"Es muss zu einem Schuldenschnitt kommen"

Daniel Gros im Gespräch mit Nana Brink · 17.06.2011
Nach Auffassung des Wirtschaftsexperten Daniel Gros ist der Staatsbankrott für Griechenland in der derzeitigen Situation unausweichlich. "Wenn das Land nicht wirklich selbst mitmacht, kann man es nicht retten", sagte Gros in Anspielung auf die Proteste in Griechenland auf die Sparmaßnahmen der Regierung.
Nana Brink: Wenn Unternehmen Pleite machen, gehen sie einfach zum Amtsgericht und beantragen ein Insolvenzverfahren. Was aber machen Staaten, die ihren Bankrott erklären müssen? Diese Frage muss sich wohl die griechische Regierung stellen, und diese Frage interessiert auch den Rest von Europa. Viel Zeit bleibt nicht mehr, denn wenn es keine Einigung gibt über eine Rettung, ist das Land bald wirklich Pleite. Am Telefon ist jetzt Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies, das ist eine große europäische Denkfabrik. Einen schönen guten Morgen, Herr Gros!

Daniel Gros: Guten Morgen aus Brüssel!

Nana Brink: Was passiert, wenn ein Staat seinen Bankrott erklärt?

Gros: Erst einmal gar nichts. Wenn das bei einem Schwellenland stattfindet, gibt es bestimmte Klauseln, die in den Bond-Verträgen schon enthalten sind, also in den Schuldverschreibungen, die die Staaten ausgegeben haben. Im Falle von Griechenland wäre es aber anders, denn obwohl die meisten griechischen Schuldentitel von Ausländern gehalten werden, sind formal die griechischen Staatsschulden Inlandsschulden, und der griechische Staat könne jetzt einfach sagen: Wir wollen nicht bezahlen, Schluss, aus, und ihr müsst halt sehen, was ihr macht.

Nana Brink: Gibt es denn Beispiele aus der Vergangenheit?

Gros: Es gibt ja viele Beispiele, Dutzende von Staaten haben in den letzten Jahrzehnten Pleite gemacht, aber es war halt in diesen Fällen insofern anders, dass fast in allen Fällen das große Problem die Auslandsschulden waren, und im Falle von Griechenland ist es halt besonders, weil halt rein juristisch gesehen der größte Teil der griechischen Staatsschulden Inlandsschulden sind, wo also theoretisch der griechische Staat machen kann, was er möchte.

Nana Brink: Ein Beispiel aus der Vergangenheit wird da jetzt immer wieder zitiert, das ist Argentinien. Argentinien hat 2001 seinen Bankrott erklärt. Wie ist das ausgegangen?

Gros: Das ist damals relativ schlecht ausgegangen, wenn man mal das vergleicht mit anderen Staatsbankrotten, waren in diesem Fall die Kosten relativ hoch für Argentinien selbst – das Land hat dort einen großen wirtschaftlichen Abschwung durchgemacht –, und die Gläubiger haben auch sehr wenig bekommen, im Grunde genommen nur ungefähr 25 Prozent des Wertes, was sie vorher hatten. Es ist interessant zu sehen, dass im Falle von Argentinien die Probleme sehr ähnlich lagen wie in Griechenland, und dass auch der ganze Prozess, der dann schlussendlich zum Bankrott geführt hat, sehr ähnlich war. Das Land hat am Anfang Anpassungsprogramme bekommen vom Internationalen Währungsfonds im großen Umfang, erst eins, was nicht ganz durchgeführt wurde, dann ein zweites, wo dann gesagt wurde, die Gläubiger müssen sich auch beteiligen, dann ein noch größeres, ein drittes, und am Ende hat halt die Straße, das heißt also, die Demonstranten haben die Regierung aus dem Amt gejagt und dann stand dann der Totalbankrott.

Nana Brink: Aber der Unterschied, wenn wir jetzt doch Griechenland – was Sie immer wieder auch dazu erwähnt haben –, ist ja, dass Argentinien eigentlich alleine dastand.

Gros: Argentinien hat in großem Umfang Hilfe vom Internationalen Währungsfonds und auch teilweise von Spanien erhalten, das war eines der größten Rettungsprogramme in der Geschichte, und am Anfang hieß es: Hier kann die internationale Gemeinschaft zeigen, wie ein Land sich grundsätzlich reformiert und dadurch zu mehr Wachstum kommt und deswegen seine Schulden bezahlen könnte oder sollte, genauer gesagt. Das war damals die Absicht, nur leider hat es nicht geklappt, weil halt in Argentinien die Bevölkerung und die Gesellschaft nicht mitgemacht hat.

Nana Brink: Was kann man aus diesem Beispiel Argentinien jetzt lernen?

