"Es ist ein Umdenken da"

Roland Winkler im Gespräch mit Dieter Kassel · 30.04.2010
Bei der chinesischen Bevölkerung sowie den Politikern gebe es ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit, sagt der Stadtplaner Roland Winkler, der in Schanghai lebt. Für die Regierung stehe dabei aber nicht der Umweltschutz im Vordergrund, sondern die Unabhängigkeit von Ressourcen anderer Länder.
Dieter Kassel: In Schanghai beginnt offiziell morgen die größte Weltausstellung aller Zeiten. Nun hat bisher noch jeder Veranstalter behauptet, seine Weltausstellung sei die beste, aber in China tut man wirklich einiges, damit die Expo 2010 alle bisherigen Maßstäbe sprengt. Unsere Korrespondentin Astrid Freyeisen berichtet.

Ein Bericht aus Schanghai war das von unserer Korrespondentin Astrid Freyeisen. Wir bleiben in Schanghai, denn dort sitzt jetzt für uns Roland Winkler im Studio. Er lebt und arbeitet in der Stadt seit mittlerweile fünf Jahren, er ist Stadtplaner und berät immer wieder auch offizielle Stellen in Fragen der Nachhaltigkeit beim Stadtum- und -neubau. Schönen guten Tag, Herr Winkler!

Roland Winkler: Guten Tag!

Kassel: Wir haben es gerade am Schluss von einem Bürger von Schanghai gehört, da kommt Geld in die Stadt durch die Expo. Das ist ja schön und gut, aber kommt noch mehr in die Stadt? Sieht man jetzt, bevor die Ausstellung eröffnet wird, schon erste Veränderungen?

Winkler: Was ja auch erwähnt wurde, ist die U-Bahn, das ist wohl das Offensichtlichste, was sich hier verändert hat, also zumindest, wenn man in Schanghai lebt. Es ist ein Riesennetz entstanden innerhalb relativ kurzer Zeit. Ansonsten, an unmittelbarer Veränderung in den Richtungen Nachhaltigkeit ist eigentlich für den Normalbürger in Schanghai wenig zu bemerken. Also es gibt jetzt nicht deutlich mehr Grünflächen, zumindest sind mir keine aufgefallen, und auch zum Beispiel Fahrradwege oder Dinge, die wir jetzt eben unter diesem Stichwort Nachhaltigkeit einstufen würden, sind jetzt sonst in diesen Jahren nicht neu entstanden, auch nicht deutlich mehr zum Beispiel energieeffiziente Gebäude. Da wird viel drüber geredet, aber leider nach wie vor wenig gemacht.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur einen Tag vor der Eröffnung der Expo 2010 in Schanghai mit dem deutschen Stadtplaner Roland Winkler. Ich habe es erwähnt, Herr Winkler, dass Sie eben auch offizielle Einrichtungen in Schanghai immer wieder beraten, was die Stadtplanung angeht und was Nachhaltigkeit angeht. Andererseits haben Sie gerade mir erzählt, Fahrradwege, Grüngebiete, die gehören nicht so richtig zur aktuellen Planung. Verändert sich denn trotzdem langsam das Bewusstsein, was Nachhaltigkeit und deren Bedeutung angeht?

Winkler: Das Bewusstsein ändert sich auf jeden Fall, also auf allen Ebenen, nicht nur bei der breiten Bevölkerung, sondern auch bei den Entscheidern. Diese Bewusstseinsänderung liegt ja in erster Linie an den negativen Konsequenzen, die diese rasante Entwicklung der letzten Jahre gehabt hat. Also immer mehr Verkehr und alles zugebaut, Lärm und so weiter. Diese negativen Konsequenzen, die führen jetzt schon dazu, dass sich immer mehr Menschen auch drüber Gedanken machen und was ändern wollen dran. Gleichzeitig hat die chinesische Zentralregierung in den letzten Jahren eine deutliche Umsteuerung versucht in Richtung Nachhaltigkeit, das liest man ja überall.

Kassel: Ist das wirklich ein Umweltbewusstsein, so wie es das in Europa gibt, oder ist, so wie wir es im Beitrag vorhin auch gehört haben, eher die Erkenntnis, dass man mit Nachhaltigkeit auch Geld verdienen kann?

