"Es gilt jetzt wieder das diplomatische Primat"

11.09.2013
Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hat die Rede von US-Präsident Barack Obama kritisiert. Das eigentliche Problem, der Bürgerkrieg in Syrien, bleibe ungelöst. Außerdem bestehe die Gefahr eines "ordnungspolitischen Vakuums".
"America is not the world's policeman. Terrible things happen across the globe, and it is beyond our means to right every wrong, but when with modest effort and risk we can stop children from being gassed to death and thereby make our own children safer over the long run, I believe we should act."
(US-Präsident Barack Obama in seiner Rede an die Nation am Dienstagabend)


Marietta Schwarz: Amerika ist nicht die Weltpolizei, aber wenn wir mit niedrigem Einsatz und Risiko Kinder vor dem Tod durch Giftgas schützen können und damit auch unsere eigenen Kinder schützen können, dann sollten wir das tun. Das sagte Barack Obama vor wenigen Stunden in seiner Rede zur Nation, eine Rede, mit der er ursprünglich seine Landsleute auf einen Militärschlag einschwören wollte, dann aber von den Ereignissen der Weltpolitik überholt wurde. Syrien will seine C-Waffenarsenale kontrollieren lassen und sogar die Chemiewaffenkonvention unterzeichnen, und so fuhr Obama in dieser Rede zweigleisig, hielt sich einen Militärschlag offen, hält aber eine diplomatische Lösung für möglich. Markus Kaim ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Kaim!

Markus Kaim: Guten Morgen, Frau Schwarz, ich grüße Sie!

Schwarz: Diese Linie, Herr Kaim, in der Rede, die war ja nach den Entwicklungen der letzten Tage in etwa erwartbar, aber ist es auch überzeugend, was Obama da angekündigt hat?

Kaim: Nicht wirklich, wobei der Präsident eine sehr schwere Aufgabe hatte. Sie haben es ja gerade angesprochen: Die Vorzeichen seiner Rede haben sich innerhalb der letzten 72 Stunden verändert. Wir hatten alle erwartet, dass er eine Rede vor allen Dingen für den Kongress und für die amerikanische Innenpolitik halten würde, in der er noch einmal ausführlich begründet, weshalb er einen Militärschlag für Syrien erstens für notwendig hält und zweitens auch für unaufschiebbar hält.

Und jetzt hat er eine Rede gehalten an die Weltöffentlichkeit, in der er verzweifelt versucht, zu rechtfertigen, weshalb er einen Militärschlag immer noch für notwendig hält, aber im Moment noch zur Diplomatie greifen will. Und allein aus der Tatsache, dass sich aus einer großen Rede eine knappe Rede von gerade einmal 16 Minuten entwickelt hat, illustriert, dass der Präsident hier vor der Quadratur des Kreises stand.

""Das Hauptproblem […] bleibt ja ungelöst""

Schwarz: Das heißt, das Glaubwürdigkeitsproblem, das Obama ja hatte, das ist jetzt auch nicht geringer geworden?

Kaim: In der Tat nicht, weil: Das Hauptproblem, über das wir eigentlich reden müssten, was in den vergangenen Tagen ein wenig in den Hintergrund getreten ist, bleibt ja ungelöst. Das Problem in Syrien war bis zum 21. August ja nicht dominant, die Chemiewaffen, sondern der unkontrollierte, ungeregelte, sich ausbreitende syrische Bürgerkrieg mit 110.000 Toten. Und selbst, wenn Syrien jetzt all den Verpflichtungen nachkommen sollte, die im Raume stehen, dass es eine international Kontrolle, Sicherung oder gar Vernichtung der syrischen Chemiewaffenbestände gäbe, selbst dann bleibt die eigentliche Konfliktursache, nämlich der syrische Bürgerkrieg, ja völlig unberührt. Und vor diesem Hintergrund ist der Präsident, wie soll man sagen, gerade noch mit einem blauen Auge aus der Situation herausgekommen.

Schwarz: Das heißt, mit diesen neuesten Entwicklungen ist ein Ende des Bürgerkriegs keineswegs näher gerückt?

Kaim: Man kann darauf setzen, weil letztlich, wenn man mal versucht, im Detail durchzudeklinieren, wie eine solche Kontrolle oder Sicherung aussehen sollte, dann ist das ja nur vorstellbar mindestens mit einem Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien. Anders ist ja die Präsenz einer internationalen Beobachtertruppe, eine internationale Militärpräsenz, die die syrischen Lagerstätten und Labore von Chemiewaffen kontrollieren und sichern würde, gar nicht vorstellbar.

