"Es ist ein Präzedenzfall"

Christoph Then im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 20.07.2010
Der Greenpeace-Berater Christoph Then erwartet, dass das Europäische Patentamt das "Brokkoli-Patent" bestätigen wird. Und dies sei nur der Anfang: 1000 weitere Patentanträge auf Pflanzen und Tiere lägen vor, warnt der Münchner Tiermediziner.
Liane von Billerbeck: Wem gehört der Brokkoli? Was absurd klingt, ist eine Frage von einiger Bedeutung. Heute gibt es vor dem Europäischen Patentamt in München eine Anhörung, die klären soll, ob eine Firma ein Patent auf konventionell gezüchtetes Gemüse, Brokkoli eben, halten darf.

Nach Europäischem Patenrecht ist es verboten, Patente auf konventionelle Lebensmittel zu erteilen – in diesem Fall hat eine britische Firma einen auf übliche Weise gezüchteten Brokkoli trotzdem zum Patent angemeldet. Und dagegen klagen nun zwei Firmen – die eine möchte selber derlei Patente haben, die andere züchtet ebenfalls konventionelle Gemüse- und Obstsorten und fürchtet künftige Einschränkungen.

Christoph Then sitzt heute als Zuhörer in München, er ist Berater von Greenpeace und Geschäftsführer des Vereins Testbiotech. Mit ihm habe ich vor unserer Sendung gesprochen. Herr Then, ich grüße Sie!

Christoph Then: Hallo!

von Billerbeck: Pflanzen und Tiere, die nicht gentechnisch manipuliert wurden, die können eigentlich nicht patentiert werden, so steht es jedenfalls im Gesetz. Warum hat der konventionell gezüchtete Brokkoli trotzdem ein Patent bekommen?

Then: Ja, es steht leider nicht so eindeutig im Gesetz, wie Sie das so schön formuliert haben. Es gibt im Europäischen Patentrecht ein Verbot der Patentierung von im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren, und es gibt dazu noch eine in sich widersprüchliche Definition dieses Verbotes, das wird zusätzlich noch definiert im Gesetz. Und diese Definition ist in sich widersprüchlich, und das Europäische Patentamt weiß also jetzt gar nicht, wie sie genau dieses Verbot auslegen soll. Und vor dem Hintergrund ist jede Art von Entscheidung möglich.

Das Europäische Patentamt kann dieses Verbot im Grunde auslegen, wie es ihm gerade richtig erscheint, und deswegen ist gar nicht ausgeschlossen, dass letztendlich auch das Patent auf den Brokkoli aufrechterhalten wird, und damit wäre ein Präzedenzfall geschaffen. Damit wären eben ganz viele weitere Patente, die bereits angemeldet sind, die ganz normale Pflanzen und zum Teil auch Tiere betreffen, die wichtig sind für die tägliche Ernährung, dass die dann patentiert und damit eben monopolisiert werden können.

von Billerbeck: Jetzt haben Sie schon etwas erzählt, was ja noch in der Entscheidungsfindung ist. Bleiben wir mal noch mal auf dem Weg dahin: Sie sagen, das Gesetz ist schwammig quasi – wie groß sind denn die Gesetzeslücken? Oder hat diese Firma, die dieses Patent da angemeldet hat, irgendeinen Schleichweg genommen?

Then: Es sind tatsächlich die Gesetze so gemacht worden, wie sie die Industrie gerne hat. In den Gesetzen stehen Verbote, und zu den Verboten gibt es jeweils Ausnahmen, und diese Ausnahmen ermöglichen es mehr oder weniger, diese Verbote im Gesetz komplett zu umgehen. Wir haben vor ein paar Jahren gesehen, es gibt ein Verbot der Patentierung von Pflanzensorten. Dieses Verbot wird vom Europäischen Patentamt inzwischen so ausgelegt, dass es keinerlei Wirkung mehr entfaltet. Es sind einige Tausend Patente schon erteilt worden auf gentechnisch veränderte Pflanzen, und diese Patente betreffen alle auch die Ebene der Pflanzensorten, und keines dieser Patente ist deswegen widerrufen worden.

Und ähnlich ist es jetzt mit dem Verbot der im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung. Auch hier kann das Patentamt frei entscheiden letztendlich, in welche Richtung es sich hier positionieren will. Und bisher haben wir leider die Erfahrung gemacht, dass das Patentamt in der Regel sich zugunsten der Patentantragsteller, also zugunsten der Industrie entscheidet. Das Patentamt verfolgt hier die einfache Regel, dass alle Verbote im Patentrecht sozusagen eng auszulegen sind. Das heißt, nur das, was unmittelbar verboten ist, was eindeutig verboten ist, nur das wird nicht patentiert, und alles andere drumherum kann patentiert werden.

