"Es könnte auch Diebstahl gewesen sein"

Gerhardt Finckh im Gespräch mit Frank Meyer · 06.11.2013
Der Direktor des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, Gerhardt Finckh, meldet Zweifel an, dass sich alle bei dem Münchner Sensationsfund beschlagnahmten Bilder rechtmäßig im Besitz von Cornelius Gurlitt befinden. Sollten Werke aus seinem Haus wieder auftauchen, werde er alles daran setzen, diese zurückzubekommen.
Frank Meyer: Nach dem sensationellen Kunstfund in München hofft auch das Wuppertaler Von der Heydt-Museum auf die Rückkehr von Kunstwerken, die bei der Nazi-Aktion "Entartete Kunst" aus dem Museum geholt wurden.

Beitrag von Carsten Probst – Rechtmäßig quittiert

Damals wurde das Wuppertaler Von der Heydt-Museum fast leer geräumt, den Nazis war gerade dieses Museum ein Dorn im Auge, weil es eine wichtige Rolle gespielt hat bei der Durchsetzung der Avantgarde in Deutschland. Es war zum Beispiel das erste Museum überhaupt, das ein Bild von Pablo Picasso gezeigt hat: "Akrobat und junger Harlekin" aus dem Jahr 1905. Gerhard Finckh, der Direktor des Von der Heydt-Museums, ist jetzt für uns am Telefon. Seien Sie willkommen, Herr Finckh!

Gerhard Finckh: Guten Tag!

Meyer: Bleiben wir erst mal bei diesem Bild, Picassos "Akrobat und junger Harlekin". Was ist daraus geworden?

Finckh: Das Bild hatte ein schwieriges Schicksal. Es ist 1937 dem Museum enteignet worden, war dann wohl bei verschiedenen Privatsammlern, zuletzt angeblich bei einem griechischen Privatsammler, der es wohl als Dauerleihgabe an das Kunstmuseum in Zürich gegeben hat, wo es jetzt auch präsentiert wird.

Meyer: Ihre Vorgängerin am Von der Heydt-Museum Sabine Fehlemann, die hat versucht, den Picasso zurückzuholen nach Wuppertal, unter anderem beim Kunsthaus Zürich angefragt. Wie ging das vor sich, wurde das einfach glatt abgelehnt?

"Restitutionsforderungen an die Siegermächte sind völlig unsinnig"
Finckh: Ich weiß, dass meine Vorgängerin bei verschiedenen europäischen, aber auch amerikanischen Museen angefragt hat und versucht hat, unsere Bilder zurückzubekommen. Das ist aber durchweg abgelehnt worden, wir haben von den ehemaligen Siegermächten keine Bilder zurückbekommen. Man muss auch sagen, wenn man einen Krieg anfängt, muss man nicht hinterher darum jammern, dass die Bilder verloren sind.

Meyer: Das heißt, Sie würden solche Versuche, wie sie Ihre Vorgängerin gemacht, auch nicht erneut anstreben?

Finckh: Nein, das würde ich nicht machen. Ich würde versuchen, mit den anderen Museen in ein ganz reguläres Geschäft zu kommen, wir leihen uns gegenseitig Bilder und sind uns mit großen Ausstellungen behilflich. Da sind solche Restitutionsforderungen an die ehemaligen Siegermächte völlig unsinnig, meiner Ansicht nach.

Meyer: Schauen wir auf den Münchener Fall Gurlitt, der liegt ja nun anders, diese Werke wurden eben nicht ins Ausland verkauft, an andere Museen verkauft. Wissen Sie denn schon, ob unter diesen 1400 Werken, die da in München gefunden wurden, ob da Bilder aus dem Wuppertaler Museum sind?

Finckh: Wir wissen es natürlich noch nicht, denn die Staatsanwaltschaft in Augsburg hat ja noch keine Liste der Werke veröffentlicht, die da gefunden wurden. Wir können nur dazu sagen, im Von der Heydt-Museum wurden 1937 56 Gemälde, 352 Arbeiten auf Papier und 83 Werke aus dem Barmer Kunstverein beschlagnahmt. Es kann durchaus sein, dass einzelne Werke davon in dieser Sammlung Gurlitt irgendwie gelandet sind.

Meyer: Wie viele von diesen beschlagnahmten Werken sind denn bis heute verschwunden oder nicht zurückgekehrt in Ihr Museum?

Finckh: Es sind praktisch alle verschwunden und nicht zurückgekehrt. Höchstens eins oder zwei, die wir vielleicht zurückgekauft haben, aber ansonsten sind die Bilder weg. Das war ein ganz gravierender Eingriff in das Museum, denn das sind ganz herausragende Bilder gewesen, die uns jetzt fehlen. Wenn ich Ihnen nur die Künstlernamen nenne, Jawlensky, Macke, Müller, Zöllner Rousseau, es ist Otto Dix, es ist George Grosz, es ist Felixmüller, Klee, Heckel, Schmidt-Rottluff, Picasso und so weiter. Diese Werke fehlen uns einfach und die würden dem Museum natürlich sehr gut zu Gesicht stehen. Wenn wir sie wieder hätten, wäre es wunderbar.

Meyer: Es gab ja in den letzten Jahren viele Fälle, bei denen deutsche Museen Werke zurückgeben mussten an Erben früherer jüdischer Eigentümer, als Restitution. Jetzt liegt der Fall einmal umgekehrt, vielleicht, in diesem Fall Gurlitt - hoffen Sie tatsächlich, dass Werke aus diesem Fund zu Ihnen zurückkehren könnten?

