Rente, aber er ist Maschinenbauer und hat sich eine Saatgutmaschinen-Firma in Rumänien aufgebaut. Dort ist er noch aktiv. Und am Tag der Uraufführung in Toronto beim Film-Festival, dort dürft` schon jemand von Bayer das gesehen haben, und am Tag danach ging ein Fax, eine E-mail um die Welt: "No business with Karl Otrok!" Und seitdem hat er zwei Millionen Euro verloren."

"We feed the world" bietet keine ausgefeilte Dramaturgie, zeigt weder großartige Bilder noch außergewöhnliche Protagonisten. Aber 95 Minuten lang plätschern auf den Zuschauer Katastrophen nieder, die unser Landwirtschafts- und Ernährungssystem kreiert, welches wiederum Konzerne, Lobbyisten und Besitzstandswahrer aller Couleur über Jahrzehnte aufgebaut haben.

Das Merkwürdige an Erwin Wagenhofers Film ist, dass sich der Filmemacher gar nicht darum bemüht, irgendwelche illegalen Machenschaften aufzudecken, was ja häufig Dokumentarfilme ausmacht. Er schildert einfach nur, wie heutzutage Fischfang, Landwirtschaft und Viehzucht betrieben werden, und welche Folgen sich daraus ergeben. Und besonders peinlich: Viele Dinge kommen einem bekannt vor, wenn auch nicht im Detail: Der südamerikanische Regenwald wird abgeholzt? Nichts Neues! Der Fischfang verlagert sich von der Küste in die tiefe See? Schon gehört! Die europäische Landwirtschaft wird hoch subventioniert? Weiß doch jeder!

Wagenhofer gelingt nun das Kunststück, diese Versatzstücke in einen großen Kontext zu stellen. Und er weist darauf hin, dass das Ende dieser grausamen Entwicklung noch gar nicht erreicht ist, wenn z.B. Konzern-Bosse wie der Nestlé-Chef Peter Brabeck die Privatisierung von Wasser fordern. Wagenhofer selbst hat keine Patentrezepte, um aus dieser Sackgasse zu kommen. Aber eines weiß er.

"Es sind die kleinen Schritte, die getan werden müssen. Die Leute, die eben zum Billigsten hin greifen, die sind eben nicht aufgeklärt. Das ist ein Riesenproblem. Es sagt ihnen auch niemand. Die werden eben behandelt wie Konsumdeppen. Wir sind eben zu Konsumtrotteln verkommen. Ich mag schon den Begriff nicht. Ich werde immer als Konsument tituliert. Und ich will das gar nicht. Ich will gar nichts konsumieren. Ich will was benutzen. Das ist philosophisch ein ganz anderer Zugang. Und zu diesem Umdenken muss man kommen. Wir können Dinge benutzen und nach uns hoffentlich andere."
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