"Es war eine wirkliche Überraschung"

Moderation: Nana Brink · 26.02.2007
Für Filmkritiker Jörg Taszmann war es eine echte Überraschung, dass der deutsche Film "Das Leben der Anderen" mit einem Oscar ausgezeichnet worden ist. Es sei erstaunlich, dass der Film auch in anderen Ländern so erfolgreich laufe. Insgesamt zeige die Oscarverleihung aber, dass Hollywood die Ideen ausgegangen seien.
Nana Brink: And the Oscar goes to "Das Leben der Anderen" von Florian Henckel von Donnersmarck. Vor wenigen Stunden hat dieser deutsche Film über die Gewissensnöte eines Stasispitzels in Los Angeles den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhalten. Es ist das dritte Mal in der Geschichte der Oscarverleihung, dass ein deutscher Film den begehrten Preis bekommt, 1979 war es Volker Schlöndorffs "Die Blechtrommel" und 2002 Charlotte Links Streifen "Nirgendwo in Afrika". Unser Filmkritiker Jörg Taszmann reibt sich etwas die Augen, die Nachricht ist erst ein paar Stunden alt. Sie waren die ganze Nacht am Bildschirm, Jörg. Aus deutscher Sicht eine Sensation, dass der Film "Das Leben der Anderen" gewonnen hat?

Jörg Taszmann: Also ich glaube schon, dass es wirklich eine Überraschung war, weil ich glaube, Favorit war er nur hier bei uns in Deutschland. Überall woanders auf der Welt hatte man eigentlich mit diesem mexikanischen Film "Pans Labyrinth" gerechnet, der im Übrigen seit dem 22., also seit einer Woche hier bei uns schon in den Kinos läuft.

Brink: Florian Henckel von Donnersmarck hat eine bewegende Rede gehalten. Wie war er, wie haben Sie ihn erlebt am Bildschirm, war er wirklich zu Tränen gerührt? Er hat ja gesagt, er hat einen Anzug, einen Smoking an, den er schon seit 20 Jahren hatte, er wollte nicht Bohai machen, aber irgendwie war es dann doch sehr bewegend.

Taszmann: Also das war schon sehr bewegend, und ich glaube, die Tränen, die waren auch echt. Er hat ganz stürmisch übrigens den mexikanischen Regisseur auch umarmt, den Guillermo del Toro, der nicht gewonnen hat. Also das sind dann eigentlich auch die schönen Momente, wenn man sieht, das ist nicht nur Konkurrenz, sondern man gönnt sich da auch irgendwas, und wie gesagt, es war schon ein sehr bewegender Moment, weil normalerweise deutsche Filme es viel einfacher haben, wenn sie irgendwie in der noch weiter zurückgehenden Vergangenheit spielen. Also 2004 war "Sophie Scholl" nominiert, 2005 "Der Untergang". Also Themen, die irgendwie in der Nazizeit spielen, haben Erfolg, und der Film "Nirgendwo in Afrika" hat ja auch noch ein bisschen mit dieser Zeit zu tun. Also das ist schon erstaunlich, dass ein Film, der sich mit DDR-Geschichte auseinandersetzt, nicht nur so ein internationaler Erfolg geworden ist, sondern vor allen Dingen, dass der auch in Amerika so gut funktioniert.

Brink: Das wäre meine Frage jetzt gewesen, warum ist er so erfolgreich? Hat das mit der Machart, mit dem Thema ja offensichtlich nichts zu tun, dann doch mit der Machart?

Taszmann: Nein, ich denke, das Thema interessiert die Leute. Damit kann man sich anscheinend doch überall identifizieren. Das Interessante ist, dass dieser Film auch in anderen Ländern erstaunlich gut läuft. In Frankreich haben den bereits 400.000 Leute gesehen, in Amerika läuft er nur in ganz wenigen Kopien, macht aber einen sehr hohen Kopienschnitt, das heißt, es gehen sehr viele Leute rein. Nach dem Oscar wird man das jetzt weiter ausdehnen, da muss man abwarten, wie erfolgreich der wird. Aber so erfolgreich, wie dieser Film gestartet ist, war noch nie ein deutscher Film in Amerika.