Und das lässt Böses erahnen jetzt im Bezug auf solche Patente, wie heute hier verhandelt werden auf den Brokkoli. Es wird vielleicht ein bisschen Kosmetik betrieben im Patentrecht oder in der Entscheidung, aber wirklich eine Entscheidung gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren ist hier leider nicht zu erwarten.

von Billerbeck: Jetzt haben Sie schon alles erzählt, was die Politik des Europäischen Patentamts betrifft, was hat es denn aber nun mit diesem Brokkoli, der da zur Rede steht, an sich, was ist daran anders als eigentlich so ein normaler Brokkoli, der durch Züchtung oder Kreuzung entsteht?

Then: Brokkoli ist durch Züchtung, durch Auswahl und Kreuzung entstanden. Der einzige Unterschied ist, dass also hier Inhaltsstoffe in dem Brokkoli gemessen werden, die in allen Brokkolisorten auch vorhanden sind. Es wird gesagt, dass hier der Gehalt an Glucosinolaten – das ist ein Stoff, der gesundheitsfördernd sein soll –, dass der etwas erhöht ist in diesen Brokkolisorten. Der ist deswegen erhöht, weil wilde Varianten, wilde Brokkolisorten gekreuzt worden sind mit den bereits kultivierten Sorten, die bereits angebaut werden, sie sind also gekreuzt worden. Und in der Regel ist es dann so, dass die wilden Varianten einen höheren Gehalt haben an allen möglichen Inhaltsstoffen, und so war es eben hier auch. Und dann ist der gemessen worden, dieser höhere Gehalt.

Und dann ist gesagt worden, na, das ist jetzt eine Erfindung, das ist ein völlig neuer Brokkoli. Und da ist patentiert worden das Verfahren zur Züchtung, es ist patentiert worden der Brokkoli selbst, die Pflanze, das Saatgut und sogar ausdrücklich der essbare Teil des Brokkoli, also auch sogar das Lebensmittel. Eine Scheinerfindung, ein ganz einfaches technisches …

von Billerbeck: Also ein Vorwand quasi?

Then: Ein Vorwand, ein Vorwand. Das technische Verfahren ist keine Erfindung, und die Patentansprüche reichen bis zum Verbraucher.

von Billerbeck: Das heißt also, wir werden in die Situation kommen, dass die Bauern, die solchen Brokkoli anbauen wollen, müssen dafür zahlen und wir Verbraucher werden auch dafür zur Kasse gebeten werden?

Then: Wir können …

von Billerbeck: Wenn dann diese Entscheidung durchkommt?

Then: Genau. Wenn die Entscheidung durchkommt, wissen wir nicht, ob das Patent auf den Brokkoli jetzt wirklich diesen großen Einfluss haben wird, das kann man nicht sagen – dieses eine Patent. Aber was man sagen kann, es gibt einfach inzwischen 1000 weitere Patentanträge in dem Bereich, es ist ein Präzedenzfall. Die Zahl der Patentanträge steigt dramatisch an, und mittelfristig geraten wir, die Verbraucher, genauso wie die Züchter und die Landwirte in die Abhängigkeit von einigen wenigen Konzernen.

Wir haben gesehen, dass zum Beispiel der weltweit größte Konzern im Moment im Bereich der Züchtung, das ist der US-Konzern Monsanto – mit und ohne Gentechnik ist das die Nummer eins im weltweiten Saatgroßhandel –, und der hat zum Beispiel bereits den größten Gemüsezüchter weltweit aufgekauft und hat auch entsprechende Patentanträge gestellt.

Und wenn das Patent auf den Brokkoli durchkommt, dann werden auch diese Patente bewilligt, und dann ist letztendlich ein großer Konzern in der Situation, den Gemüsemarkt weitgehend zu kontrollieren über … einfach, weil er das Saatgut aufgekauft hat, er hat die Firma aufgekauft, und wenn er neues Saatgut auf den Markt bringt, kann er es patentieren und kann jegliche Verwertung vom Landwirt bis zum Verbraucher kontrollieren.

