"Es muss eine Dynamik entstehen in Griechenland"

Marietta Schwarz im Gespräch mit Henrik Enderlein · 13.08.2013
Die Bundesregierung müsse Griechenland signalisieren, dass Deutschland das Land weiter unterstützt, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein. Das bisherige Vorgehen, Finanzhilfen im Gegenzug zu Reformen zu gewähren, habe ganz gut funktioniert. Dass Griechenland zusätzliches Geld brauche, sei eindeutig.
Marietta Schwarz: Seit fünf Jahren steckt Griechenland in der Rezession. Zwei EU-Hilfspakete mit insgesamt 200 Milliarden Euro Hilfen konnten daran noch nicht wesentlich etwas ändern. Nach wie vor ist mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen ohne Arbeit, die Wirtschaft schrumpft noch immer. Allerdings: Sie schrumpft so langsam wie seit zwei Jahren nicht mehr. Und offenbar sind auch bei der Sanierung der maroden Staatsfinanzen Fortschritte zu beobachten, heißt es in jüngsten Berichten. Während die einen bereits vom Licht am Ende des Tunnels berichten, halten sich gleichzeitig Spekulationen, die Bundesbank rechne mit einem dritten Griechenland-Hilfspaket nach der Bundeswahl. Am Telefon ist der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Henrik Enderlein, Professor an der Hertie School of Governance. Guten Morgen, Herr Enderlein.

Henrik Enderlein: Guten Morgen, Frau Schwarz.

Schwarz: Herr Enderlein, wie schätzen Sie die wirtschaftliche Lage Griechenlands momentan ein? Ist das Land auf gutem Wege oder bleiben die Fortschritte nach wie vor aus?

Enderlein: Die große Frage in Griechenland ist immer gewesen, wann ist die Talsohle erreicht. Wenn man ein Sparprogramm durchzieht, wie die griechische Bevölkerung, die griechische Regierung das in den letzten Jahren getan hat, dann kann es der Wirtschaft nicht gut gehen. Dann steigt die Arbeitslosigkeit, dann sinkt die Produktion, und dann muss man warten, wann die positiven Effekte durch das Sparen, durch die Veränderung der wirtschaftspolitischen Strukturen dann Früchte trägt. Und ich glaube, wir haben jetzt, hoffentlich, 2013 die Talsohle erreicht, und jetzt wird irgendwann in den nächsten Monaten, in den nächsten Jahren dann, die Sache wieder bergauf gehen. Aber im Augenblick können wir noch nicht klar sagen, dass die Talsohle erreicht ist.

Schwarz: Das heißt, eine nachlassende Rezession, wie sie jetzt ja von einigen gefeiert wird, eine nachlassende Rezession von 4,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal ist noch nicht das Erreichen der Talsohle?

Enderlein: Na gut, wenn die Wirtschaft weiter schrumpft, ist die Talsohle nicht erreicht. Irgendwann wird wieder Wachstum kommen, irgendwann werden auch mehr Menschen wieder in den Beruf gehen, und das muss sehr, sehr schnell passieren. In Griechenland kämpft eine verlorene Generation um ihre Zukunft. Und deshalb muss es schnell gehen, und deshalb ist es, glaube ich, auch wichtig in der jetzigen Diskussion, positive Perspektiven für Griechenland aufzuzeigen, zu zeigen, dass die Europäische Union weiter am Ball bleibt bei allen Konditionalitäten und Forderungen, die man stellen muss. Aber das Land jetzt fallen zu lassen, wäre genau der falsche Schritt.

"Natürlich braucht Griechenland zusätzliches Geld"
Schwarz: Geht es denn schnell genug?

Enderlein: Die Mittel an Griechenland sind ausgereicht worden immer im Gegenzug für Reformen. Das Spiel oder dieses Hin und Her hat bislang auch immer ganz gut funktioniert. Ich glaube, wichtig ist das Signal jetzt von der Bundesregierung gerade vor den Wahlen, dass Deutschland nicht von dem eingeschlagenen Kurs abrücken wird. Auch die Europäische Union muss im Augenblick an Griechenland klar signalisieren: Ihr seid dabei, eure Hausaufgaben zu machen, wir werden euch jetzt nicht fallen lassen. Diese Signale sind extrem wichtig, und man darf die Reformfähigkeit der griechischen Bevölkerung und des griechischen Regierungssystems nicht überlasten, auch nicht überspannen.

Schwarz: Signale sind wichtig, aber sie müssen natürlich irgendwie auch realistisch sein. Die EU-Kommission und der IWF erwarten ja bereits fürs nächste Jahr eine Rückkehr in die Wachstumszone. Halten Sie das für eine realistische Perspektive?