Winkler: Beides. Also es ist auf jeden Fall irgendwo ein Umdenken da, aber es hängt schon sehr viel auch rein am Geld. Für China steht viel auf dem Spiel dadurch, dass es wenige eigene Ressourcen hat oder zu wenig eigene, vor allem Erdöl. Von daher ist es eigentlich ein Nachhaltigkeitsgedanke aus dem Westen, also nicht die Umwelt zu zerstören, für die Nachwelt zu erhalten und so weiter, ist, glaube ich, nicht der Ausgangspunkt dieser Überlegungen gewesen, sondern eigentlich innere Sicherheit. Also von der Regierung her, also von der Ebene her, von der Regierungsebene her, denke ich, ist das Hauptinteresse, China nicht so sehr abhängig zu machen vom Westen oder von Ländern, die eben die Ressourcen zur Verfügung stellen. Was die breite Bevölkerung betrifft, ist es ganz anders. Also die denken, glaube ich, immer mehr auch drüber nach über Probleme der Nachhaltigkeit – eben je mehr Geld sie verdienen, je mehr sie sich das auch leisten können, je mehr sie die Wahl haben, dieses Produkt oder jenes Produkt zu kaufen oder in dieser Wohnung oder in jener Wohnung, in dieser Umgebung, jener Umgebung zu leben. Und natürlich auch ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Ja gerade in China spielt das eine Riesenrolle, also für Chinesen sind die Kinder halt das Ein und Alles, und da wird auch alles dafür ausgegeben.

Kassel: Dennoch scheint man ja sogar beim Bau der einzelnen Pavillons auf der Expo 2010 nicht immer ganz konsequent gewesen zu sein. Es gibt ja die Vorwürfe, dass einfach das ganze Gelände nicht wirklich nachhaltig bebaut worden ist. Ist das also vielleicht doch ein bisschen eine Mogelpackung?

Winkler: Ja – eine Expo an sich kann im Grunde nicht nachhaltig sein, weil es ein Riesenaufwand ist an Material, Ressourcen für einen doch relativ kurzen Zeitraum und für temporäre Gebäude, die auch eine temporäre Nutzung haben. Es macht gar keinen Sinn, die meisten Gebäude zu erhalten. Noch dazu ist dieses Gelände so dermaßen zentral inzwischen in Schanghai und riesig, dass es viel zu wertvoll ist. Also da geht es natürlich auch wieder um Geld. Aber dass dieses Expo-Gelände in wirklich strengerem Sinne nachhaltig bebaut werden sollte, das war, glaube ich, von Anfang an eher Marketing – Green Expo, Better City, Better Life. Und so gesehen kann man schon bis zu einem gewissen Grad von einer Mogelpackung reden, aber es ist halt eben, Marketing ist eben Marketing, da sind die Chinesen auch extrem gut drin.

Kassel: Eine Frage bei der Stadtentwicklung in Zukunft ist vielleicht etwas, was auch in die Vergangenheit blickt, Herr Winkler, nämlich die Frage schlichtweg nach den Baumaterialien. Die traditionelle chinesische Holzbaukunst hat früher eine große Rolle gespielt, jetzt hat man oft das Gefühl, außer Beton braucht man eigentlich gar nichts mehr beim Städtebau. Ändert sich das langsam, kommt vielleicht der Holzbau sogar zurück, sieht man das auf der Expo?

Winkler: Eigentlich auch nur symbolisch durch den chinesischen Pavillon, der ja so diese traditionelle Holzbaukunst symbolisiert. Natürlich ist der nicht in Holz gebaut, sondern aus Stahl und Beton, aber die Verbindungstechnik, die da verwendet wurde oder die da gezeigt wird, ist eben eine der wichtigsten traditionellen. Von daher kann man sagen, symbolisch schon, aber de facto gibt es kaum Holzbauten. Die Norweger haben sehr schöne, dann gibt es den Bambuspavillon von Deutschland und China. Es gibt noch ein paar andere, die unter anderem mit Holz verwenden oder natürliche Baustoffe. Aber zum aller überwiegenden Teil sind es eben typische Stahlkonstruktionen, Alukonstruktionen, Betonkonstruktionen. Da kann man eigentlich nicht davon reden, dass jetzt auf der Expo der Weg zurück zu traditionellen Bauweisen gezeigt wird. Vor allem nicht von den Chinesen, weil diejenigen, die mit natürlichen Baumaterialien arbeiten, sind gerade ja nicht die Chinesen, auf der Expo.

