"Es schaffen eigentlich nur die öffentlichen Institutionen"

Barbara John im Gespräch mit Nana Brink · 08.09.2010
Die frühere Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John, befürwortet einen stärkeren Umbau der Schule zu öffentlichen Einrichtungen, in denen Integration, Bildung und soziale Kontakte auch mit den Eltern von Migrantenkindern gepflegt würden.
Nana Brink: Erstaunlich, was ein Buch so auslösen kann: Angeblich wurde ja in diesem Land nicht ausgiebig genug über Integration gesprochen – so hört es sich zumindest an, seit das Buch von Thilo Sarrazin erschienen ist. Jetzt aber sprechen alle über Integration, zum Beispiel das Bundeskabinett heute: ob und warum sie gelungen oder nicht gelungen ist und vor allem was zu tun ist, wenn sie nicht gelingt. Innenminister de Maizière will Sanktionen gegen Migranten, die sich Integrationskursen verweigern, FDP-Generalsekretär Lindner will ein Bußgeld für Schulschwänzer, und hoch im Kurs stehen auch Forderungen nach Hartz-IV-Kürzungen oder Kindergartenpflicht für einjährige Migrantenkinder. Eine, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigt, ist Barbara John, von 1981 bis 2003 Ausländerbeauftragte des Berliner Senats und CDU-Mitglied, und mit ihr bin ich jetzt telefonisch verbunden. Einen schönen guten Morgen, Frau John!

Barbara John: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Wie ist Ihre Erfahrung aus Berlin: Wie groß ist der Anteil an Familien, die sich aus Unwillen oder Unfähigkeit nicht einfügen in die deutsche Gesellschaft?

John: In absoluten Zahlen lässt sich das natürlich nicht nennen, auch nicht mal prozentual, aber man kann andere Charakterisierungen finden. Es sind in der Regel Menschen, die erst in den 90er-Jahren, und zwar spät, so als Flüchtlinge aus der Türkei, aus, ja, aus dem Nahen Osten gekommen sind oder auch aus dem Balkan. Also das sind Flüchtlinge, die besonders arm sind, besonders bildungsfern, und sie leben auch in relativ geschlossenen Gesellschaften in Mitte oder in Neukölln oder teilweise auch in Kreuzberg. Also ich schätze die Zahl prozentual auf nicht mehr als 8 bis 10 Prozent.

Brink: Wie schaffen wir es dann – wenn Sie sagen, das sind ja Menschen, die in sogenannten Parallelgesellschaften leben –, wie schaffen wir es, in diese Familien hineinzuwirken, an sie ranzukommen?

John: Ein ... etwas, was bisher noch nicht gelungen ist, auch, weil es nicht mit System angegangen wird. Ich denke, erst mal muss man sich darüber im Klaren sein: Das schaffen auch nicht die Ausländerverbände, die Migrantenverbände, die wir immer zur Hilfe holen, denn sie haben auch kaum Kontakt zu dieser Gruppe. Es schaffen eigentlich nur die Institutionen, die öffentlichen, wie Kita und Schule, die einen Teil der Familie aufnehmen, das heißt, da gibt es regelmäßig Kontakte. Und hier müssen es Menschen sein, die die Sprache beherrschen, die da reingehen – das können natürlich auch Sozialarbeiter sein mit türkischem Hintergrund – und mit den Eltern verhandeln, und zwar nicht ein Mal im halben Jahr, sondern permanent. Wir haben ja Schulen in Berlin, etwa die Erika-Mann-Schule, wo von vorneherein auch solche Eltern über Verträge einbezogen werden. Sie bekommen genau dargelegt: Was muss man ... was lernt mein Kind in der Schule – hier ist der Lehrplan in verschiedenen Sprachen –, was muss es können, wie können sie das Kind unterstützen? Ich denke, dass eine ruhige, aber regelmäßige Kontaktaufnahme mit den Eltern dazu beitragen kann, dass zumindest ein großer Teil offen ist, denn auch diese Eltern wollen, dass ihre Kinder Erfolg haben, sie sind überfordert, sie wissen nicht, wie sie es machen sollen.