Enderlein: Ich hab am Anfang schon gesagt, wir wissen es im Augenblick nicht. Die Vorhersagen der ökonomischen Modelle können nicht genau festlegen, was im nächsten Jahr passiert. Es muss eine Dynamik entstehen in Griechenland. Wenn die da ist, dann sehen wir es, aber erst an diesem Tag. Deshalb halte ich auch die Spekulationen über zukünftige Hilfspakete im Augenblick nicht für besonders zielführend. Natürlich braucht Griechenland zusätzliches Geld, auch im kommenden Jahr. Das ist doch eindeutig. Um diesem Land dann wieder auf die Beine zu helfen, müssen die Kredite weiter fließen, und wir müssen uns Gedanken machen, ob es nicht eine Beteiligung über einen Schuldenschnitt der öffentlichen Hand gibt. Aber diese Diskussion wird jetzt natürlich nicht geführt, weil wir mitten in einem Wahlkampf stecken und keiner ein Interesse daran hat, jetzt eine Offensivdiskussion über einen griechischen Schuldenschnitt zu führen. Und zweitens, und da muss man die Regierung auch in den Schutz nehmen, weil wir noch nicht wissen, wohin die Reise in Griechenland geht. Abwarten ist im Augenblick tatsächlich der richtige Schritt.

Schwarz: Gut. Die Bundesbank weiß es offenbar schon. Sie hat ja bestätigt, dass sie dieses dritte Hilfspaket ins Spiel gebracht hat. Also, da muss ja irgendwas dran sein.

Enderlein: Gut, wenn man sich die Zahlen anschaut – der Internationale Währungsfonds, die Europäer machen ja Abschätzungen, Szenarien, und sehen im Augenblick, wenn sich nicht dramatisch etwas verändert in Griechenland in den nächsten Monaten, dann wird Griechenland im kommenden Jahr tatsächlich das Geld ausgehen. Und dann muss man sich überlegen, wie man damit umgeht.

Hendrik Enderlein, Professor für politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin
Hendrik Enderlein, Professor für politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin© picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
"Dieser pragmatische Euro-Krisen-Rettungskurs ist der richtige"
Schwarz: Herr Enderlein, Sie haben den Wahlkampf angesprochen. Es ist ja schon interessant, dass die Krise in der EU im Wahlkampf so gar keine Rolle spielt. Ich meine, gerade deshalb ist doch Peer Steinbrück zum Spitzenkandidaten gemacht worden. Kann man das einfach auslassen?

Enderlein: Ach, ich glaube nicht, dass Peer Steinbrück deshalb zum Spitzenkandidaten gemacht worden ist. Es war, glaube ich, jedem klar, dass das kein EU-Wahlkampf werden würde. Sehen Sie, diese Euro-Krise ist, glaube ich, auch zu wichtig, als dass man sie im Wahlkampf zum Aufhänger macht. SPD und CDU, auch Grüne, auch FDP sind sich in weiten Teilen ja einig, dass diese Euro-Krise ganz bestimmte Maßnahmen vonseiten der Politik verlangt. Das sind Rettungspakete, das sind institutionelle Veränderungen im europäischen Vertragswerk. Diese Abstimmungen sind ja durch alle Parteien auch immer gemeinsam getroffen worden. Ich glaube deshalb, dass man dieser EU-Diskussion im Wahlkampf gar nicht weiter nach vorne bringen muss. Es gibt inzwischen eine Partei, die Alternative für Deutschland, die sehr offensiv einen Gegenpol einnimmt, und am Wahltag wird sich zeigen, wie viele Leute, wie viele Menschen in Deutschland an diesen Alternativweg glauben. In den Umfragen sieht das nicht so aus, dass das eine überschäumende Mehrheit ist. Und das werte ich insgesamt auch als ein Zeichen dafür, dass dieser pragmatische Euro-Krisen-Rettungskurs, den Opposition und Regierung gemeinsam eingeschlagen haben, weite Teile der Opposition, dass dieser Kurs der richtige ist.

Schwarz: Und wichtige Themen werden im Wahlkampf besser ausgelassen?

Enderlein: Es ist nicht so, dass ein wichtiges Thema ausgelassen wird. Ein Wahlkampf konzentriert sich notwendigerweise doch auf die Themen, zu denen es Kontroversen gibt. Und wie gesagt, die Alternative für Deutschland bringt dieses Thema kontrovers mit in den Wahlkampf. Ich hab nicht das Gefühl, dass das tief durchdringt und die großen Emotionen auslöst. Weil die Menschen begriffen haben, dass das Euro-Projekt zu wichtig ist, als dass man es im Wahlkampf zerreden sollte.

Schwarz: Der Politik- und Wirtschaftswissenschaftler Hendrik Enderlein, Professor an der Hertie School of Governance. Herr Enderlein, danke für das Gespräch!

Enderlein: Ich danke Ihnen!

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