Kassel: Die Expo wird irgendwann vorbei sein und dann soll ja was bleiben. Was überhaupt nicht vorbeigehen wird, ist dieser unglaubliche Wachstum, den es in Städten wie Schanghai gibt. Es ist gar nicht so leicht, eine vernünftige Zahl zu kriegen, wie viel Menschen da im Moment leben, wahrscheinlich sind es um die 20 Millionen. Insgesamt in China werden in den nächsten Jahren – so sagen es realistische Schätzungen – 350 Millionen Menschen vom Land in die Städte ziehen, vielleicht zum Teil in Städte, die es jetzt noch gar nicht gibt. Bei einem solchen Wachstum, Herr Winkler, kann denn da Stadtplanung überhaupt was anderes machen, als den Ereignissen immer nur hinterherlaufen?

Winkler: Na ja, ist eine gute Frage, das ist wirklich extrem schwierig. Die Geschwindigkeit der Organisierung in China ist so hoch, dass man tatsächlich mit den normalen Mitteln, wie Sie sagen, kaum hinterherkommt. Trotzdem gäbe es viele Möglichkeiten, intelligenter in Hinblick auf die Zukunft auch in China oder nicht intelligenter unbedingt, sondern nachhaltiger zu planen. Es gibt viele Gründe, warum im Moment in China da noch ein extrem großer Nachholbedarf besteht. Das fängt schon bei der Ausbildung der Stadtplaner an, die halt doch eher traditionell ist und wo diese Kriterien einfach so gut wie keine Rolle spielen – der Nachhaltigkeit, der Integration und so weiter. Da besteht ein Riesennachholbedarf, und das geht dann weiter über die Art und Weise, wie Städte verwaltet werden, wie Städte auch sozusagen neu entstehen. Das sind nämlich immer relativ große Komplexe, die als ein Komplex an einen Developer – also die heißen hier eben Developer, diese Immobilien-Developer – verkauft werden. Und was der dann macht, ist wiederum relativ unabhängig von dem, was vielleicht ursprünglich mal die Stadt geplant hat. Also das sind immer so Riesengebiete, für unsere Verhältnisse Riesengebiete, mit bis zu Millionen von Quadratmetern auf einmal. Und das ist natürlich ein Problem für eine behutsame Entwicklung. Aber das sind nur ganz wenige Probleme, die ich da jetzt aufgezeigt habe. Das gab es einfach noch nie in der gesamten Geschichte der Menschheit, dass ein Volk von dieser Riesengröße sich in der Geschwindigkeit urbanisiert hat, 15 Millionen pro Jahr.

Kassel: Das ist eine Entwicklung, die wir im Auge behalten müssen, vielleicht werden wir bald auch noch mal Gelegenheit haben, darüber zu reden. Jetzt lassen wir die Expo erst mal anfangen. Es wird im Moment ja sogar noch gehämmert, lange darf das aber nicht mehr weitergehen, denn morgen, am Samstag, beginnt dann die voraussichtlich tatsächlich größte Weltausstellung aller Zeiten: die Expo 2010 in Schanghai. Dort leben der deutsche Berater und Städteplaner Roland Winkler schon seit fünf Jahren, und deshalb konnten wir jetzt mit ihm dort reden. Herr Winkler, ich danke Ihnen und wünsche Ihnen erst mal einen angenehmen Besuch in den nächsten Tagen auf der Expo 2010. Werden Sie gleich am Samstag dahin gehen oder warten Sie?

Winkler: Ich werde voraussichtlich am Samstag hingehen, weil da auch der Pavillon, an dem wir mitgeplant haben, seine Türen öffnet.

Kassel: Also dann wünsche ich Ihnen eine schöne Eröffnung und danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Winkler: Ja, gerne!
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