Und das ist ja auch der Angelpunkt, weshalb viele Beobachter, internationale Beobachter so zurückhaltend sind. Weil weder das Regime noch die Rebellen machen im Moment Anstalten, einem solchen Waffenstillstand zuzustimmen. Und vor diesem Hintergrund ist es sehr einfach – ich bin fast versucht zu sagen, wohlfeil –, zu betonen, dass Syrien seine Chemiewaffen internationaler Kontrolle unterwirft. Wie so häufig steckt der Teufel in der internationalen Politik in Details, und die sind längst noch nicht ausdekliniert.

Schwarz: Innerhalb von einer Woche sollte Assad ja nach Obama beziehungsweise Kerry sein C-Waffenarsenal übergeben. Wie würde das denn überhaupt in der Praxis aussehen?

Kaim: Das ist technisch gar nicht möglich. Der nächste Schritt wäre eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die eine UN-Beobachtertruppe, so müsste man sie ja etwas beschreiben, mandatieren würde, eine solche Sicherungsmaßnahme vorzunehmen. Dann würden Wochen ins Land gehen müssen, um überhaupt erst 'mal die Frage zu klären: Was ist deren Mandat, was dürfen die sehen, wer stellt diese Truppe, wer finanziert diese Truppe?

Also, das ist ja eine logistische Herausforderung. Dann steht die Frage im Raum, kooperieren denn die syrischen Behörden wie angedeutet oder wie es zumindest jetzt soweit klingt. Wir sprechen hier von mindestens drei großen Produktionsstätten von Chemiewaffen in Syrien und etwa 20 im Land verstreuten Lagerstätten. Diese müssten ja alle kontrolliert werden. Ich sehe nicht, wie das innerhalb von einer Woche gehen sollte. Und zum zweiten müsste man das Ganze ja mit einem Terminplan koordinieren, der gegebenenfalls dann auch Sanktionen nach sich zieht, also für die Frage: Was ist denn, wenn Syrien doch nicht kooperiert mit dieser internationalen Beobachterbehörde? Also, wie das in einer Woche gehen soll, ist mir rätselhaft.

""Der Präsident ist […] in die Defensive geraten""

Schwarz: Aus diesem Grund hat vermutlich Obama in seiner Rede die Drohkulisse Militärschlag aufrechterhalten beziehungsweise versucht aufrechtzuerhalten. Ist sie jetzt nicht eigentlich Makulatur geworden?

Kaim: Also ich finde es richtig, dass er das getan hat, und ich fände es auch richtig, wenn der Präsident, wenn der Kongress an seinem Zeitplan festhält und den Präsident in dieser Haltung unterstützt mit einer Resolution. Aber in der Tat, der Präsident ist mit der, wie soll man sagen, mit der unbedachten Äußerung seines Außenministers und der russischen Initiative vom Wochenende in die Defensive geraten. Es ist in den Augen der internationalen Öffentlichkeit jetzt sehr schwer zu argumentieren, weshalb ein militärischer Schlag dennoch notwendig ist. Die Diplomatie hat wieder die Offensive gewonnen, es gilt jetzt wieder das diplomatische Primat. Und als Rückfalloption ist das richtig, aber im Moment ist es, glaube ich, der richtige Schritt auch von Seiten der Obama-Administration, erst wieder einmal auf Diplomatie zu setzen. Und dass der Präsident seinen Außenminister gestern nach Genf entsandt hat, entspricht ja genau dieser Haltung.

Schwarz: Sie haben gesagt, Herr Kaim, Obama ist mit einem blauen Auge davongekommen, aber steht er jetzt nicht letztendlich vor größeren Herausforderungen als zuvor?

Kaim: Ich glaube, das ganz weite Problem hat weniger mit der Person des Präsidenten zu tun, sondern dahinter steht ja die Frage: Stehen die USA noch als Weltordnungsmacht bereit? Also sind sie gegebenenfalls bereit, Regelbrecher in der internationalen Politik zu sanktionieren? Dazu ist die Europäische Union nicht willens und nicht in der Lage und viele andere Länder aus verschiedenen politischen Gründen ebenfalls nicht.

Und Syrien ist nur ein Fall, und wir werden sicher in den nächsten Jahren mit anderen Fällen konfrontiert sein. Und das ist eigentlich das, was uns Sorge bereiten sollte. Wenn die USA weiter diesen Weg einschlagen, der bereits jetzt erkennbar ist, eine Art Innenwende, ich bin fast versucht zu sagen, ein Rückzug aus der Weltpolitik, dann entsteht ein ordnungspolitisches Vakuum, was derzeit nicht gefüllt wird. Und das sollte uns wirklich Sorge bereiten.

Schwarz: Markus Kaim, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Kaim, danke für das Gespräch!

Kaim: Gerne!

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