"Es gibt sehr viele Gründe, den Männeranteil in Kitas zu steigern"

Michael Cremers im Gespräch mit Katrin Heise · 26.04.2012
Männer seien nicht nur bei den Erzieherinnen und den Eltern erwünscht, sondern auch und gerade bei den Kindern, sagt Michael Cremers, Soziologe an der Koordinationsstelle Männer in Kitas. In Modellregionen wie Hamburg sei schon ein großer Teil der Erzieher männlich - was vor allem an guter PR liege.
Katrin Heise: Männliche Erzieher in Kitas sind immer noch eine Seltenheit. Ihre Zahl hat sich zwar seit 1998 auf gut 17.000 verdoppelt, dennoch bilden sie damit nur 3,5 Prozent aller pädagogischen Fachkräfte. Früher scheint sich dafür irgendwie niemand interessiert zu haben, heute wollen Eltern und Kitas gleichermaßen, dass es mehr männliche Erzieher gibt. Claudia Wheeler hat in eine Kindertagesstätte in Berlin geschaut, in der Männer arbeiten.

Das sagt Urs Reuber, einer der männlichen Erzieher in einer Berliner Kita, Claudia Wheeler hat sie uns vorgestellt. Vor etwa einem Jahr startete das Bundesfamilienministerium das Projekt mehr Männer in Kitas: Innerhalb von drei Jahren sollen in 16 Modellregionen Ideen entwickelt werden, wie der Anteil männlicher Erzieher gesteigert werden kann. Michael Cremers ist Sozialwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung und auch in der Jugend- und Erwachsenenbildung ist er tätig, und zurzeit arbeitet er in der Koordinationsstelle Männer in Kitas, an der katholischen Hochschule für Sozialwesen nämlich. Ich grüße Sie, Herr Cremers!

Michael Cremers: Guten Morgen!

Heise: Angesprochen in der Reportage wurden ja jetzt gerade diese Rollenklischees, also Fußball spielen, handwerkeln, toben, die Männern immer so zugeordnet werden - ist schon richtig, also singen und malen manche Männer auch gerne. Aber sind das denn tatsächlich Klischees oder nehmen nicht diese auspowernden Aktivitäten, diese vielleicht Jungs-Aktivitäten wirklich mehr zu, wenn Männer im Team sind?

Cremers: Ja, nun ist es so, dass es sehr viele Gründe gibt, den Männeranteil in Kitas zu steigern. Es gibt auch sehr viele Gründe, dafür zu streiten, dass der Anteil von Männlichkeit in der Kita steigt. Aber für jeden Grund, für jedes Argument, was sozusagen dafür spricht, kann man durchaus auch ein Argument dagegen finden. Ich möchte das beschreiben an dem Beispiel unseres Covers, unserer Studie "Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten", die sozusagen der Koordinationsstelle Männer in Kitas vorausgegangen ist, und auch den Modellprojekten vorausgegangen ist. Für diejenigen, die am Radio sitzen, werde ich das versuchen plastisch zu machen, für diejenigen, die im Internetradio hören, die können sich die Studie auch aufrufen, die finden Sie bei uns auf der Webseite der Koordinationsstelle, aber auch beim Bundesministerium: Auf dem Cover ist ein Bild mit einem Mann und zwei Kindern, die in einem technischen Setting zu sehen sind.

Heise: Was meinen Sie damit?

Cremers: Die sitzen am Tisch, die Kinder haben eine Zange in der Hand und versuchen gerade, Drähte miteinander zu verbinden. Diese Technik ist gesellschaftlich männlich sozusagen konnotiert. Der Mann - als Mann, als männlicher Erzieher sozusagen - ist uns deshalb wichtig, uns ist wichtig, sozusagen, oder war wichtig, bei dem Bild, zu zeigen, dass es Männer in der Kita gibt. Es ist uns aber auch wichtig zu zeigen, dass Technik als männlich konnotierte Eigenschaft in der Kita bisher fehlt oder vielmehr als ... und was uns aber auch wichtig ist, es zu zeigen, dass es sich in der Kita um ein Feld handelt, was professionalisiert wird.

