"Es war ja nicht nur ein klares Nein zu Kampfeinsätzen"

Gernot Erler im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 09.04.2011
Der Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, hat bei der Frage eines möglichen Einsatzes von Bundeswehrsoldaten in Libyen die Politik der Bundesregierung als "Zickzackkurs" kritisiert. Gleichzeitig betonte er, dass sowohl seine Partei als auch die Grünen hinter einem humanitären Einsatz in Libyen zur Versorgung der Bevölkerung stünden.
Jörg Degenhardt: Der Libyen-Einsatz ist schwierig geworden. Die ersten schnellen Erfolge wurden noch von der Koalition der Willigen erzielt, seit einer Woche hat nun die NATO das Sagen und sie hat es schwerer. Noch-Machthaber Gaddafi hat seine Panzer und schweren Geschütze in die Städte zurückgezogen, sie stehen neben Schulen und Moscheen, um nicht zum Ziel der NATO-Piloten zu werden. Die EU bereitet derweil den militärischen Schutz von humanitärer Hilfe vor, daran will sich auch Deutschland beteiligen, das beim NATO-Einsatz nicht mitmacht. Am Telefon ist der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler, guten Morgen, Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Degenhardt!

Degenhardt: Können Sie als Vertreter der Opposition zugeben, dass sich die schwarz-gelbe Bundesregierung in der Libyen-Frage durchaus angemessen verhält?

Erler: Leider nicht, denn ich meine, das ist ja ein Hin und Her und ein Zickzackkurs. Bis zum 27.03., das heißt, bis zum Wahltag galt, dass die Regierung sich profiliert hat – besonders Herr Westerwelle – damit, dass er gesagt hat, auf keinen Fall wird der Fuß eines deutschen Soldaten auf libyschen Boden gesetzt, wir machen hier nicht mit. Und jetzt soll das genau umgekehrt gelten, denn das, was da jetzt vorgesehen ist, diese Eufor Libya, wie sie sich nennt, das heißt also eine Schutztruppe, die dafür sorgen soll, dass Leute sicher transportiert und evakuiert werden können aus den Kampfgebieten und dass eben humanitäre Hilfsleistungen militärisch geschützt sind, das kann durchaus bedeuten, dass man auch an Land gehen muss. Zum Beispiel, wenn ein Schiff ausgeladen wird mit Hilfsgütern, wird das durchaus gefährlich sein, und wenn man das schützen will, dann braucht man auch Soldaten auf dem Boden.

Degenhardt: Ja, das mag so sein, das wissen wir noch nicht, aber es bleibt doch beim klaren Nein zu Kampfeinsätzen in Libyen. Insofern steht doch die Bundesregierung zu ihrer Haltung?

Erler: Es war ja nicht nur ein klares Nein zu Kampfeinsätzen, das hätte man ja auch bei einem Ja bei dieser Entscheidung im Sicherheitsrat am 17.03. machen können, sich nicht zu beteiligen. Aber es wurde ja immer gesagt, auf keinen Fall schicken wir einen einzelnen Soldaten hin. Das ging ja sogar so weit, dass eigentlich diese Embargomaßnahmen, die von der Bundesregierung gefordert, laut gefordert wurden und unterstützt wurden, dann nicht mit getragen wurden, sondern man sogar die Schiffe aus dem Mittelmeer abzog von der Bundesmarine, weil auch das eben formal eine Beteiligung an dieser Mission gewesen wäre.

Degenhardt: Nun geht es darum, humanitäre Hilfsmaßnahmen militärisch abzusichern. Aber dafür ist doch auch Ihre Partei, die SPD?

Erler: Ja ich meine, was jetzt passiert, ist Folgendes: Wir werden nicht aufhören, die Inkohärenz und diesen Zickzackkurs hier anzusprechen, auch kritisch anzusprechen. Aber wir haben signalisiert, und zwar sowohl Grüne wie SPD, dass wir natürlich jetzt Maßnahmen, um die in größter Not befindliche Bevölkerung hier zu schützen und vor allen Dingen auch Hilfe anbieten zu können, dass wir das unterstützen würden. Aber wir warten natürlich erst mal ab, was hier für eine Vorlage auf uns zukommt, das wissen wir noch gar nicht, da gibt es noch nichts Konkretes …

Degenhardt: … aber Sie gehen auch diesen Zickzackkurs mit, wenn ich Sie dann richtig verstehe.

