"Es ist nichts Prägendes zurückgeblieben"

Gerd Langguth im Gespräch mit Marietta Schwarz · 15.06.2010
Von der Amtszeit des Bundespräsidenten Horst Köhler wird nach Einschätzung seines Biografen Gerd Langguth wenig in Erinnerung bleiben. Er sei kein guter Redner gewesen, sagte der Politikwissenschaftler. Auch habe er keine Brücken zwischen Volk und Politik geschlagen.
Marietta Schwarz: Heute wird Horst Köhler als Bundespräsident mit dem Großen Zapfenstreich vor Schloss Bellevue verabschiedet. Sechs Jahre hatte er dieses höchste Staatsamt inne, bevor er es am 1. Juni hinschmiss – so zumindest ist sein Rücktritt in der Öffentlichkeit aufgenommen worden. Seitdem hat er sich nicht mehr geäußert. Heute will er das aber noch einmal tun, allerdings in einer internen Abschiedsrede vor seinen Mitarbeitern. Und da wird es wahrscheinlich nicht nur um die Motive des Rücktritts, sondern auch um eine Bilanz der Amtszeit gehen.

Auch wir wollen Bilanz ziehen, was bleibt zurück von Horst Köhler, wie ist er einzuordnen als Bundespräsident und was brauchen wir jetzt für einen in diesem Amt? Fragen an den Politikwissenschaftler und Köhler-Biografen Gerd Langguth, der uns telefonisch zugeschaltet ist. Guten Morgen, Herr Langguth!

Gerd Langguth: Ja, guten Morgen!

Schwarz: Was hat denn die Amtszeit Köhlers besonders geprägt?

Langguth: Eigentlich nicht sehr viel, wenn man es mal weiterdenkt, wenn bald mal ein neuer Präsident kommt, der wird dann ganz die Szene beherrschen, da wird man fragen, was hat er, was ist eigentlich von ihm übrig geblieben? Das ist sicherlich so seine Liebe zu Afrika, da hat er einiges versucht und bewirkt auch, er hat natürlich immer wieder die eine oder andere Rede gehalten, aber eben nur die eine oder die andere. Es ist nichts Prägendes zurückgeblieben, wie etwa bei Roman Herzog seine berühmte "Ruck-Rede" oder etwa Richard von Weizsäcker seine Rede zum 8. Mai. Nun kann auch nicht jeder Präsident immer gute Reden halten, weil er dazu auch die Gelegenheiten braucht, aber er war jedenfalls auch – das kann man auch mit allem Respekt sagen – wirklich kein guter Redner.

Schwarz: Nun hat Horst Köhler eigentlich eine glanzvolle Karriere hingelegt als Staatssekretär, als Chef des Sparkassenverbandes, als IWF-Chef ... Was hat ihm denn dann im Amt des Bundespräsidenten gefehlt, war es nur die Rhetorik?

Langguth: Nein, auf keinen Fall. Aber ich denke, dass er zunächst mal im Kern ein unsicherer Mensch gewesen ist, was er versucht hat zu verbergen, aber das ist immer wieder auch bei Gesprächen mit seinen Mitarbeitern zum Vorschein gekommen. Und vor allem war er jemand, der eben zwar im Volk sehr beliebt war, aber keine so richtige unmittelbare, ja wie soll ich sagen, Erfahrung mit dem Volk selber hatte, etwa in dem Sinne, dass er mal als Mandatsträger um Stimmen des Volkes geworben hat.

Also das heißt, er war kein Mann, der die Politik sehr gut kannte. Er kannte das Volk natürlich einigermaßen, aber er hatte nicht die Brückenbildung zwischen Volk und Politik gemacht. Und es war zwischen ihm und der politischen Klasse - vor allem in Berlin - so eine Art unsichtbare Wand gewesen und er hat ja auch immer von den Politikern gesprochen und hat sich ja gar nicht mit den Politikern so richtig identifiziert. Und deswegen fehlte ihm zum Schluss auch alles Verständnis. Und er hat auch, sagen wir mal bei ihm hat sich auch sehr viel Frustrationspotenzial angesammelt und deswegen hat er dann irgendwann die Prügel hingeschmissen.

Schwarz: Nun gibt es ja in der Geschichte der Bundesrepublik, Herr Langguth, einige blasse Bundespräsidenten, das haben Sie auch angedeutet, die haben auch wenig Spuren hinterlassen, aber man würde nicht sagen, die sind gescheitert. Von Horst Köhler sagt man das jetzt, Sie haben das auch schon gesagt.