Brink: Wir wollen aber zum eigentlichen Höhepunkt kommen: Aus unserer deutschen Sicht ist natürlich der Film "Das Leben der Anderen" das Erfolgreichste, aber das andere ist natürlich Martin Scorsese, der alte Mann. Endlich, muss man sagen, hat er den Oscar bekommen?

Taszmann: Und er saß die ganze Zeit mit so einem sauren Gesicht da und war so angespannt, weil er konnte dem Frieden nicht trauen. Es gab zwar schon den einen oder anderen Preis für seinen Film, aber ich glaube, der hat es erst in dem Moment geglaubt, wie sein Freund Steven Spielberg dann wirklich den Oscar verkündet hat.

Brink: Zu Recht, muss man sagen, hat er ihn jetzt bekommen, auch für diesen Film "The Departed", diesen Gangsterthriller?

Taszmann: Es war eine überfällige Geste natürlich an Martin Scorsese, der für bessere Filme nominiert worden ist und sie nie bekommen hat, den Oscar. Ich glaube, er war fünfmal insgesamt nominiert, hat ihn nie bekommen, und er hatte schon einen Clint-Eastwood-Komplex beispielsweise, weil er schon vor zwei Jahren gegen Eastwood verloren hatte, vor drei Jahren oder vier Jahren gegen Eastwood verloren hatte, und Clint Eastwood konnte heute also lächeln, er hat nun mit seinen letzten beiden Filmen "Flags of our fathers" und "Letters from Iwo Jima" nur Nebenoscars bekommen, aber das hat ihm, glaube ich, nichts ausgemacht, also das hat ihn, glaube ich, auch für Scorsese gefreut, der nun seinen Eastwood-Komplex losgeworden ist. Aber, um auf den Film zurückzukommen, "The Departed" ist ja ein Remake von einem Hongkongthriller "Infernal Affairs", der leider in Deutschland nie zu sehen war, der in Asien ein Riesenerfolg war, aber auch in Ländern wir Frankreich sehr gut lief. Und ich muss ganz ehrlich sagen, das amerikanische Make ist ein ordentlicher Thriller, er ist gut gemacht. Aber das Original ist viel besser, es ist viel unmoralischer, es ist viel gewagter, und es zeigt sehr viel über Hollywood und Amerika, es sagt viel über ein Jahr aus, wo es eigentlich an Höhepunkten wirklich gemangelt hat, weil es waren relativ gleichwertige Filme, die da nominiert waren. Und wenn es ein Remake von einem Hongkongfilm ist, dann zeigt es, dass Hollywood zurzeit irgendwie die Ideen ausgegangen sind, selbst jemandem wie Martin Scorsese sind die eigenen Ideen ausgegangen, und dann macht man ein Remake, macht man das ein bisschen moralischer, das passt dann wiederum zu Scorsese, der da wirklich noch dieses Unhappy End der Originalvorlage ein bisschen abgeschwächt hat.

Brink: Weil er hat ja eigentlich viel bessere Filme gemacht, "Goodfellas" zum Beispiel?

Taszmann: Ja, "Goodfellas", "Taxi Driver", also da könnte man eine Reihe von Filmen eigentlich nennen. Ich persönlich finde, dass Scorsese seine besten Filme in den siebziger und achtziger Jahren gemacht hat und eigentlich in den letzten Jahren hin und wieder mal einen schönen Film gemacht hat, aber keine wirklich herausragenden Werke. Aber so ist das eben, man wird nicht unbedingt immer für seinen besten Film ausgezeichnet, und insofern habe ich auch überhaupt kein Problem damit, dass Martin Scorsese nun die Hauptoscars bekommen hat. Er ist nun auch bester Regisseur geworden, was sehr wichtig ist, weil den besten Film, das kriegt ja immer nur der Produzent, das ist ja immer diese sehr komische Geschichte, und er hat sogar noch den Oscar für das beste Drehbuch bekommen, und das war überhaupt nicht gerechtfertigt, denn, wie gesagt, das Original ist einfach besser.

