"Es ist verboten, nach Algerien eine Bibel einzuführen"

Claudia Altmann im Gespräch mit André Hatting · 03.01.2011
In Algerien gebe es zwar Übergriffe von Islamisten auf Christen, aber nicht in dem Ausmaß, wie es gerade in Ägypten passiert sei, sagt die Journalistin Claudia Altmann, die seit 1990 in Algerien lebt. In Religionsangelegenheiten fahre der algerische Staat eine "zweigleisige Politik".
André Hatting: Kein Film hat Frankreich im vergangenen Jahr so bewegt wie "Von Menschen und Göttern". Innerhalb von zwei Wochen sahen ihn drei Millionen Menschen. In Deutschland läuft der Film bis heute mit ähnlich großem Erfolg. Thema ist das Schicksal von sieben französischen Mönchen, die im algerischen Bürgerkrieg Mitte der 90er-Jahre verschleppt und anschließend ermordet werden. Eine wahre Begebenheit, in langsamen, ergreifenden Bildern nacherzählt. Der Film berührt auch deshalb, weil sein Thema durch die Gewalt gegen Christen im Irak und Ägypten aktueller denn je ist. Im Studio begrüße ich Claudia Altmann, sie ist freie Journalistin, lebt seit 1990 in Algerien, kennt also das Land sehr gut. Guten Morgen, Frau Altmann!

Claudia Altmann: Guten Morgen!

Hatting: Die Handlung des Films spielt, ich sagte es, in den 90ern, zur Zeit des Bürgerkriegs und des islamistischen Terrors. Wie sicher sind Christen denn heute in Algerien?

Altmann: Die christliche Minderheit ist sehr klein in Algerien. Algerien hat zwar eine große Geschichte, der heilige Augustinus im vierten Jahrhundert ist ja in Algerien geboren. Aber heute gibt es 40.000 Christen, Katholiken und Protestanten, man kann die Situation bei Weitem nicht mit der Situation im Irak oder in Ägypten vergleichen. Aber vor allem Protestanten sind auch Verfolgungen ausgesetzt. Der Staat fährt da so ein bisschen eine zweigleisige Politik, einerseits finanziert er beispielsweise die gerade wiedereröffnete Basilika in Algier, Notre-Dame d’Afrique, andererseits gibt es seit 2006 ein Gesetz, was Missionierung verbietet. Es ist verboten, nach Algerien eine Bibel einzuführen beispielsweise, vor einiger Zeit wurden vier Christen verurteilt zu Gefängnisstrafen, weil sie in einem nicht autorisierten, nicht staatlich zugelassenen Raum eine Messe abgehalten haben. Und Hintergrund ist, dass es ja so 2004 Neoevangelisten gab, die durch das Land gezogen sind und versucht haben, ja Leute dazu zu überreden, indem sie ihnen Visa und Geld versprochen haben, zum Christentum überzutreten. Aber es gibt auch ja Übergriffe von Islamisten auf Christen, das muss man natürlich auch sehen, aber nicht in dem Ausmaß, wie es jetzt gerade in Ägypten passiert ist.

Hatting: Gibt es denn noch viele Fundamentalisten, gibt es Rückzugsgebiete für diese islamistischen Fundamentalisten? Ich meine, Algerien war ja während des Bürgerkrieges so etwas wie die Keimzelle des islamistischen Terrors. Das hat sich mittlerweile geändert, wir hören nicht mehr so viel von Anschlägen dort, aber gibt es dennoch einen harten Kern von Fundamentalisten?

Altmann: Den gibt es. Es wurde ja eine Politik der nationalen Versöhnung von der Regierung, vom Staatspräsidenten sozusagen von oben verordnet, der hat zumindest dazu geführt, dass der Großteil der bewaffneten Teile, der bewaffneten Gruppen sich ja gestellt haben und von dieser nationalen Lösung profitieren heute. Es gibt aber nach wie vor einen harten Kern, die sich vor einigen Jahren ja auch El Kaida, also das Label El Kaida gegeben haben, die sind vor allem angesiedelt in der Region östlich von Algier, in der Bergregion, dem Heimatland der Kabylen, der ethnischen Minderheit der Berber. Und es gibt nach wie vor auch Anschläge, Übergriffe. Und das Problem ist noch nicht gelöst, aber man kann die Situation nicht mehr vergleichen mit der der 90er-Jahre.

Hatting: Sie haben diese Art Generalamnestie angesprochen, diese nationale Versöhnungsstrategie. Hat die denn auch den Minderheiten genützt, also profitieren davon auch die Christen in Algerien?

Altmann: Diese Politik der nationalen Versöhnung konzentriert sich vor allem auf, es soll so eine Art der Aufarbeitung der Ereignisse der 90er-Jahre sein, also dieses entsetzlich blutigen Konfliktes zwischen Islamisten, islamistischen Extremisten und der Regierung, dem Militär. Es wird sozusagen versucht, durch ein Generalpardon den Deckel draufzulegen und die Sache sozusagen als Geschichte zu behandeln, wobei es eine tatsächliche Aufarbeitung leider nicht gibt, obwohl in dieser Charta, die in diesem Zusammenhang veröffentlicht wurde oder verabschiedet wurde, festgelegt ist, dass Leute, die Blut an den Händen haben, auch zur Verantwortung gezogen werden, passiert das nicht, auf beiden Seiten, sowohl was Verbrecher aufseiten der Islamisten, als auch aufseiten der Armee ganz nebenbei, der Sicherheitskräfte betrifft.

Hatting: Ja, auf die Armee wollte ich noch mal zu sprechen kommen: In dem Film "Von Menschen und Göttern", den ich anfangs erwähnt habe, sieht es ja am Ende ein bisschen so aus, dass eben das Militär diese sieben Mönche umgebracht hat, und nicht etwa islamistische Rebellen. Sie sehen diese Interpretation kritisch?

Altmann: Sagen wir so, also der Film wird – kann er vielleicht auch gar nicht – dem, was damals passiert ist, nun nicht so in allen Facetten gerecht. Es gibt ja zwei Versionen, die eine Version ist die offizielle, nämlich dass die Mönche von der GIA, also von den bewaffneten islamischen Gruppen, umgebracht wurden, die sich auch damals dazu bekannt haben, und im Jahr 2009 kamen Informationen an die Öffentlichkeit durch den damaligen französischen Militärattaché, der sagte, dass ihm Informationen vorliegen, wonach die Armee durch ein Versehen verantwortlich ist für den Tod der Mönche. Es gibt für beide Varianten keine Beweise, die Aufarbeitung steht immer noch aus. Ganz nebenbei ist das auch ein Aspekt im Film, der bezeichnend für die Situation in Algerien ist, denn es gibt unheimlich viele Dinge, die in den 90er-Jahren passiert sind während dieses Bürgerkrieges mit immerhin 120.000 Opfern, die nicht aufgearbeitet werden, und auch die Politik der nationalen Versöhnung trägt dazu nicht bei. Insofern hat Algerien noch einen sehr langen Weg vor sich und hat dort noch sehr schmerzhafte Schritte vor sich.

Hatting: Claudia Altmann war das, Journalistin, die seit 1990 in Algerien lebt. Wir sprachen mit ihr über die Situation der christlichen Minderheiten dort. Vielen Dank für den Besuch im Studio, Frau Altmann!

Altmann: Bitte!
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