"Wir haben noch genaue Listen über Bilder, die uns geraubt wurden"
Finckh: Ja, ich hoffe das sehr. Und wir werden auch alle Anstrengungen unternehmen, diese Bilder wieder zurückzubekommen, sofern welche da in diesem Stock von Gurlitt sind. Wir haben ja noch genaue Listen über die Bilder, die uns geraubt wurden, und das müssen wir jetzt mal mit dem abgleichen, was da in München gefunden wurde.

Meyer: Wir haben es aber in unserer Einführung gehört, dass die Rechtslage eigentlich dagegen spricht, denn diese Enteignungen der Museen durch die Nazis sind ja bis heute geltendes Recht.

Finckh: Ja, die Frage ist natürlich, wenn die Werke dem Herrn Gurlitt jetzt nicht gehören – das muss sich ja erst noch mal klären, ob sie ihm wirklich gehören, er hat sie zwar geerbt, aber die Frage ist ja, wie ist sein Vater wirklich da drangekommen, inwieweit kann man das als Diebstahl bezeichnen, Diebstahl am Deutschen Reich oder an den Museen letzten Endes –, ich hoffe schon, dass wir das eine oder andere Bild auf die Weise vielleicht zurückbekommen.

Meyer: Und wie meinen Sie das, was Sie gerade ansprachen, dass der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt als Dieb zu Kunstwerken gekommen sei, vielleicht aus Wuppertal?

Finckh: Na ja, es ist ja so, Gurlitt war offenbar damit beauftragt, diese Bilder aus den Museen zu holen. Und diese Bilder wurden ja dann wohl in Berlin gesammelt und man hat daraus dann die Ausstellung "Entartete Kunst" generiert. Danach wurden die Bilder verkauft.

Aber vieles ist ja wohl nicht verkauft worden ganz offensichtlich, und man kann das ja eigentlich nicht anders verstehen, als dass er die für sich behalten hat. Und da müsste man dann schon einmal genau nachfragen, wie rechtens das eigentlich war, und zwar bei jedem einzelnen Bild. Hat es Herr Gurlitt wirklich gekauft oder ist es zufällig bei ihm verblieben? Also, das müssen wir schon jetzt aufklären. Das, was wir tun können, werden wir auch tun, um da nachdrücklich mitzuhelfen.

Meyer: Die eine Frage ist diese Aufklärung, was ist damals passiert, die andere Frage ist ja auch, wie gehen wir heute mit diesem ganzen Komplex um, zum Beispiel jetzt mit dieser beschlagnahmten Sammlung in München. Wir haben gestern darüber hier im Deutschlandradio Kultur gesprochen mit dem Berliner Rechtsanwalt Peter Raue. Das ist jemand, der viel zu tun hat mit Auseinandersetzungen um die Restitution von Kunstwerken. Und Peter Raue hat bei uns gestern Folgendes gefordert:

Peter Raue: Wenn man die 1500 Arbeiten ins Internet stellen wollte, dann könnten auch andere mitforschen, dann könnten die Museen sagen, das hing bei uns im Museum bis 1933 oder 34, es könnten jüdische Familien kommen und könnten sagen, ich habe hier ein Foto, da sehen Sie, wie das über dem Sofa meiner Mutter hing. Das wird alles verhindert, weil die sagen: Wir forschen selbst. Das ist unglaublich.

Meyer: Das fordert der Rechtsanwalt Peter Raue. Gerhard Finckh ist für uns am Telefon, Direktor des Wuppertaler Von der Heydt-Museums. Würden Sie sich dieser Forderung anschließen, dass diese Funde so schnell wie möglich öffentlich gemacht werden sollten?

"Eine Person über 1500 Bilder forschen zu lassen, ist völliger Unsinn"
Finckh: Ja, absolut, ich kann Herrn Raue nur recht geben, man muss das sofort öffentlich machen. Denn eine Person über 1500 Bilder forschen zu lassen, ist völliger Unsinn. Wir haben ja selbst immer wieder mal die Frage nach Restitutionen hier im Haus versucht zu klären, und allein, um ein Bild genau abzuklären, dauert ja oft schon mal ein Jahr oder zwei Jahre. Also, wie soll denn bitte eine Person 1500 Werke abklären, das geht doch gar nicht, das ist doch sehr viel einfacher, wenn man die Werke ins Internet stellt. Wir gucken uns an, was passt da zu den Werken, die bei uns verloren gegangen sind. Und dann können wir den Finger heben und können sagen, ja, dieser Otto Dix, der hat hier bei uns im Von der Heydt-Museum gehangen, und schon sind wir der Klärung des Sachverhalts ein großes Stück näher!

Also, diese Geheimhaltungstaktik der Augsburger Staatsanwaltschaft halte ich für fatal. Wichtig ist erst mal, dass wir hier mit offenen Karten spielen und dass wir damit diesen Prozess des Erforschens in Gang bringen, und erst dann kann man darüber nachdenken, wenn es ausführlich erforscht ist, wem es dann gehört letzten Endes und wie jedes einzelne Bild restituiert werden muss oder auch nicht.

Meyer: Die Hoffnung auf die Rückkehr von enteigneten Kunstwerken nach dem Sensationsfund in München, wir haben mit Gerhard Finckh darüber gesprochen. Er ist der Direktor des Von der Heydt-Museums in Wuppertal. Herr Finckh, vielen Dank für das Gespräch!

Finckh: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.