"Es muss sich keiner Sorgen machen, dass hier die Lichter ausgehen"

18.04.2011
Der Vorsitzende des Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung, Martin Faulstich, rechnet mit zehn bis 20 Euro, die der Umstieg auf erneuerbare Energien einen durchschnittlichen Haushalt pro Monat kosten wird.
Hanns Ostermann: Die einen wollen den sofortigen Atomausstieg, die anderen warnen davor. Ganz so schnell ist eine hundertprozentige regenerative Stromversorgung bei uns dann doch nicht möglich. Einig sind sich wohl alle nur in einem Punkt: Die Katastrophe von Fukushima zwingt zum verstärkten Nachdenken.

Wie eine erfolgversprechende künftige Energiepolitik aussehen könnte, darüber möchte ich mit Professor Martin Faulstich sprechen. Er arbeitet an der Technischen Universität München und ist Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Faulstich!

Martin Faulstich: Ja schönen guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Viele argumentieren ja, wir brauchen noch einige AKWs für die nächsten sagen wir zehn, 15 Jahre. Ist das fachlich vernünftig oder wissenschaftlich nicht mehr zu begründen?

Faulstich: Wir werden sicherlich die Atomkraftwerke noch einige Jahre brauchen, selbst in unserem Gutachten, was ja so eine Perspektive von 2050 für den kompletten Umstieg in den Blick genommen hat, auch wir haben gesagt, bis 2020 bis 2022 werden die Atomkraftwerke sicherlich noch laufen.

Ostermann: Sie selbst haben sich ja schon lange vor Fukushima für erneuerbare Energien starkgemacht, aber brauchen wir nicht generell für die nächsten Jahre – das haben Sie eben schon angedeutet – so etwas wie einen Energiemix? Denn allein erneuerbare Energien sind doch so schnell – sag ich jetzt einfach mal – nicht in die Tat umzusetzen?

Faulstich: Das ist richtig, es geht nicht um Schwungfunktion und um plötzliche Wechsel, sondern wir haben gesagt, man kann mit den Atomkraftwerken, aber auch mit den Kohle-, Öl- und einem Teil der Gaskraftwerke ganz kontinuierlich bis in die Vierzigerjahre dieses Jahrhunderts aussteigen. Und die Differenz sozusagen zu dem, was wir benötigen an Energie, das kann man ganz kontinuierlich mit erneuerbaren Energien auffangen, und man braucht die erneuerbaren Energien nicht sonderlich zu beschleunigen, man braucht eigentlich nur das Ausbautempo kontinuierlich fortführen. Dann wäre das ganz kontinuierlich zu erreichen.

Ostermann: Aber Wind und Sonne entfalten ihre Kraft unregelmäßig. Was ist da zu tun?

Faulstich: Das ist richtig, die Sonne scheint nicht immer und der Wind weht nicht immer, das ist der große Unterschied zu Kohle- und Atomkraftwerken, die man rund um die Uhr laufen lassen kann. Man braucht also zum einen natürlich erst mal große Netze, weil der Wind zum Großteil in der Nordsee gewonnen werden soll, und man muss diesen Wind natürlich heruntertransportieren in die Verbrauchszentren, ins Ruhrgebiet oder nach Bayern. Und zusätzlich braucht man natürlich große Speicher, zum Beispiel Druckluftspeicher oder Pumpspeicher, wo man dann Energie zwischenspeichert für die Zeiten, wo es eben nicht so viel Wind und nicht so viel Sonne gibt.

Ostermann: Wie schwierig wird es, die Windenergie zum Beispiel vom Norden in den Süden zu transportieren? Wie hat man sich das vorzustellen?

Faulstich: Wir müssen uns das so vorstellen, dass das bisherige Energieversorgungssystem ja relativ kontinuierlich Kraftwerke in ganz Deutschland verteilt hat. Und wenn jetzt wirklich ein Großteil der Energie – wir schätzen da weit über 50 Prozent – aus Offshorewind entsteht, dann heißt das mehrere tausend Kilometer neue Netze. Es geht erst mal darum, die Offshoreparks, die ja viele Kilometer vor der Küste stehen, die miteinander zu vernetzen, den Strom an die Küste zu bringen und von dort kontinuierlich in die Verbrauchszentren, die stärker im Süden sind, zu transportieren.

Ostermann: Und diese Leitungen – das befürchten ja einige – werden dann die Landschaft verschandeln, so jedenfalls die Befürchtung vieler. Wie schwer wird es da sein für die Politik, wenn sie sich überhaupt zu diesen Schritten entscheidet, die Bevölkerung zu überzeugen?