Langguth: Ja.

Schwarz: Ist Horst Köhler eigentlich in dem Moment gescheitert, als er seinen Rücktritt bekanntgab, oder schon vorher?

Langguth: Also ich persönlich (das habe ich auch in einem Artikel irgendwo geschrieben schon ein paar Monate vorher) habe gesagt, geschrieben, dass irgendwie seine Amtszeit schon so ausschaute, als wenn sie schon zu Ende gekommen sei, und von ihm war auch wirklich nichts Neues mehr zu erwarten. Aber es kam dann noch hinzu die internen Querelen in seinem Präsidialamt, er hat einfach den Laden nicht so richtig im Griff gehabt, er wurde mit der Zeit immer mehr vereinsamt und das kam dann alles zu dieser Wirkung dazu, dass er dann irgendwann die Prügel sozusagen hingeschmissen hat ohne wirkliche Vorwarnung.

Schwarz: Aber noch mal die Nachfrage, warum ist er gescheitert?

Langguth: Ja ich denke, er ist gescheitert, weil er an sich selbst gescheitert ist. Weil er irgendwie mit dem Amt nicht zurechtkam, was mich, wobei ich mir immer selber die Frage stelle, das hätte er doch spätestens nach fünf Jahren merken müssen, nachdem er fünf Jahre ja schon Präsident gewesen ist, hat er sich ja dann noch mal wiederwählen lassen. Also da muss irgendetwas passiert sein in diesen zwölf Monaten, als er zum Präsidenten noch mal gewählt worden war.

Schwarz: Sie haben einen Tag nach Köhlers Rücktritt gesagt, jetzt braucht es eine Persönlichkeit, die in der öffentlichen Wahrnehmung präsent ist; Joachim Gauck wird als Persönlichkeit jetzt sehr viel stärker wahrgenommen. Warum, glauben Sie, hat sich Angela Merkel trotzdem für Christian Wulff entschieden?

Langguth: Gauck wird natürlich erst mal deswegen wahrgenommen, weil ja alle, die sozusagen auch gegen Merkel sind oder auch gegen die Entscheidung für Christian Wulff, dass die sich natürlich jetzt alle auch hinkonzentrieren auf Gauck, das ist ein ganz normaler Prozess. Man muss aber auch sagen, dass Gauck ja ein ganz vorzüglicher Redner ist, er ist so was wie ein Menschenfänger, kann man sagen. Er ist eben ein gelernter ostdeutscher Pastor, der die ganze Macht der rhetorischen Kraft hat, und so was braucht natürlich ein Bundespräsident.

Sie müssen natürlich sehen, die Macht, die ein Bundespräsident hat, ist ja meistens ganz klein, aber er hat die Macht des Wortes, und, aber ich würde auch sagen, dass Christian Wulff, wenn er zum Präsidenten gewählt worden werden sollte, dass er das schaffen würde, eine auch vergleichbare vernünftige Vorstellung zu geben auch als Redner, mit bestimmten Reden. Aber Gauck ist natürlich schon eine Ausnahmeerscheinung, das kann man schon sagen.

Schwarz: In der Bundesregierung kriselt es gewaltig. Würde denn eine Wahl Christian Wulffs jetzt überhaupt noch die Kanzlerin stärken oder lediglich das Schlimmste verhindern?

Langguth: Also eine Nichtwahl von Wulff wäre nach meiner Überzeugung das Anfangen vom Ende dieser Koalition, das werden sicherlich auch die Delegierten in der Bundesversammlung wissen, die Wahlmänner und Wahlfrauen, wovon ja die Hälfte auch von den Ländern entsandt wird. Aber das ist eine geheime Wahl und niemand weiß, wie es ausgeht. Und deswegen müssen wir das auch alle abwarten und deswegen haben wir auch jetzt innenpolitisch in Deutschland eine Art Ausnahmezustand, weil ja bis zum 30. Juni alle Fragen, auch alle taktischen Fragen, auch im Umgang der Kanzlerin mit der FDP, alle im Lichte auch dieser Bundesversammlung gesehen werden müssen.

Schwarz: Heute wird der ehemalige Bundespräsident Köhler aus dem Amt verabschiedet – die Bilanz von seinem Biografen, dem Politikwissenschaftler Gerd Langguth. Ihnen, Herr Langguth, herzlichen Dank für das Gespräch!

Langguth: Danke auch!
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