"Es gibt erhebliche Fortschritte beim Aufbau der afghanischen Polizei"

Moderation: Hanns Ostermann · 01.02.2008
Jürgen Scholz, Leiter der europäischen Polizeimission EUPOL in Afghanistan, sieht den Aufbau der Polizei im Land auf einem guten Weg. Gleichzeitig rät er davon ab, "blitzschnelle Erfolge" zu erwarten. Zudem wies er die Kritik des deutschen Bundeswehrverbandes zurück, das Mandat sei mit zu wenig Personal ausgestattet.
Ostermann: Auch wenn es in Afghanistan durchaus auch Fortschritte gibt - Probleme bleiben auf der Tagesordnung. Da fehlen etwa 7.500 Soldaten, meinte vor kurzem der Kommandeur der internationalen Schutztruppe ISAF, der US-amerikanische General Dan McNeill. Der Kampf gegen die Taliban zeige bei weitem nicht die erwünschten Erfolge, wie man auch gestern bei diesem fürchterlichen Anschlag sehen konnte. Sorgen bereitet aber auch der Aufbau der Polizei, denn nur wenn sie funktioniert, dann kann im Landesinneren mittelfristig für Sicherheit und Ordnung gesorgt werden. Seit dem 1. November, seit also drei Monaten, leitet Brigadegeneral Jürgen Scholz die EU-Polizeiausbildungsmission in Afghanistan. Ich freue mich, dass wir jetzt im Deutschlandradio Kultur telefonisch mit ihm verbunden sind. Guten Morgen, Herr Scholz!

Scholz: Einen schönen guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Experten behaupten, in Afghanistan drohe der Zerfall des Staatswesens. Bedeutet dies, dass die Polizeireform bislang wenig bis gar nichts gebracht hat?

Scholz: Nein, das bedeutet das keinesfalls. Es gibt ja schon seit vielen Jahren Anstrengungen, ganz besonders auch aus Deutschland, die afghanische Polizei zu unterstützen, die dann durch den Bürgerkrieg unterbrochen worden sind, und die damaligen Unterstützungsleistungen und auch die später von der Bundesregierung bilateral wieder aufgenommenen Unterstützungsleistungen haben einen deutlich positiven Eindruck hinterlassen. Es gibt eindeutig erhebliche Fortschritte beim Aufbau der afghanischen Polizei. Umso mehr ist zu begrüßen, dass nunmehr die Internationale Gemeinschaft - das sind insbesondere die amerikanischen Streitkräfte, das sind die Vereinten Nationen und das ist jetzt unter meiner Führung die europäische Polizeimission - sich zusätzlich viel stärker beim Aufbau der afghanischen Polizei engagieren.

Ostermann: Wie muss man sich den Alltag Ihrer Polizeibeamten vorstellen in Zeiten, wo die Taliban immer mehr Einfluss zu bekommen scheinen?

Scholz: Zunächst einmal, die Mission wird in der Öffentlichkeit vielfach als Trainingsmission bezeichnet. So ist sie als europäische Mission nicht ausgelegt. Es ist eine Mission zum Transfer von Know-how auf der strategischen und operationellen Ebene, das heißt konkret, auf der Ebene des Ministeriums, auf der polizeilichen Ebene in den Provinzen und in den Regionen. Es geht darum, dass wir durch Beratung den Aufbau der afghanischen Polizei unterstützen, sowohl organisatorisch als auch Förderung der Effektivität und der Effizienz der afghanischen Polizei.

Ostermann: Die Bekämpfung der Korruption ist da eines der entscheidenden Probleme. Werden Sie da ausreichend durch die afghanische Regierung unterstützt?

Scholz: Die Bekämpfung der Korruption, da haben Sie völlig Recht, ist ein wichtiges Anliegen, ein wesentlicher Bestandteil der Ziele, die uns zugeteilt worden sind. Ich freue mich, sagen zu können, dass ich in dem afghanischen Innenminister, dem stellvertretenden Innenminister und in der afghanischen Polizeigeneralität wertvolle Ansprechpartner mit großer Unterstützung finde zur weiteren Bekämpfung der Korruption im Land.