Und das ist eine besorgniserregende Entwicklung, die von vielen eben Experten so gesehen wird, nicht nur von den Umweltverbänden, sondern da gibt es ganz viele kritische Stellungnahmen inzwischen eben auch aus der Politik und von den Pflanzenzüchtern selber.

von Billerbeck: Sie haben es eben auch schon so erwähnt, da gibt es ja derzeit eine normalerweise ungewöhnliche Allianz zwischen Greenpeace, den Bauern und auch der Bundespolitik. Was kann denn die Politik dagegen unternehmen, um dieser Möglichkeit Einhalt zu gebieten, dass Monsanto, so ein Konzern oder andere Konzerne irgendwann das Monopol hat auf Saatgut und niemand anders mehr entscheiden kann, was er aussät oder was nicht, sondern dass Monsanto die Entscheidungshoheit darüber hat? Was kann die Politik tun?

Then: Man kann also auf jeden Fall nicht erwarten, dass das Europäische Patentamt das Problem löst. Das Europäische Patentamt untersteht keiner unabhängigen Gerichtsbarkeit. Es finanziert sich ausschließlich über Patentanträge und Patenterteilungen, also über Gebühren ...

von Billerbeck: Das heißt also, es hat ein Interesse daran, dass dieser Brokkoli patentiert wird und andere solche Lebensmittel?

Then: Grundsätzlich ist es das Geschäft des Europäischen Patentamtes, Patente zu erteilen, es lebt davon. Das ist ein Milliardenhaushalt, und der wird finanziert ausschließlich nicht über Steuergelder, sondern ausschließlich über Zahlungen der Industrie. Das heißt, es gibt das Patentamt und die Industrie ist im Grunde der Kunde des Patentamtes, und die beiden zusammen unterliegen, auch in dieser Mischung, das Europäische Patentamt unterliegt keiner unabhängigen Gerichtsbarkeit.

Der Europäische Gerichtshof kann die Entscheidung des Europäischen Patentamtes nicht prüfen und die Gesetze sind einfach nicht ausreichend klar formuliert. Und damit ist hier Tür und Tor eben geöffnet für einen Missbrauch des Patentrechtes, und deswegen ist die Politik die einzige Ebene, die tatsächlich Änderungen herbeiführen könnte.

Und wir hoffen, dass also jetzt – ist ja auch so ein bisschen angekündigt worden jetzt von Ministerin Aigner – auf europäischer Ebene ein Vorstoß gestartet wird, um andere Regierungen mit in die Diskussion auch zu holen. Wir sehen ganz viel Kritik auch in anderen europäischen Ländern an der Entwicklung, und wir hoffen, dass auf europäischer Ebene zusammen mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament hier eine Lösung gefunden wird, weil das Problem tatsächlich inzwischen von vielen, vielen Beobachtern verstanden worden ist und auch die Analyse geteilt wird.

Wie Sie sagen, es gibt eine ganz breite Allianz von Bauernverbänden bis hin zu eben Greenpeace, Misereor und der Bundesregierung, und ich glaube, daraus kann man auch politisch letztendlich dann eine Lösung aufbauen.

von Billerbeck: Nun geht es ja heute um dieses Brokkoli-Patent. Wenn es denn dazu kommt, dass dieser Brokkoli tatsächlich patentiert bleibt, ist das eine Hintertür auf Patente auch auf andere Leben?

Then: Also es ist der Präzedenzfall für alle weiteren Patentanträge im Bereich der konventionellen Züchtung. Es gibt Patentanträge auf Karotten, auf Blumenkohl, auf Tomaten, auf Gurken, also alles, was man sich vorstellt, natürlich auch auf Mais, auf Weizen. Es gibt Patentanträge, die reichen von der Gerste bis zum Bier, es gibt Patentanträge, die reichen vom Weizen bis zur Nudel. Und all diese Patentanträge sind im Grunde abhängig erst mal von der Entscheidung des Europäischen Patentamtes.

Und es gibt auch Patentanträge auf Tiere aus der konventionellen Zucht, es gibt Patentanträge, die reichen bei der Kuh bis hin zur Milch der Kühe oder eben Patentanträge, wo Schweine mit gentechnisch veränderter Soja gefüttert werden und hinterher sogar das Schnitzel patentiert werden soll.

All das ist an Anträgen bereits vorhanden, und wir fürchten, dass der Brokkoli da eben ein Signal aussendet in die Richtung, dass viel mehr derartige Patentanträge noch gestellt werden und dass das Europäische Patentamt in Zukunft solche Patente auch routinemäßig erteilt.

von Billerbeck: Wem gehört der Brokkoli? Darüber gibt es heute eine Anhörung vor dem Europäischen Patentamt. Ein Präzedenzfall möglicherweise – das sagt jedenfalls Greenpeace-Berater Christoph Then. Ich danke Ihnen!

Then: Ich danke Ihnen!
Mehr zum Thema