"Es wird geschwittert"

Von Norbert Zeeb · 26.07.2013
Zwei Dutzend Menschen reden oder brüllen auf Kommando los. Den Text dazu hat ihnen der Dada-Künstler Kurt Schwitters (1887 - 1948) vermacht. Schwitters' Gedichte liefern einen Großteil des Repertoires des Sprechchors Hannover.
Eine Schulaula in Hannover. Etwa 25 Leute, die meisten so zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, wuseln durch den Raum. Einige schleichen durch die Gruppe, den Rücken gekrümmt, die Hände bedrohlich zu Krallen geformt - die anderen flüchten, weichen aus.

Der Sprechchor Hannover wandelt auf den Spuren des avantgardistischen Künstlers Kurt Schwitters.

Chor: "Die Gazelle zittert,
zittert, zittert, zittert,
weil, der Löwe brüllt,
der Löwe brüllt!"

Veronika Neubronner:" Ich mag total gerne Gedichte, schon immer, in meiner Schulzeit habe ich unheimlich gerne Gedichte auswendig gelernt. Ich kann immer Texte von Liedern sofort auswendig, aber ich kann leider nicht so schön singen. Und deshalb ist der Sprechchor ideal für mich."

Auf gesangliche Qualitäten komme es also weniger an, meint die Politologin und Choristin Veronika Neubronner, dafür aber auf Spaß an Lyrik, auch an schrägen Stoffen.

Chor: "Die Hyäne wittert,
wittert, wittert, wittert,
doch die Kunst erfüllt!"

Mit seinen aus Alltagsgegenständen, wie Zeitungsschnipseln oder Fahrkarten montierten Bildern, zählt Schwitters zu den Pionieren der Collagetechnik in der bildenden Kunst.

Chor: "Die Kunst erfüllt, weil der Löwe brüllt,
die Kunst erfüllt, weil der Löwe brüllt"

Doch der spleenige Gesamtkünstler produzierte auch allerlei Prosa und Lyrik - Gedichte, wie "die Gazelle" oder …

Chor:" Regen!
Wirbel, Wasser, Wolken, Häuser,
fallen Bäume, fallen Brücken,
Wirbel, Wasser, Wolken, Massen,
baden Erde, fallen Tropfen."

Verantwortlich für die Umsetzung von Schwitters' Texten ist Chorleiter Engelbert Georg. Der 63-Jährige ließ bereits als kleiner Junge Nachbarskinder in seinem Heimatdorf in Oberschwaben eigens ausbaldowerte Indianer-Laute nachsprechen.

Chor:" Wirbel fallen …," - Engelbert Georg: "Wir-bel fallen! ..."

Mit dem Sprechchor Hannover erfüllte sich Georg einen Lebenstraum. Seit 23 Jahren bastelt der ausgebildete Sänger und Tänzer die Programme des Sprechchors, schreibt Musik und die ein oder andere Choreografie hinzu - und erhebt das Sprechen zur Kunst. Sämtliche Sprechweisen werden von ihm komplett durchkomponiert, rhythmisch, aber auch in unterschiedlichen Tonlagen und Stimmen. Das Repertoire reicht von mittelalterlicher Minnelyrik über Goethe bis Ringelnatz.

Engelbert Georg: "Warum Schwitters? Bei Goethe hat man immer das Problem, unglaublich viel Bedeutsamkeit, Bedeutsamkeit, Bedeutsamkeit. Das heißt, man ist immer mit dem Verstand beschäftigt zu verstehen, was das alles bedeutet. Und jetzt gibt es den Kurt Schwitters und man muss gar nicht mit der Bedeutung rumfuchteln. Man kommt gleich in das pure 'Wie', und man spielt mit dem 'Wie'."

Chor: "Was Kunst ist, piep,
wissen Sie ebenso gut wie wir.
Es ist nichts weiter als Rhythmus, Rhythmus ...""

Engelbert Georg: "Also, hier haben wir jetzt ein Beispiel, Kurt Schwitters, ein kunsttheoretischer Text. Der Schwitters erzählt da, dass die Kunst eben aus Rhythmus besteht, und dass das die Quintessenz aller Kunst eben ist. Und plötzlich, sagte ich mir, ob da nicht vielleicht auch diese Darstellung von Kurt Schwitters selber auch schon rhythmisch ist?"

Chor: "Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus …"

Engelbert Georg: "Man kann das Wort Rhythmus natürlich einfach sagen: Rhythmus, bäng! Das schnappt der Verstand ein, haben wir verstanden. Aber wenn man: Rhythmus, Rhythmus..., dann kommt das Erleben auf: Ja, so tut ja Rhythmus!"

Chor:" Rhyth-mus-kehr-uuuuuuum! Kuckuck, Kuckuck."

Rainer Thon: "Wir kommen eigentlich mit einem sehr guten, positiven Gefühl aus dieser Chorstunde heraus. Selbst wenn wir vorher kaputt waren und dann richtig trainiert haben, dann fühlen wir uns irgendwie ..."

Sabine Helberin: "Frischer! Aber das liegt auch am Programm, das wir jetzt gerade erarbeiten. Jetzt machen wir gerade Schwitters, wenn wir Goethe machen, dann ist das durchaus nicht durchgeknallt."

Key-Account-Manager Rainer Thon ist, wie auch Sabine Helberlin, schon viele Jahre dabei. Die 54-jährige Architektin kam durch ihre Tochter zur Sprechkunst, denn beim Sprechchor Hannover gibt es auch eine Kindergruppe.

Sabine Helberlin: "Meine Tochter war im Kindersprechchor, und da musste man zu Hause üben. Und das Kind und ich übten zu Hause beim Abwasch, und dann stellte sie mit sehr erstauntem Blick fest, Mutter, du kannst gar kein R sprechen. Und Mutter war ganz erstaunt, wieso kann ich kein R sprechen? Und das hat mir dann so zu denken gegeben, dass ich mir dachte, ich geh da mal hin, dann lerne ich das R sprechen." (lacht)

Chor:"Es donnert, es donnert, es donnert stundenlang,
es blitzet, es blitzet, die Straßen werden blank,
es scheinet, es scheinet, erneut der Sonnenschein,
kann das wohl, ja, kann das wohl,
ein Gewitter sein?"

Zurzeit dreht sich alles um Schwitters im Chor. Veronika Neubronner mag die absurde Komik seiner Texte, doch der gebürtige Hannoveraner sei ein Künstler für Kenner.
Veronika Neubronner: "Also interessant ist, dass die Hannoveraner ihren Schwitters ja gar nicht kennen, und wenn sie uns dann sehen, wenn wir auch manchmal in der Stadt auftreten vorm historischen Museum, dann gucken sie uns ganz entgeistert an, kennen also die Texte nicht, wundern sich, und trauen sich dann nicht zu lachen, weil sie immer denken, das muss ja ganz was Ernsthaftes sein, und wundern sich dann, wenn man lachen darf."

"Schwittern" in Hannover, das sei halt auch ein bisschen wie Heimatkunde - in Sachen Nonsens-Lyrik.

Chor: "Es donnert stundenlang ..." (Fuß-Stampfen, Ende.)


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