Ostermann: Das klingt sehr diplomatisch, Herr Scholz. Wie sieht es denn da mit den mittleren Beamten aus? Denn was nützt es, wenn die Spitze einverstanden ist mit Ihrer Arbeit, aber dann in unteren Rängen möglicherweise Probleme auftauchen?

Scholz: Eigentlich sollte man es nicht zu negativ sehen. Das Einzige, wovor ich Ihnen abrate, ist, zu blitzschnelle Erfolge zu erwarten. Man kann in einer Gesellschaft, die 30 Jahre durch Krieg nachhaltig beeinträchtigt worden ist, keine blitzschnellen Erfolge - auch nicht bei der Bekämpfung der Korruption - erwarten. Und es gibt sehr gute Ansätze von Seiten der Internationalen Gemeinschaft, gerade die von Ihnen angesprochene Zielgruppe der mittleren Polizeibeamten finanziell so auszustatten, dass der Anreiz für Korruption geringer wird.

Ich will bei weitem nicht sagen, dass dieses Problem gelöst ist. Wer 100 Euro im Monat verdient, wenn man das in unsere Währung umrechnet, der kann nicht luxuriös leben, der kann seinen Lebensbedarf decken, aber es ist immer noch Anreiz da, sich bestechen zu lassen. Im Übrigen sind nicht nur Zielbereiche die Beamten auf der mittleren Ebene, sondern eher wohl auch die Führungsebene, bei der man sich ja auch vorstellen kann, dass es Anreize für Korruption geben könnte.

Ostermann: Herr Scholz, die Zahl der Polizeiausbilder reiche hinten und vorn nicht, das kritisieren viele bei uns in Deutschland, selbst die 195, die bis Ende März in Kabul eintreffen sollen, seien nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das meint jedenfalls der Deutsche Bundeswehrverband. Daraus könnte man ja schließen, Sie sind eine Art Mängelverwalter?

Scholz: Also, gestatten Sie mir, ich sehe mich bei weitem nicht als Mängelverwalter und teile nicht wirklich die Auffassung des Bundeswehrverbandes. Jeder Leiter einer Organisation wird Ihnen sagen, natürlich brauche ich oder wünsche ich mir mehr Personal. Die Mission ist ausgelegt worden auf, wie ich am Anfang sagte, strategische und operationelle Beratung. Dafür ist sie zunächst auch einmal ausgestattet. Das Mandat ist zeitlich befristet, und es wird eine ständige Überprüfung stattfinden, ob es angepasst werden muss, oder sie findet auch statt, diese Überprüfung, ob das Mandat angepasst werden muss oder nicht. Und daraus könnte sich auch der Wunsch nach einem personellen Auswachsen der Mission ergeben.

Ostermann: Sie haben auch schon in Mazedonien die Polizei aufgebaut, kennen also die Arbeit im Ausland aus dem Effeff. Lassen sich diese beiden Einsätze überhaupt miteinander vergleichen?

Scholz: In den grundsätzlichen Strukturen ja. Allerdings muss ich eingestehen, Afghanistan ist ein völlig anderes Land, dies ist ein wirkliches Krisengebiet. Mazedonien war damals auch Krisengebiet, aber die Strukturen in Afghanistan sind durch den langen Bürgerkrieg weit deutlicher zerstört als durch den kurzfristigen Bürgerkrieg, der auf dem Balkan getobt hat.

Es gibt aber einzelne Parallelen im früheren Aufbau der Polizei, die sich durchaus vergleichen lassen, so dass mir die früheren Erfahrungen helfen, die Geschwindigkeit der Reformen besser einzuschätzen, zu wissen, wie man auf das Gegenüber zugehen muss und vor allen Dingen anzuerkennen, dass man am erfolgreichsten ist, wenn man den Partner für seine Überzeugungen gewinnen kann und auch kompromissbereit ist. Es bringt nichts, einen Plan zu entwickeln, wie die afghanische Polizei auszusehen hat, und auf den Tisch zu legen und Ausführung zu befehlen, sondern das erfolgreiche Modell ist, in Diskussionen unsere afghanischen Partner zu überzeugen und unser Wissen zur Verfügung zu stellen, damit sie dann die richtige Entscheidung für ihr Land treffen können.