Es leben die Unterschiede

16.07.2012
Über die Rollenbilder von Männern und Frauen wird gerne sehr ideologisch gestritten. Die Familienforscherin Gisela A. Erler fordert in ihrem Buch, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht abzutrainieren, sondern als Stärke zu begreifen.
Das Cover verspricht leuchtend gelb auf blau handfesten Rat: "Wie Frauen in Unternehmen endlich aufsteigen und Jungen in der Schule nicht weiter abstürzen." Auf der Rückseite attestiert Rita Süssmuth Gisela A. Erlers neuem Buch "erfrischend neue Perspektiven auf die Geschlechterrollen". Schwedenmöbel-Appeal plus "How-To-"Anmutung. In Marketing-Handbüchern läuft das unter "popular approach".

Nichts gegen populäres Herangehen, zumal an Fragen, die die breite Öffentlichkeit angehen und umtreiben, wie an den derzeit vielen Büchern und Talkshows zu sehen. Und schon gar nichts dagegen, dass jemand die seit gut 40 Jahren - mal militant, mal theoretisierend, jedenfalls laut gestellte - ungelöste Geschlechterfrage "praxiszentriert und lösungsorientiert" angeht. Das wird Zeit im Land der luxuriösen Politikverweigerung, die Alternativen à la "Erziehungsgeld oder Krippenplatz" als Politik verkaufen will.

Erler fordert eine "Energiewende", fundamental wie die in der Atomenergie. Sie hat lange Erfahrung mit den Blockaden ihrer eigenen Energien - als Frau, Mutter, Entwicklerin von Tagesmütter-Projekten und Gründerin eines Familienservice, mit dem sie ab 1991 einen "Quantensprung von der lokalen Nanny-Agency für BMW zum überregional tätigen Großunternehmen" hinlegt. Sie weiß, dass Frauen und Männer auch ganz gern Eltern und Kinder nichts sind, was man sofort outsourcen will, und sei es an noch so gute Profis. Sie kennt die Welt der Coachings, die das "gender gap" zuzuschütten versuchen, indem sie Frauen männlicher und Männern weiblicher zu werden beibringen.

Ihre These ist: Diese Umerzieherei passt Menschen nur an Strukturen an. Richtig ist das Gegenteil: Man muss die - zumeist männlich definierten - Strukturen so ändern, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht mehr als Defizit, sondern als produktive Ressourcen wahrgenommen werden. Denn die - zumeist weiblichen - Energien brach liegen zu lassen, kann sich heute kein Land mehr leisten. Kern ihrer Energiewende: "artgerechte" Anreize statt Umerziehung.

Da wird niemand widersprechen, auch weil mit den bisherigen Fortschritten keins der beiden Geschlechter so richtig glücklich ist. Nur, Lösungen bietet Erlers "vive la différence!" leider nicht. Dafür wimmelt es von Politikersprech, bei dem man Loriot förmlich mithört, Stilblüten und Reizwörtern, die sicher gut für virales Marketing sind, amerikanischen Management-Euphemismen. In schönster Technokratenkälte ist die Rede von der "Goldreserve des weiblichen Arbeitsvermögens, die es zu heben gilt und die sich überall heben lässt - durch Empowerment, durch Zuschreibung von Verantwortung, durch Vertrauen. Dies zumindest ist der Kern unserer Unternehmenskultur".

Und so klingt das Ganze eher wie eine triumphale Firmenstory. Aber vielleicht hat Erler, die inzwischen Staatsrätin in Stuttgart ist, ja eigentlich ein etwas überdimensioniertes Bewerbungsschreiben für den Job als künftige Familien-Geschlechter-Energiewende-Ministerin im Sinn gehabt, pünktlich vor der nächsten Bundestagswahl.

Besprochen von Pieke Biermann

Gisela A. Erler: Schluss mit der Umerziehung! Vom artgerechten Umgang mit den Geschlechtern
Heyne Verlag, München 2012
384 Seiten, 17,99 Euro


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