Faulstich: Also ein ganz wichtiger Punkt ist erst mal, dass die Bevölkerung jetzt den Eindruck hat, es gibt keinen Weg mehr zurück. Vorher hatte man ja immer den Eindruck, vielleicht gibt es doch eine Laufzeitverlängerung, vielleicht gibt es neue Kohlekraftwerke, vielleicht kommen die Erneuerbaren doch nicht so schnell. Im Augenblick hat man ja wirklich den Eindruck, dass es einen Konsens geben könnte über alle Parteien hinweg, und ich glaube, das ist ganz wichtig für die Bevölkerung, weil sie dann merkt, wir müssen, wenn wir zu 100 Prozent erneuerbaren Energien kommen wollen, auch bestimmte Kompromisse machen. Ein Industrieland wie Deutschland ohne technische Infrastruktur darzustellen, das wird sicherlich nicht möglich sein.

Ostermann: Schon jetzt wird ja heftig darüber gestritten, insbesondere auch am Wochenende, wie teuer letztlich die Energiewende sein könnte. Da werden die verschiedensten Rechnungen aufgemacht. Wie sinnvoll ist das überhaupt aus Ihrer Sicht?

Faulstich: Es werden natürlich jetzt viele Rechnungen aufgemacht von den interessierten Kreisen. Und dass diejenigen, die jetzt gerne noch Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke weiter betreiben wollen, natürlich besonders hohe Kostenschätzungen machen, ist auch nicht weiter verwunderlich. Man muss vielleicht die mittlere und die langfristige Perspektive in den Blick nehmen: Langfristig – wir schätzen mal, so ab 2040 – wird ein zu Hundertprozent erneuerbarer Mix sogar günstiger sein, denn Sonne und Wind haben ja keine variablen Kosten. Die Kohle wird immer teurer, die Emissionszertifikate werden immer teurer.

Zwischendurch kann es sicherlich eine Kostensteigerung geben, denn die Speicher müssen gebaut werden, die Netze müssen gebaut werden. Und wenn jetzt man aus der Kernkraft relativ zügig aussteigen will, dann hat das sicherlich auch einen maßvollen Anstieg auf die Preise zur Folge. Ich glaube, es muss sich aber keiner Sorgen machen, dass hier wirklich die Lichter ausgehen oder dass man sich das nicht leisten kann. Also so realistische Schätzungen für einen Vier-Personen-Haushalt von zehn bis 20 Euro mehr Stromkosten im Monat, ich glaube, das ist zu verkraften, zumal es ja auch beim Energiesparen noch etliche ungenutzte Potenziale gibt.

Ostermann: Zehn bis 20 Euro pro Monat, da legen Sie sich fest, trotz der Unwägbarkeiten, die es ja bei diesen Rechnungen gibt?

Faulstich: Das ist richtig. Wir legen uns jetzt insofern fest, dass wir sagen, wir gehen jetzt mal davon aus, dass die Atomkraftwerke noch bis Anfang 2020 oder 2022 laufen, und dass dann die Erneuerbaren kontinuierlich ausgebaut werden und Netze und Speicher auch kontinuierlich ausgebaut werden, dann wird das so der Bereich sein, der auf den Verbraucher zukommt. Ein zweiter Punkt ist, dass sicherlich noch mal, man muss sich auch Gedanken machen, wie kommt die heimische Industrie damit klar. Aber da gibt es zum anderen andere Kosten, andere Preise, auch andere Verträge und demzufolge auch andere Möglichkeiten.

Ostermann: Das Moratorium deutet in der Tat auf eine Kehrtwende hin, aber ist die Politik wirklich an einer nachhaltigen Lösung interessiert? Welche Eindrücke haben Sie da in den letzten Wochen gewonnen?

Faulstich: Also es ist natürlich schon erstaunlich, wenn wir die Zeit betrachten, so vor einigen Monaten, wo wirklich wir gebetsmühlenartig mit vielen Ministern, mit der Kanzlerin, mit vielen gesprochen haben und darauf hingewiesen haben, dass wir jetzt die Weichen in Richtung Erneuerbare stellen müssen, und dort sagen wir mal die Resonanz eher etwas verhalten war. Insofern hat jetzt dieses Unglück in Japan wirklich die Uhren ganz schnell nach vorne gestellt.

Wir haben aber den Eindruck, das doch bei einer Resonanz von 70, 80 Prozent der Bevölkerung, die die Atomkraft nicht möchte, die die Erneuerbaren möchte, dass dieser Konsens eine große Chance hat auch zu halten, auch wenn es vielleicht ein wenig länger dauert, als wir jetzt im Überschwang der Gefühle alle glauben.

Ostermann: Professor Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung. Herr Faulstich, danke für das Gespräch!

Faulstich: Vielen Dank, Herr Ostermann, auf Wiederhören!

Ostermann: Wiederhören!