Gros: Es gibt Fälle, die sich nicht lösen lassen können, und es sieht ganz so aus, als sei es auch im Fall von Griechenland. Wenn die Bevölkerung nicht mitmacht, wenn der Staatsapparat nicht mitmacht, dann kann man vielleicht wohlmeinende Spitzenpolitiker haben, die sagen, wir schaffen das schon, aber am Ende klappt es nicht, und am Ende steht dann vielleicht ein Bankrott, der für alle Beteiligten sehr viel kostspieliger ist, der aber leider unvermeidlich ist.

Nana Brink: Was meinen Sie dann mit dem Mitmachen? Ist denn dann ein Bankrott, ja, unausweichlich, wie Sie sagen?

Gros: Nehmen wir mal den Fall von Griechenland jetzt. Es gab einen hervorragenden Finanzminister, einen wohlmeinenden Premierminister, die unterschrieben haben, dass sie innerhalb des Jahres 2010 zum Beispiel gewisse Sachen machen werden. Gesetze wurden beschlossen vom Parlament, aber leider fehlte dann der Apparat drunter, der das dann durchsetzen konnte, und die Bevölkerung hat auch nicht mitgemacht, und deswegen hat das nicht geklappt, und deswegen ist das glaube ich gerade von Griechenland eine Lage, in der man auch von Europa aus sehr wenig tun kann, denn wenn das Land selbst nicht wirklich mitmacht, kann man es nicht retten.

Nana Brink: Also ist der Bankrott unausweichlich?

Gros: Für Griechenland glaube ich ist es wohl so, dass mittlerweile der Bankrott wohl die einzige mögliche Lösung ist. Es handelt sich nur ... Bankrott in welcher Form? Wenn die Europäische Union, Partnerstaaten von Griechenland das Land weiter finanzieren, obwohl es keine wirklichen Anpassungsprogramme macht oder implementiert, dann steht am Ende vielleicht nicht ein formaler Staatsbankrott, sondern dann haben wir am Ende eine Situation, wo in vier, fünf Jahren Griechenland keine privaten Gläubiger hat, sondern nur noch offizielle, und diese offiziellen Schulden werden dann wohl heimlich immer weiter gestreckt, die Zinsen werden weiter gesenkt. Das wäre dann de facto ein Staatsbankrott, aber man würde es einfach nicht bemerken.

Nana Brink: Also er muss abgefedert werden durch die Europäische Union?

Gros: Wenn er abgefedert wird, dann wird es halt politisch langfristig sehr teuer, denn dann wird am Ende, vielleicht nicht sofort, aber am Ende, in fünf bis zehn Jahren der deutsche Steuerzahler doch feststellen: Hier wurden im großen Umfang die Kredite vergeben, die am Ende nicht zurückbezahlt werden. Das war also der Eintritt in die Transferunion, nur war er schleichend und man hat ihn nicht bemerkt.

Nana Brink: Also was ist dann Ihre Option, Ihr Lösungsmodell für das Problem Griechenland?

Gros: Es muss zu einem Schuldenschnitt kommen. Man kann diesen Schuldenschnitt in ungeordneter Weise haben und das wird dann sehr schwer verträglich für das Finanzsystem, und das wird auch dann für Deutschland und andere Staaten sehr teuer. Die einzige Möglichkeit, die ich zurzeit sehe, ist, dass man den Gläubigern ein Umtauschangebot macht. Man sagt ihnen einfach, die griechischen Schuldentitel, die sie zurzeit noch halten, die sind am Markt so und so nur noch 50 Prozent wert, und zurzeit kann man sie ja nicht einmal verkaufen, sind vollkommen illiquide. Wir, die Staatengemeinschaft, wir machen den Gläubigern ein Umtauschangebot, wir sagen, wir kaufen euch diese Titel zum Marktpreis ab, und dadurch sollten die Banken einigermaßen Verluste haben, die verträglich sind, und gleichzeitig kann man dann Griechenland sagen: Wir, die Staatengemeinschaft, wir haben eure Titel zu 50 Prozent gekauft, also sind eure Schulden nur noch die Hälfte, und wenn ihr wirklich Anpassungen macht, dann erlassen wir euch die Hälfte der Schulden, und damit hätte auch die Staatengemeinschaft keine Verluste gehabt.

Nana Brink: Und Sie befürchten dann keine Krise der Banken in Europa, sozusagen ein Domino-Effekt?

Gros: Dann sollte die Krise bei den Banken beherrschbar sein, denn bei einem ungeordneten Staatsbankrott wissen ja die Banken überhaupt nicht mehr: Was sind diese Titel wert? Vielleicht null? Die Abschreibungen wären also noch viel größer und die Unsicherheit wäre viel größer. Dagegen, wenn man die Titel zu einem Marktpreis aufkauft, dann realisieren die Banken nur, was so und so am Markt schon eingepreist ist, und dann sollten die Probleme in der Bankenwelt beherrschbar sein.

Nana Brink: Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies. Schönen, Dank für das Gespräch.

Gros: Gern geschehen.