Also, in der Kita geht es eben nicht nur um Betreuung, um Erziehung, sondern auch um Bildung. Das heißt, das alles wollten wir symbolisch mit diesem Bild zeigen, aber gleichzeitig liegt darin dieses Klischee. Gleichzeitig, also gerade wo wir ja heute den Girls Day haben, wo es darum geht, zunehmend mehr Frauen zu gewinnen in diesen Bereichen, Naturwissenschaften und Technik, zeigt eben dieser Mann, der jetzt das reinbringt, also diese Technik, produziert sozusagen dieses Klischee.

Heise: Wie gesagt, also meiner Ansicht nach nicht unbedingt immer, wenn man es auch hinterfragt, wenn man den Mann auch anders sieht, wenn man den Mann dann auch mit der Gitarre sieht, oder mit einer Runde, wo er vorliest, oder so. Wenn die Kinder beides erleben, dann ist ja auch der Fußball spielende Mann überhaupt nicht abzulehnen meiner Meinung nach.

Cremers: Ganz genau, ganz genau. Wenn Sie sich dieses Bild genau angucken, dann sehen Sie, dass nicht nur die Kinder sehr freudig auf diesem Bild erscheinen, sondern sehr interessiert, sehr neugierig. Und um das hinzukriegen, muss ich überhaupt eine Beziehung hinkriegen. Hier steckt sozusagen das weibliche, also die Fürsorge, und hier sieht man auch, dass sozusagen Fürsorge nicht weiblich ist, sondern durchaus von Männern gelebt werden kann, genau so wie Technik nicht männlich ist, sondern von Frauen gelebt werden kann. Und die Fürsorge, also diese Beziehung aufzubauen, ist natürlich eine wichtige Voraussetzung, um dann zum Beispiel diese Technik den Kindern eben auch nahezubringen.

Heise: Wie reagieren denn eigentlich Kinder im Kindergartenalter, die männliche Perspektive, also so Erzieher, wirklich mal erlebt haben? Gibt es da Unterschiede, haben Sie Unterschiede festgestellt zu denen, die rein weiblich, sage ich jetzt mal, erzogen worden sind, oder nur immer von Erzieherinnen?

Cremers: Also als wir die Erhebung gemacht haben, haben uns alle Erzieherinnen oder auch Erzieher gesagt, dass die männlichen Erzieher sehr gut bei den Kindern ankommen, bei den Mädchen wie bei den Jungen. Also da - das hat - die Erklärung ist dann meist, dass so wenige Männer in der Kita sind, dass wissen wir nicht genau, ist aber die Wahrnehmung. Fest steht, dass Männer eben nicht nur bei den Erzieherinnen erwünscht sind und bei den Eltern erwünscht sind, sondern eben auch gerade bei den Kindern.

Heise: Übrigens, wo Sie gerade die Erzieherinnen und erwünscht sagen, verändert sich eigentlich das Verhalten der Erzieherinnen? Im Beitrag klang das ja auch an, dass natürlich altgestandene Erzieherinnen vielleicht das gar nicht unbedingt so wollen, dass ihr Team jetzt durch männliche Kräfte aufgestockt und verändert wird. Aufgestockt wird es ja meist nicht, sondern verändert.

Cremers: Auch da würde ich wieder sagen, in vielleicht beide Richtungen. Also zum einen, glaube ich, gibt es so eine Aufmerksamkeit, so ein Sehen, macht der Mann das eigentlich anders, und dann, wenn er das denn dann tatsächlich anders macht, gibt es einen Austausch darüber, und gibt es eine Verständigung darüber, warum macht der es anders. Und es gibt halt eine Kommunikation und eine gemeinsame Entwicklung. Es gibt aber auch durchaus Erzählungen, dass sozusagen das, was die Frauen, die vorher zu 100 Prozent in einer Kita waren, alles selbst geregelt und organisiert haben, dass das sozusagen jetzt diesem Mann dann wieder zugeschrieben wird, also ganz triviale ...