Erler: Nein, wieso? Wir haben ja von vornherein kritisiert, was die Regierung da gemacht hat. Wir hätten es besser gefunden, wenn man sich nicht isoliert hätte von den anderen Bündnispartnern, sondern gleich von vornherein diese Mission mitgetragen hätte, ohne allerdings unbedingt sich zu beteiligen.

Degenhardt: Aber Sie tragen doch mit das Risiko, wenn diese humanitären Hilfseinsätze sozusagen zum Militärischen ausarten. Das kann man doch nicht ausschließen, davor warnt ja zum Beispiel auch der Bundeswehrverband?

Erler: Ja das habe ich ja eben selber gesagt …

Degenhardt: … eben …

Erler: … also wir sind in dieser Frage natürlich offen, hier so etwas mitzutragen, aber wir haben ja gesehen, was für eine politische Folge dieses Verhalten der Bundesregierung hat. Wir haben von vornherein gesagt, das wird einen hohen Preis politischer Art noch haben, und die erste Rate wird jetzt schon gezahlt, die erste Rate wird jetzt schon gezahlt dadurch, dass Deutschland ja beteiligt ist an den sogenannten Battlegroups, diesen schnellen Eingreiftruppen der EU, die ja vorgesehen sind - übrigens zum ersten Mal eingesetzt werden. Hätte sich Deutschland noch weiter isoliert, wenn jetzt Herr Westerwelle bei seinem Kurs geblieben wäre, keinen einzigen Soldaten vor Ort einzusetzen, und deswegen musste er jetzt hier einknicken.

Degenhardt: Die Frage ist überhaupt, wie ist der Einsatz der NATO zu einem guten Ende zu bringen. Libyen, reicht es aus, wenn man diesen Gewinn sozusagen nur aus der Luft sucht, oder muss es nicht doch zum Einsatz generell von Bodentruppen kommen?

Erler: Die Lage ist in der Tat sehr schwierig und die NATO steht im Augenblick vor einem schwierigen Problem, weil immer deutlicher wird, dass mit militärischen Mitteln die Opposition kaum vorankommt und dass man allenfalls aus der Luft verhindern kann, dass neue Verbände mit schweren Waffen gegen irgendwelche Städte vorgehen. Aber die Lage in Misrata etwa, in dieser Stadt mit 300.000 Einwohnern, wo auch die größte Not in der Bevölkerung ist, aber auch an anderen Orten, ist katastrophal. Und insofern hat sich ja in den letzten Tagen die Konzentration sehr stark auch in Richtung von politischen Lösungen hinbewegt, etwa durch den türkischen Vermittlungsvorschlag. Alles das bedeutet aber, dass man wahrscheinlich noch etwas länger mit einer Existenz des Regimes von Muammar al-Gaddafi rechnen muss.

Degenhardt: Unterm Strich: Ist die internationale Gemeinschaft gewissermaßen angestiftet durch Paris zu überstürzt in diesen Konflikt gegangen, ohne zu bedenken, wie und wann man aus diesem Einsatz wieder herauskommt?

Erler: Ich glaube, man darf zwei Dinge nicht vermischen: Der unmittelbare Anlass, hier etwas zu tun, war diese schreckliche Situation am 17., 18. März, wo schwere Truppen mit Artillerie, mit Panzern vor der 800.000-Einwohner-Stadt Bengasi standen und dahinter die Drohung von Gaddafi stand, ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung die Ratten, wie er sie nannte, die Aufständischen zu vernichten. Und das war wirklich eine Herausforderung für das Weltgewissen. Und da zu sagen, das können wir nicht tatenlos zusehen, das ist auch heute noch, egal, was danach passiert ist, richtig gewesen, diese Stadt nicht zu opfern sozusagen und untätig zuzuschauen. Von vornherein war aber unklar und ungewiss, ob es gelingt, Gaddafi mit solchen Schutzmaßnahmen aus der Luft zu vertreiben, und deswegen war das immer klar, dass das zwei verschiedene Handlungsstränge sind: Das eine waren diese Schutzmaßnahmen aus der Luft, das andere die Versuche, Gaddafis Herrschaft zu beenden, die wahrscheinlich etwas länger dauern werden.

Degenhardt: Zur Libyenpolitik speziell der Bundesregierung waren das Fragen an Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank, Herr Erler!

Erler: Danke Ihnen!

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