Brink: Also kommen wir dann zu dem Teil: Fordern ja, es ist immer von dem Konzept Fördern und Fordern die Rede. Neuköllns Bürgermeister Buschkowsky meint ja – und das ginge ja in Ihre Richtung –, Kinder müsse man aus diesen Familien hinauslösen, zum Beispiel, dass man sie schon mit einem Jahr in den Kindergarten schickt.

John: Ja, das ist sicher eine sehr weitgehende Forderung. Also ich denke, dass es übertrieben ist mit einem Jahr, aber man kann Eltern natürlich dazu ermuntern, wenn es solche Kindergärten gäbe – es gibt ja solche Krippen –, dass sie ihre Kinder früh da hinschicken. Viele würden es auch machen, es wäre für diese Eltern ja auch kostenlos, denn die meisten leben vom Sozialgeld. Aber als Zwang halte ich das für ausgeschlossen, das ist auch verfassungsrechtlich nicht durchzukriegen. Aber es gibt ja andere Möglichkeiten, es gibt Möglichkeiten, mit den Müttern etwas zu unternehmen. Allerdings will ich noch mal sagen: Das muss auf sie zugeschnitten sein. Wir hatten damals, als die Mütterkurse im Jahr 2000 und davor eingerichtet wurden, auch immer gedacht: Die kommen ja nie aus ihren Familien heraus, die Männer halten sie fest. Das war falsch. Die sind gekommen, weil diese Kurse stattfanden, wenn die Männer gar nicht zu Hause waren oder wenn sie was anderes gemacht haben. Also die Frauen sind dann vormittags gekommen, haben sich hingesetzt, haben Deutsch gelernt, nicht bis zu einem bestimmten Perfektionsgrad, aber so, dass sie die U-Bahn-Schilder lesen können, dass sie sich zurechtfinden.

Brink: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe: Druck nützt auch nichts, also Druck, der auch so weit geht, dass man zum Beispiel Sozialleistungen kürzt?

John: Ich schließe das überhaupt nicht aus. Wenn sich einer so verweigert, dass man sieht, also der will gar nicht oder der hat etwas ganz anderes vor, der arbeitet ohnehin, der braucht das Geld gar nicht, dann kann man das selbstverständlich auch machen. Aber in der Regel würden die Familien sich in sich wieder zurückziehen, sie würden sich selbst unterstützen. Ich denke, dass beides richtig ist: verhandeln, besuchen, mit ihnen reden, ihnen darlegen, worum es geht, ihnen auch ihren Beitrag, und zwar konkret, aufzeigen, sie müssten, sie sollten, sie könnten, und dann wird es was. Also das sind die Erfahrungen, von denen die Schulen berichten, die mit solchen Eltern arbeiten.

Brink: Also was sind dann ganz konkret Ihre Vorschläge zum Beispiel, dass man sozusagen diese ... dass man Stellen schaffen muss, um auf die Leute mehr zuzugehen?

John: Ja, es ist ja schon eingerichtet, dass zumindest die Sekundarschulen solche Mitarbeiter haben, die auf die Eltern zugehen. Das müsste man auch in der Grundschule machen, auch da wird es das ansatzweise geben. Wie gesagt: Es gibt Grundschulen, die eine solche enge Zusammenarbeit mit jeder Gruppe, also auch mit allen Eltern, die die Kinder anmelden, pflegen, und wer ein Internet hat – das haben sie häufig –, der bekommt nach Hause sämtliche Informationen über die Schule. Das heißt, es gibt einen dauernden Kontakt, nicht das Kind geht dahin und es ist dann am Vormittag in der Schule und am Nachmittag in der Familie, nein: Es ist auch am Nachmittag noch ein wenig in der Schule oder die Eltern kommen am Nachmittag in die Schule. Ich habe zum Beispiel in den Vereinigten Staaten Integrationszentren gesehen, wo auch die Mütter in solche größeren Schulen gingen, die gleichzeitig auch Ausbildung, auch Elternschulung angeboten haben. Also wir müssten das System umbauen zu öffentlichen Einrichtungen, in denen Integration, Bildung und soziale Kontakte stattfinden. Das ist uns bisher nicht gelungen.

Brink: Barbara John, von 1981 bis 2003 Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, und wir sprachen über die Frage, wie man Familien mit Migrationshintergrund mehr fördern, aber auch mehr verpflichten kann. Vielen Dank für das Gespräch, Frau John!

John: Gerne!

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