Heise: Ach so, das sind dann wieder die Klischees.

Cremers: ... genau, ganz triviale Dinge, wie Lampen auszutauschen, für den Computer zuständig zu sein, oder eben fürs Fußballspielen.

Heise: Darüber ist da auch zu reden, ja. Männer in Kitas, Sozialwissenschaftler Michale Cremers berichtet im Deutschlandradio Kultur über Projekterfahrungen. Jetzt haben wir darüber gesprochen, wie gut es wäre - was geschehen müsste, das möchte ich jetzt eigentlich gerne wissen. Es gibt ja Bundesländer, die haben einen höheren Anteil von Männern in Kitas - Hamburg 7,7 Prozent, Bremen 6,8 Prozent, habe ich Zahlen gefunden -, was haben die eigentlich gemacht? Sind das dann vor allem vielleicht die Sachen, ja, die Bezahlung, die da geändert wurde, oder ist es eher die Ausbildung, eher die Qualifikation oder das, was man erreichen kann?

Cremers: Na, wir haben einige Regionen festhalten können in unserer Studie, wo der Männeranteil überregional, also quasi im Vergleich zu dem ansonstigen Anteil in der Region höher ist. Das gilt einmal für die - also für Hamburg oder auch für Bremen, wo es daran liegt, dass viele der Männer, die pädagogisch in der Kita arbeiten, eben tatsächlich einen akademischen Abschluss haben und da als Sozialpädagogen eingestellt sind und entsprechend mehr verdienen. Aber in Frankfurt zum Beispiel, eine Region, in der seit Jahren dieses Thema diskutiert wird, und wo man feststellen kann, dass eben auch über andere Mittel der Männeranteil steigen kann, oder ...

Heise: Über welche denn? Über welche denn konkret?

Cremers: Na, wenn man sich jetzt die Modellprojekte anguckt, beziehungsweise die Modellregionen anguckt, dann hat man schon den Eindruck, und das kann man bei uns auf der Homepage sehr gut auf der Landkarte sehen - wir haben eine Landkarte, wo die Landkreise abgezeichnet sind, mit den Männeranteilen -, und da kann man sehr gut sehen, dass sozusagen in den Regionen, in denen Modellprojekte sind, dass es so erscheint wie so ein Cluster mit einem steigenden Männeranteil.

Das hatte zum einen damit zu tun, dass sehr viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht wird, gerade in Hamburg, beispielsweise kann man eigentlich heute nicht mehr in einer Bahn fahren oder in einem Bus fahren, ohne auf Plakate zu stoßen mit Männern in Kitas. Also hier geht es sozusagen darum, es normal zu machen für Jungen und Junge Männer, dass sie eben auch in der Kita arbeiten können. Aber auch der Boys Day, den Sie genannt haben, beziehungsweise neue Wege für Jungs, was ja da das ähnliche Projekt oder ein ähnliches Projekt ist, das schon seit 2005 durchgeführt wird, versucht ja, durch Seminare und aber auch Praktika-Erfahrungen, Jungen und junge Männer an diesen Beruf heranzuführen, und alle Modellprojekte arbeiten hier als Netzwerkpartner mit dem Boys Day beziehungsweise mit den neuen Wegen für Jungs zusammen und versuchen, gemeinsam das hinzukriegen.

Heise: Also man muss es auf jeden Fall bekannter, normaler machen, damit das ein Weg ist, der für Jungs gangbar ist. Sozialwissenschaftler und Koordinator des Projekts mehr Männer in die Kitas, Michael Cremers, ich danke Ihnen für die Informationen hier!

Cremers: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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