Brink: Bester Hauptdarsteller, beste Hauptdarstellerin, auch Überraschungen?

Taszmann: Nicht wirklich. Da haben sich eigentlich die Favoriten durchgesetzt, vor allem Hellen Mirren in "The Queen". Damit hatten eigentlich alle gerechnet, dass sie gewinnt, und hat sie dann auch. Es ist ja dann auch wirklich ihr Film, wie sie diese Queen Elizabeth verkörpert, sensationell, und insofern ist das vollkommen gerechtfertigt. Obwohl auch Meryl Streep zum Beispiel in "Der Teufel trägt Prada" wirklich herrlich ist als Zimtzicke, man es auch Meryl Streep auch gegönnt hätte, denke ich, hat sich hier das auch durchgesetzt, was alle erwartet haben. Bei Forrest Withaker, dem afroamerikanischen Schauspieler, der für "The last King of Scotland", der in Deutschland noch nicht angelaufen ist, der läuft am 15. März an, das ist eine Idi-Amin-Geschichte, ist auch eine starke Rolle, hat er auch verdient. Man kennt ihn, glaube ich, in Deutschland am besten aus "Ghostdog" von Jim Jarmusch, also das ist schon ein sehr guter Darsteller. Das habe ich ihm auch gegönnt, er war sehr emotional, das muss man wirklich sagen, und eigentlich so der absolute Höhepunkt von Emotionalität, das war Jennifer Houston, das war die junge afroamerikanische Schauspielerin, die für "Dreamgirls" die beste Nebenrolle bekommen hat, und das ist eine sehr, sehr schöne Geschichte eigentlich, und die hat sich so gefreut, weil dieser "American Idol", das ist ja so was wie "Deutschland sucht den Superstar", das amerikanische Original, da ist sie ja durchgefallen, und dass sie dann also jetzt einen Oscar bekommt, das ist natürlich für sie ein schöner Triumph.

Brink: Wobei sie wirklich singen kann.

Taszmann: Sie kann irre gut singen, und das war auch so, in diesem ganzen Nebenprogramm war es so, dass sie zusammen mit Beyonce gesungen hat und sie hat sie an die Wand gesungen, und ich habe Beyonce noch nie so aus sich herausgehen sehen, wie sie versucht hat mit ihr mitzuhalten, es aber eigentlich stimmlich gar nicht kann.

Brink: Einen Film wollten wir noch erwähnen, den Dokumentaroscar.

Taszmann: Ja, also das war der große Abend von Al Gore. Ganz Hollywood ist grün geworden, also grün nicht unserem deutschen leicht linken Sinn, sondern einfach nur umweltbewusst, und Al Gore war mehrere Male auf der Bühne zu sehen, und sie waren auch stolz, dass die ganze Oscarverleihung eine so genannte grüne Oscarverleihung war. Das wurde nur mit alternativen, weiß ich nicht, Energien da gearbeitet, es wurde nichts verschwendet. Also da war man in Hollywood unwahrscheinlich stolz. Ich muss aber insgesamt sagen, weil ich jetzt hier so schwärme, es war eine relativ langweilige Zeremonie. Ich habe da wirklich die emotionalen Highlights mir so herausgepickt. Insgesamt, finde ich, verliert der Oscar in den letzten Jahren unwahrscheinlich. Man hat das dramaturgisch sehr ungeschickt gemacht. Es war eigentlich immer so, dass der allererste Oscar immer für die beste männliche Nebenrolle, das war schon mal immer ein Highlight. Das haben sie in diesem Jahr nicht gemacht. Sie haben mit sehr vielen Nebenoscars angefangen, und es war eine Stunde vergangen und eigentlich noch gar nichts emotional passiert.

Brink: Also eine maue Veranstaltung, aber aus deutscher Sicht natürlich ein großer Erfolg. Vielen Dank, Jörg Taszmann.